Köln – Ein Stück zum Dom, ein Theaterabend über die lange und wechselvolle Geschichte seiner Errichtung, darauf hätte doch schon mal jemand kommen müssen? Vielleicht ein Fall von kultureller Weitsichtigkeit. Also musste erst der kroatische Regisseur Oliver Frljić mit dem Zug zu Proben anreisen – er hat am Schauspiel Köln Brechts „Fatzer“ und Kleists „Hermannsschlacht“ inszeniert – und die Stufen zur Kathedrale erklimmen, um das Naheliegende endlich auf die Bühne zu bringen.
Dort, im Depot 1, wird nun sogleich der erste Dombaumeister Gerhard von Ryle vom Teufel versucht, eine Treppe zum Himmel zu bauen, auf dass die Kölner zu den Füßen ihres Gottes aufsteigen können. Die Legende ist bekannt, aber wer sich auf einen süffigen Folkloreabend eingestellt hat, der wird enttäuscht.
Wenige Regisseure sind des populistischen Ranschmeißtheaters unverdächtiger als Frljić, er sucht die öffentliche Debatte und hat dabei ab und an durch formale oder inhaltliche Drastik einen veritablen Theaterskandal gefunden, eine aussterbende Gattung in unseren ach so abgeklärten Zeiten.
Deswegen erscheint in „Das Himmelreich wollen wir schon selbst finden“ dem Meister Gerhard der Teufel auch in Gestalt eines gesichtslosen, ganz in Gold gewandeten Bischofs. Und deswegen beginnt Frljić den Abend mit Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“, „Wer baute das siebentorige Theben? Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“
Wie die Heiligen Drei Könige in den Dom kamen
Das ist nicht zuletzt eine Entschuldigung, schließlich bleibt auch Frljić nichts anderes übrig, als seine Vignetten mit allerlei großen Namen zu schmücken, mit Rainald von Dassel, der die Gebeine der Heiligen Drei Könige – oder beliebige Schädel und Knochen, die er als solche benennt – den Mailändern als Kriegsbeute entreißt, um sie den Kölnern als ihr Erzbischof zum Geschenk zu machen. Oder mit Napoleon, den der Regisseur vom jungen Sulpiz Boisserée durch den Dom führen lässt, dessen Vollendung der Kunstsammler später propagieren wird.
Die Ästhetik ist schroff: Die beweglichen Wände des Domschiffes von Bühnenbildner Igor Pauška bilden zuerst eine abweisende Mauer, zeigen sich rückseitig als Kulisse, bevor sie den Blick auf eine leere, dunkle Bühne freigeben, die das Ensemble als Sensenmänner und -frauen abschreitet. Ratsch, ratsch fegen sie mit ihren Sensen über die Bühne. Ratsch, ratsch – Geschichte wird gemacht. Pest, Pogrome, Völkerschlachten treten auf.
Starke, karge Bilder
Frljić findet durchgehend starke, karge Bilder und sein Ensemble – Nikolaus Benda, Yuri Englert, Andreas Grötzinger, Nicola Gründel, Rebecca Lindauer, Hannah Müller und Ines Marie Westernströer – spielt wie ein einziger Körper mit angespannten Muskeln.
Aber dann wird es lustig: Der Kulturkampf zwischen Bismarck und der katholischen Kirche wird anhand einer gleichgeschlechtlichen aber gemischt-konfessionellen Trauung und eines verzweifelten Priesters zur Farce, Stefan Lochners Triptychon „Altar der Stadtpatrone“ wird zum Jahrmarktsbild: Die Darsteller klappen die Gesichter von Maria, Jesus und den Heiligen Drei Königen zur Seite, stecken ihre Köpfe hindurch und singen bedeutungsvoll „my baby’s got a secret“, natürlich von Madonna.
Top-Model-Glocken
Und es wird noch lustiger: Die Schauspieler stellen sich wie beim Top-Model-Casting als die einzelne Glocken des berühmten Dom-Geläutes vor, verraten schamhaft ihr Gewicht und loben den eigenen Wohlklang. Schließlich werden zwei von der Bühnenmaschinerie hochgezogen und zum Schwingen gebracht.
Dass sie knapp dem Schicksal entgangen sind, zu Kanonen umgegossen zu werden, dass der Dom im Zweiten Weltkrieg die Kölner nicht zu Gottes Füßen, sondern die Bomberpiloten nach Köln geführt hat, kann nun niemanden schockieren, das hat der ganze Abend ja immer wieder erzählt: Die Hohe Domkirche ist auf Paradoxien erbaut.
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Aber dann betritt ein älterer Mann mit einem regenbogenfarbenen Stock die Bühne, stellt sich als Karl Haucke vor, ehemaliger Sprecher des Betroffenenbeirates im Erzbistum Köln, und schildert, wie er als Schüler eines Ordensinternats jahrelang von einem Pater missbraucht wurde. Und wie dieser Missbrauch fortgesetzt wird, durch den Unwillen der Kirche zur Aufklärung.
Frljić lässt das Licht im Zuschauerraum hochfahren. Als könnte man sich sonst dem Entsetzen und der Wut entziehen. Kann man nicht. Fast möchte man dem Regisseur den harten Bruch mit dem Geschichtsspiel vorwerfen. Es ist keine künstlerische Meisterleistung, sich demonstrativ auf die richtige Seite zu stellen. Aber wie anders als mit den hässlichen Wahrheiten der Gegenwart hätte man diesen Abend beenden sollen, ohne Teil der Lüge zu werden?