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Erzbistum KölnWeihbischof bekennt in Bußgottesdienst Versagen wegen Missbrauch

Lesezeit 7 Minuten
Steinhäuser

Weihbischof Rolf Steinhäuser nach dem Gottesdienst

Köln – Kerzen in großer Zahl: eine für jedes Opfer sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln. Sie nehmen fast die Hälfte der Altarinsel im Dom ein. Zwischen den Kerzen ist ein Kreuz aufgerichtet. Schon dieses Bild bringt zum Ausdruck, wie sehr das Ausmaß des Missbrauchsskandals im Erzbistum an die Herzmitte der katholischen Kirche und des Glaubens rührt. Später werden Namen von Opfern verlesen. Dumpf schlägt die Totenglocke. Eine einzelne große Kerze steht zusätzlich für die unbekannten Opfer.

Die Kerzen und der symbolische Aufruf der Menschen, für die sie brennen, erinnern an Trauerfeiern, wie sie im Dom auch früher schon stattgefunden haben.

Weihbischof Steinhäuser leitet die Zeremonie

Doch dieses Mal ist eines ganz anders: Der Bußgottesdienst mit Gedächtnis, Bekenntnis und Fürbitte gilt Verbrechen und Tätern aus dem Raum der Kirche selbst – und ihren Opfern, lebenden und toten. Weihbischof Rolf Steinhäuser, der kommissarische Leiter des Erzbistums, steht der schlichten Zeremonie vor. In doppeltem Sinne stellvertretend bekennt er kniend für das Erzbistum Schuld und Versagen.

An seiner Seite Generalvikar Markus Hofmann, derzeit ebenfalls nur kommissarisch im Amt. Zum Schuldbekenntnis hält Hofmann dem Bischof wie ein Messdiener das Mikrofon, in den Fürbitten ruft der zweitmächtigste Mann des Erzbistums vor Gott die auf, „die wegen unseres Verhaltens kein Vertrauen in deine Kirche mehr finden können, mehr noch: die angesichts der Verbrechen und des Versagens in der Kirche den Glauben an dich verloren haben“.

Einer fehlt: Kardinal Woelki

Im Dom dabei sind nur geladene Gäste, darunter vor allem Missbrauchsopfer, aber auch leitende Mitarbeitende des Erzbistums, Mitglieder des Diözesanpastoralrats sowie Fachleute zum Thema Missbrauch auf Bundes- und Landesebene sowie aus anderen Diözesen. Auf Wunsch des Betroffenenbeirats und zum Schutz der Opfer und ihrer Emotionen, so das Erzbistum, ist die Feier im Dom nicht öffentlich, , allerdings wird sie vom „domradio“ live gestreamt.

Einer fehlt: Kardinal Woelki

Einer fehlt: der Erzbischof, Kardinal Rainer Woelki. Seine Kathedra, der große Bischofsstuhl mit dem Wappen des Erzbistums in der überhohen Rückenlehne, steht leer. Auch das hat Symbolcharakter.

Steinhäuser sagt zu Beginn, er habe diesen Gottesdienst „geerbt“, aber nicht entscheiden können, ihn abzusetzen oder in die Fastenzeit zu verschieben – also in die Zeit, wenn er nach Lage der Dinge nicht mehr Amt sein und Woelki aus seiner vom Papst festgesetzten Auszeit zurückgekehrt sein wird. Er werde nicht über den Erzbischof sprechen, sagt Steinhäuser, „ganz einfach, weil er nicht da ist“. Auch wolle er Woelki „weder beschuldigen noch versuchen, ihn zu entschuldigen“.

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Demonstranten vor dem Kölner Dom.

„Chef der Täterorganisation Erzbistum Köln“

Stattdessen macht er die Gottesdienstgemeinde mit seiner „Rollenklärung“ vertraut: Als derzeitiger „Chef der Täterorganisation Erzbistum Köln“ müsse er sich einer „gemeinsamen Haftung“ stellen. Den Termin des Gottesdienstes mitten in Woelkis Auszeit begründet Steinhäuser mit dem am „Europäischen Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“ an diesem 18. November, den der Papst auch als Gebetstag für die Opfer empfohlen hat.

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Ohne Umschweife spricht Steinhäuser auch den Streit und den Auseinandersetzungen an, zu denen es bereits im Vorfeld des Gottesdienstes gekommen ist – Konflikte, die auch durch die Reihen der Betroffenen gehen. Ein Teil von ihnen ist im Dom dabei, gestaltet die Feier durch eigene Texte, Musik und den Vortrag von Fürbitten mit. Andere sind aus Protest ferngeblieben, weil sie nicht Teil eines kirchlichen Ritus werden, sich nicht unter das Zeichen des Kreuzes stellen wollten, unter dem ihnen Vertreter der Kirche einst Gewalt angetan haben.

Betroffener spricht von „Farce“

Oder auch weil sie es – wie der frühere Sprecher des Betroffenenbeirats, Patrick Bauer -als „Farce“ und „blanken Hohn“ empfinden, empfinden, dass vorne im Dom mit Steinhäuser der falsche Mann stehe. Er sei der einzige der ranghohen Kölner Kleriker, der sich nichts habe zu Schulde kommen lassen, so Bauer.

