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Psychologe Leon Windscheid„Wir sind nicht losgezogen, um Männer zu bemitleiden“

Lesezeit 7 Minuten
Leon Windscheid, Psychologe und "Terra Xplore"-Host.

Leon Windscheid, promovierter Psychologe, Podcaster und 'Terra Xplore'-Host.

Psychologe Leon Windscheid über seine neuen TerraXplore-Folgen zu toxischer Männlichkeit und unser Streben nach Perfektionismus.

Herr Windscheid, für das ZDF-Wissenschaftsformat „Terra XPlore“ haben Sie sich in drei Folgen mit dem Thema „toxische Männlichkeit“ beschäftigt. Wenn Sie heute auf sich selbst und Ihr 20-jähriges Ich zurückblicken, hat sich dadurch etwas an Ihrem eigenen Bild von Männlichkeit geändert?

Leon Windscheid: Ja, ganz klar. Ich bin groß geworden mit so Sprüchen auf dem Schulhof wie „boah ist das gay“. Das Wort schwul war etwas sehr Abwertendes. Man wollte auf keinen Fall unmännlich rüberkommen. Wenn ich heute darauf zurückgucke und mich mit schwulen Freunden unterhalte, denke ich nur: wie furchtbar, wie falsch. Da würde ich schon sagen, hat sich einiges verändert, auch wenn ich sicher noch lange nicht am Ziel bin. Wenn du in einer sexistischen, an vielen Stellen homophoben, unglaublich männerdominierten Welt aufwächst – das soll keine Entschuldigung sein, eher kritische Selbstbeobachtung – dann ist davon noch ganz, ganz viel in deinem Kopf. Ein bisschen wie Silberfäden in einem Stoffgewebe sind einzelne Fäden in dein Gehirn eingezogen. Das ist etwas, was mir in diesen Gesprächen für die Folgen nochmal unglaublich bewusst wurde.

Die klassischen Rollenbilder brechen immer mehr auf, die Gesellschaft wird toleranter und offener. Und trotzdem sind traditionelle Männlichkeitsideale nach wie vor weit verbreitet – auch unter jungen Menschen. Auf TikTok und Instagram gehen zum Beispiel immer mehr Videos von „Alphamännern“ mit sexistischen Aussagen viral.

Es gibt den Trend, dass ein Teil auch gerade der jungen Männer sich eher wieder zurückbewegt in Richtung dieser traditionellen, klassischen Männlichkeitsbilder – während ein anderer Teil sehr progressiv nach vorne geht. Und dann hat man noch einen großen Teil irgendwo in der Mitte dazwischen. Ich glaube, das ist tatsächlich ein sehr guter Spiegel von unseren Ansprüchen ans Mannsein. Der Anspruch ist immer noch: „sei stark, hab Muskeln, sei durchtrainiert, zeige keine Schwächen“. Dazu kommt jetzt aber, „hey, du sollst aber auch über deine Gefühle reden und es wäre toll, wenn wir die Carearbeit teilen und du empathischer und emotionaler wärst“. Da müssen sich viele erst einmal orientieren.

Wie kann man damit umgehen?

Mein Wunsch wäre eigentlich, dass wir verstehen: vielleicht muss das gar keine fixe Entscheidung sein. Vielleicht ist das etwas, wo man flexibel bleiben kann. Für mich zum Beispiel ist mittlerweile klar: Ich habe mich immer als Mann gefühlt, ich mag auch vieles von dem, was ich als männlich definieren würde. Aber ich bin gut beraten, mich immer wieder dem zu bedienen, was als typisch weiblich gilt. Es hilft mir, mich mit Emotionen zu beschäftigen oder mich an der Carearbeit zu beteiligen –denn das ist doch ein ganz großer Teil des Menschseins. Ich hoffe, dass wir das auch mit den Folgen transportieren können.

Konservative Männlichkeitsbilder werden gerade von Rechten instrumentalisiert und ganz bewusst verbreitet. Ist toxische Männlichkeit eine Gefahr für unsere Demokratie?

Ich glaube, Männlichkeit muss vielfältiger gedacht werden. Das bedeutet, dass sie eben auch konservativ sein darf. Wenn ich aber sehe, dass es 2024 noch Männer gibt, die sich berufen fühlen, beim CSD publikumswirksam für Social Media die Regenbogenflagge anzuzünden, denke ich: Da müssen wir dagegenhalten. Da geht es nicht um dich und darum, wie du deine Männlichkeit in deinem Leben lebst, sondern darum, dass du jemandem anderen verbieten möchtest, so zu leben, wie er das will. Das können wir als tolerante, offene Gesellschaft nicht aushalten.

Wir sind für diese Folgen nicht losgezogen, um Männer zu bemitleiden.
Leon Windscheid

Toxische Männlichkeit ist ja definitiv nicht nur für Männer gefährlich …

In der TerraXplore-Staffel geht es auch darum, dass unter unserem Männlichkeitsbild, wie es viel zu lange auf dem Planeten geherrscht hat, vor allem die Frauen und die Nichtmänner gelitten haben – und vielleicht auch die, die diesem Bild nicht entsprechen. Wir sind für diese Folgen nicht losgezogen, um Männer zu bemitleiden. Es muss klar sein, dass wir eine total männlich geprägte Kultur haben, dass wir Männer davon seit Jahrtausenden profitieren. Aber wenn wir anfangen, diese toxischen Männlichkeitsbilder, die in vielen Köpfen existieren, neu zu denken, vielleicht schon ein bisschen zu verändern, dann können wir was gewinnen. Und zwar nicht nur diejenigen, die von uns Männern unterdrückt und fertig gemacht werden, sondern eben auch wir Männer.

