- Anfang September sollen in Düsseldorf Sarah Connor und Bryan Adams vor 13.000 Zuschauern auftreten.
- Ist das ein wichtiges Signal für die gebeutelte Branche? Oder unverantwortlich?
- Christian Bos, Redakteur in unserer Kulturredaktion, erinnert sich mit Wehmut an seine letzten Vor-Corona-Konzerte. Theatervorstellungen und Konzerte unter Pandemie-Bedingungen erlebt er als Inseln der Regelkonformität in einem Meer aus Distanzlosigkeit.
- Frank Olbert, Leiter des Kulturressorts, hat unter den Entzugserscheinungen gelitten, die der Lockdown besonders für die Kultur mit sich brachte. Doch gerade jetzt ist Durchhalten wichtig, sagt er.
Anfang September sollen in Düsseldorf Sarah Connor und Bryan Adams vor 13.000 Zuschauern auftreten. Seit Tagen Ob das umstrittene Großkonzert stattfinden darf, entscheidet sich zwar erst vier Tage vor dem eigentlichen Termin. Doch schon jetzt gibt es große Diskussionen – auch in unserer Kulturredaktion.
Pro: Soziale Distanzlosigkeit in der Bahn bereitet mir viel größere Sorgen
Von Christian Bos
Ein Stadionkonzert vor 13.000 Zuschauern, ausgerechnet jetzt, wo doch die zweite Welle der Pandemie über unseren Köpfen zu brechen droht? Was Marek Lieberberg („Rock am Ring“) unter dem Titel „Give Live a Chance!“ am 4. September für die Düsseldorfer Merkur-Spiel-Arena angekündigt hat, klingt nach Wahnsinnsidee, nach Realitätsverleugnung von Trump’schen Dimensionen. Das Stadionkonzert mit Bryan Adams und Sarah Connor wäre das erste seit Lockdown-Beginn, ein Menschenversuch gigantischen Ausmaßes.
Aber lassen Sie uns zuerst die Zahlen zurechtrücken: Die Düsseldorfer Arena fasst rund 50 000 Zuschauer, die geplante Auslastung der Lieberberg-Sause liegt also nur bei rund 23 Prozent. Weitere Fakten: Die Veranstaltung findet bei geöffnetem Dach statt. Alle Zuschauer sind mit Adresse und Telefonnummer registriert. Der Zugang zum und Ausgang vom Stadion wird zeitlich gestaffelt und findet über eigens vergrößerte Bereiche statt. Es soll keine Pausen und ausschließlich Sitzplätze geben, deren Abstand zum nächsten Platz nach vorne, hinten und zu den Seiten jeweils die empfohlenen 1,50 Meter beträgt. Zudem herrscht Alkoholverbot. Und: Die Schutzmasken müssen aufbleiben, vor, während und nach der Veranstaltung.
Dem Großveranstalter Lieberberg geht es darum, ein Zeichen für die gesamte Konzertbranche zu setzen: Livemusik soll wieder möglich sein – wenn auch mit erheblichen Einschränkungen. Er will nicht erst abwarten, bis sämtliche Künstler, Veranstalter, Clubs und andere vom Live-Geschäft abhängigen Arbeitnehmer Konkurs oder Privatinsolvenz angemeldet haben.
Denn es wird auch eine Zeit nach Corona geben. Dann werden viele von uns wieder Konzerte besuchen wollen, vom kleinen Club über die Philharmonie bis hin zum Stadion. Das wird aber nicht möglich sein, wenn bis dahin die nötige Infrastruktur weggebrochen ist. Was bleibt Konzertveranstaltern also anderes übrig, als selbst einen Weg aufzuzeigen, auf dem man weitergehen kann? Die Politik hilft nicht, was man ja deutlich an dem Wahlkampfstreit sieht, der sich an „Give Live a Chance!“ entzündet hat.
Da will sich Düsseldorfs SPD-OB Thomas Geisel gegen die Landespolitik der CDU profilieren und Armin Laschet und Markus Söder wetteifern als Kanzlerkandidaten in spe um Entrüstung ob der Signalwirkung der Großveranstaltung. Nur mit Lieberberg hat keiner geredet. Jetzt haben sich Stadt und Land darauf geeinigt, das Okay für das Event erst wenige Tage vorher auf Basis der aktuellen Infektionszahlen zu geben. Die Vorsicht ist geboten, aber eben auch ausreichend.