Er und der ebenfalls zurückgetretene Co-Sprecher Karl Haucke haben sich vor dem Dom zu einer Demonstration von Maria 2.0 gesellt. Mit einem „Walk of Shame!“ vor der Kreuzblume auf der Domplatte macht die katholische Reforminitiative zusammen mit Opfern darauf aufmerksam, dass bis heute kein führender Vertreter des Erzbistums für seinen Umgang mit Missbrauch belangt worden ist.

Maria 2.0 spricht von einer Nebelkerze

„Der Bußgottesdienst ist eine Nebelkerze ohne Konsequenzen“, sagt die Kölner Sprecherin von Maria 2.0, Maria Mesrian. Es sei „geradezu abstrus“, den Gottesdienst in Abwesenheit all derer zu feiern, die für die fehlende Aufklärung Verantwortung trügen. Darüber hinaus sei es ein fatales Signal des Papstes gewesen, dass es für die Vertuscher von Straftaten keine Konsequenzen gegeben habe und Kardinal Woelki, Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und Erzbischof Stefan Heße (heute Hamburg) im Amt blieben. Damit fehle einer solchen Geste jede Glaubwürdigkeit.

„Für mich war klar, dass ich in dem Gottesdienst nichts zu suchen habe“, erklärt Bauer, der jahrelang in einem katholischen Internat missbraucht wurde. „Ich bin doch der, der missbraucht wurde. Was soll ich in einem Bußgottesdienst.“ Das sei allenfalls denkbar gewesen, wenn er dort Zeuge eines Bekenntnisses der Schuldigen hätte werden können.

Betroffener schildert sein Leid

Der mit Bauer zusammen 2020 zurückgetreten Co-Sprecher Karl Haucke schildert eindringlich, was ihm durch die jahrelange Vergewaltigung durch einen Pater genommen wurde: „Es waren meine Lebensfreude, meine Fröhlichkeit und der kindliche Glaube, dass alles wieder gut wird.“ Dafür gelte es zu büßen. „Aber nicht in dieser Form, sondern in Form einer Einladung zu einem Gespräch – einfühlsam und in einem neutralen, nicht kirchlichen Raum." Überhaupt sei Spiritualität nicht die Dimension, „die jetzt im Rahmen der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals gefragt ist“, ergänzt Maria Mesrian von Maria 2.0. „Es geht nicht um Spiritualität, sondern um Machtkontrolle und Partizipation.“

Von alledem ist im Dom in der Tat keine Rede. Immerhin beklagt der – von Bauer exkulpierte – Steinhäuser nicht nur die Schuld der anderen, sondern wählt betont die Ich-Form. „Lange genug habe ich mir etwas vorgemacht. Ich wollte nicht wahrhaben, was in meiner geliebten Kirche von Mitbrüdern getan wurde. Ich habe die Kirche schützen wollen und nicht die Betroffenen im Blick gehabt. Das ist mein Versagen, meine Sünde.“

Gläubige nicht in Mithaftung nehmen

Er könne sich nicht für die Täter entschuldigen und auch nicht die Gläubigen in Mithaftung nehmen, betont Steinhäuser und tritt damit auch einer weiteren Kritik an der Form einer kirchlichen Bußliturgie entgegen. „Jeder kann nur selber schauen und seinen Teil der Verantwortung übernehmen.“

Klar sei auch: „Dieser Bußgottesdienst endet nicht mit der Vergebung. Wir können uns nicht selbst absolvieren.“ Eine „billige Gnade“ (Dietrich Bonhoeffer) ohne persönliches Bekenntnis, ohne Reue und Besserung könne es nicht geben. „Wir bitten auch nicht die Betroffenen um Vergebung, damit es uns besser geht“, fügt Steinhäuser hinzu.

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In seiner Predigt kommt Steinhäuser auch auf die Gegenwart im Erzbistum zu sprechen. „Machen wir uns nichts vor!“, mahnt er. „Wir reden keineswegs nur über längst vergangene Taten.“ Es sei auch keineswegs bloß eine Kampagne im Gange, die „Köpfe rollen sehen“ wolle. „Wir dürfen die Fratze des Bösen nicht zudecken, nicht verharmlosen, nicht vertuschen, nicht bagatellisieren und auch nicht vorschnell den liebenden und vergebenden Gott bemühen.“

Und dann lässt ein weiterer Satz aufhorchen: Das Thema Missbrauch halte „uns im Griff“, weil sich „die Verhältnisse nicht wirklich geändert“ hätten. Das lenkt den Blick dann schon sehr deutlich auch auf die Zeit nach Kardinal Woelkis Rückkehr im März.

Diözesanrat sieht Konflikte ungelöst

Der Diözesanrat, der schon vor zwei Jahren einen Bußakt angeregt hat, sieht sein Ansinnen nicht erfüllt, weil es dabei ausdrücklich um ein „Schuldbekenntnis des Erzbischofs und der gesamten Bistumsleitung“ gehen sollte, so der Diözesanratsvorsitzende, Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach.

Die Kirchenkrise und der Konflikt im Erzbistum sei nach wie vor ungelöst. „Der Kardinal, mit dem wir hierzu reden müssen, ist nicht da.“ Da helfe auch eine gute, von wertschätzendem Respekt gekennzeichnete Gesprächsebene mit Steinhäuser nicht weiter. Über das knappe Vierteljahr, das ihm noch bleibt, hinaus seien mittel- und langfristige Planungen „kaum möglich“.