In dieser Woche habe ich mit meiner jüngeren Tochter den neuen Schulweg ausprobiert. Dabei standen wir in einer KVB-Bahn so dicht an dicht mit dutzenden Menschen wie auf einem ausverkauften Stadionkonzert vor Corona – und niemand hatte seine Personalien hinterlassen. Solch soziale Distanzlosigkeit – man kann sie jederzeit in der Kölner Innenstadt erleben – bereitet mir viel größere Sorgen, als eine Veranstaltung, deren Organisatoren sich im eigenen Interesse geradezu überschlagen, um das Einhalten der Abstandsregeln doppelt und dreifach zu gewährleisten.
Contra: Wir dürfen nicht verspielen, was wir bis jetzt mit viel Mühe erreicht haben
Von Frank Olbert
Alles nur noch virtuell seit Monaten, zur sozialen tritt die kulturelle Distanz: Sie können mir glauben – dass man ins Museum bloß per Mausklick und zum Filmeschauen allein im Heimkino kam, das hat mir sehr aufs Gemüt gedrückt, und ich kann die Sehnsucht absolut nachvollziehen, Kultur wieder in Gemeinschaft mit anderen erleben zu wollen. Wie sehr man etwas schätzt und liebt, merkt man oft erst dann, wenn es plötzlich fehlt.
Dennoch würde ich mir den Besuch eines Konzerts verkneifen, wie es nun für Anfang September in Düsseldorf geplant ist. Ich will niemandem den Spaß verderben, ich kann jeden verstehen, der sich mit 13 000 anderen Menschen ins Stadion begeben will, und ich kaufe den Veranstaltern sogar ab, dass sie sich redlich um die Einhaltung der Hygieneregeln bemühen. Aber ich halte es derzeit für geboten, Abstand zu halten. Weil ich mich selbst schützen und weil ich meine Umwelt nicht in Gefahr bringen will.
Warum achten wir seit Monaten durch Homeoffice und sehr restriktive Anwesenheitsregelungen am Arbeitsplatz, durch Mundschutz und Händewaschen darauf, dass wir dem Virus möglichst wenig Chancen geben? Wenn es geht, vermeide ich es, mit der Bahn zu fahren, und eine Urlaubswoche im Juni haben meine Frau und ich mit Wandern im Bergischen verbracht – Amtmannscherf war eine Entdeckung! Wir haben damit sozusagen Anti-Corona-Kapital aufgehäuft, und das wollen wir verspielen, indem wir uns freiwillig Risiken aussetzen, die Menschenansammlungen ganz klar mit sich bringen?
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Zur – auch moralischen – Begründung, warum sie das Düsseldorfer Konzert auch noch in einer Zeit ansetzen, in der die Infektionszahlen wieder steigen, verweisen die Veranstalter auf die besondere Rolle der Kultur: Diese sei – und damit haben sie Recht – durch die Krise besonders schwer getroffen worden. Aber im Hinblick auf das Virus kann und darf die Kultur keinen Sonderstatus für sich beanspruchen; hier ergeht es ihr ebenso wie dem Fußball oder großen Messen: Die Menge macht’s in diesen Zeiten gerade mal nicht!
Wer auftreten will, soll dies bitte in bescheidenerem Rahmen realisieren – die Popkonzerte im Kölner Jugendpark oder auch das Klassikfestival in Schleswig-Holstein bieten gute Vorbilder. Und wenn es woanders mit den Abstandsregeln nicht gut läuft wie etwa im öffentlichen Nahverkehr, ist das ja wohl kein Freifahrtschein dafür, dass man diese Regeln dann woanders ebenfalls getrost vernachlässigen kann. Es gibt leider derzeit kein probateres Mittel gegen die Pandemie als Distanz – so einfach ist das.
Ich bin beeindruckt von der Disziplin, die vor allem viele junge Menschen in dieser Hinsicht beweisen. Sicher, es gibt die Partys und das Geknubbel auf Plätzen und den Kölner Ringen. Aber viele ticken anders: Meine Kinder sind absolute Musikfans. Als es das Virus noch nicht gab, lebten sie ihre Leidenschaft in Klubs und auf Konzerten aus. Weil sie das Live-Erlebnis lieben und das Gänsehautgefühl, wenn man es mit anderen teilen kann.
Nun sind sie seit Monaten abstinent, auch wenn es schwerfällt. Das imponiert mir, und ich wünsche mir, dass wir uns diese Selbstbeschränkung noch eine Weile auferlegen. Weil wir sonst nämlich verschenken, was wir in den vergangenen Wochen erreicht haben, und weil wir andernfalls riskieren, dass die Herrschaft des Virus noch länger anhält.