Inwiefern?

Wenn es zum Beispiel darum geht, Hilfe in Anspruch zu nehmen in der Gesundheitsversorgung. Oder Risiko-, Sucht, Kriminalitäts- und Aggressionsverhalten runterzufahren. Hoch interessant ist auch, dass Männer im Schnitt 5 Jahre früher sterben als Frauen. Und dass es Studien gibt, die darauf hindeuten, dass es nicht einfach die Biologie des Mannes ist – das liegt auch zum großen Teil daran, wie sich Männer verhalten. Und das ist natürlich geprägt von Gesellschaft und Rollen –darüber wird viel zu wenig gesprochen. Mein wichtigstes Fazit aus den ganzen Gesprächen war für mich: es ist völlig okay, wenn du ein durchtrainierter, von mir aus auch konservativer Mann bist, der gerne am Grill steht und in klassischen Rollenbildern lebt. Aber bitte erkenne, dass Mannsein für andere vielleicht ganz anders funktioniert. Und, dass wir uns einen Gefallen tun würden, wenn wir das nicht mehr so eng fassen.

Mit Ihrer neuen Liveshow „Alles perfekt“ wollen Sie unser Streben nach Perfektionismus in der Leistungsgesellschaft hinterfragen.

Wir leben in einer Welt, in der wir viel Druck haben. Es geht darum höher, schneller, weiterzukommen, immer mehr Leistung zu bringen, zu funktionieren. Mir ist es wichtig, dem was entgegenzuhalten. Wir werden nicht sagen können: „Hey, nimm mal den Gang raus, mach mal halblang, bleib doch mal entspannt.“ Das funktioniert nicht. Wir Menschen wollen uns entwickeln und vorwärtskommen, wir wollen uns selbst verwirklichen, das ist ein ganz tiefer Antrieb in uns. Die Frage muss also eigentlich sein: Wie schaffe ich es, vorwärtszukommen und gleichzeitig nicht dabei kaputt zu gehen? Wenn es mal einen Rückschlag gibt, mich nicht fertig zu machen? Wir sind oft zu anderen Menschen viel netter und fürsorglicher als zu uns selbst. Das ist ein Punkt, der mich bei dieser Show und dem Abend auch umtreiben wird.

Ihre bisherige Karriere könnte man auch gut mit den Worten „Alles Perfekt“ beschreiben. Sie gehen in ganz Deutschland auf Tour, haben bereits zwei Bücher geschrieben, sind Podcaster, ZDF-Moderator und Unternehmer. Das klingt nach ziemlich viel Arbeit und Leistungsdruck. Können Sie da in Ihrer Show auch eigene Erfahrungen teilen?

Absolut. Es gibt oft Nächte, da werde ich um 3 Uhr wach, und dann dreht sich auch alles darum, was schiefgehen könnte, wo ich scheitern könnte, was ich falsch und schlecht mache. Bis heute habe ich ganz oft bei Fernsehdrehs und bei den großen Shows das Gefühl: Ich kann das doch gar nicht. Wann fällt auf, dass ich eigentlich überhaupt nicht qualifiziert bin? Also solche Hochstapler-Gefühle, die ganz viele Menschen kennen. Und deswegen wird das sicherlich auch ein Stück weit persönlich, auch wenn es keine Show über mich selbst ist.

Es gibt oft Nächte, da werde ich um 3 Uhr wach, und dann dreht sich auch alles darum, was schiefgehen könnte.
Leon Windscheid

Also sind Sie selbst auch Perfektionist?

Ich habe oft dieses Gefühl, wenn du das noch schaffst und da noch hinkommst, dann wirst du zufrieden sein. Und dann schaffst du das und kriegst den nächsten Punkt in deinem Lebenslauf abgehakt und bist trotzdem nicht zufrieden mit dir. Letztens habe ich auf meinem Computer ein Dokument von 2014 gefunden, das hieß „Lebensplanung“. Das habe ich vor 10 Jahren geschrieben, mit Mitte 20. Und das war so streng zu mir selbst: Mein Ziel war ein Job in einer Unternehmensberatung, dann wollte ich zu einer Top-Uni, dann wollte ich nochmal ins Ausland … ich hatte so viele To-dos auf dieser Liste. Zu diesem Mitte-Zwanzigjährigen würde ich heute gerne zurückreisen und sagen: Junge, mach dir nicht so viel Druck.


Leon Windscheid (35) wurde bekannt, als er als Student bei „Wer wird Millionär?“ die Millionen gewann. Der promovierte Psychologe und Autor hat mehrere Podcasts, unter anderem mit Atze Schröder („Betreutes Fühlen“) und ist Moderator bei TerraXplore (ZDF). Drei Folgen zum Thema „Toxische Männlichkeit“ sind seit dem 5. August in der ZDF-Mediathek zu sehen und laufen am 8. und 15. September sowie 6. Oktober 2024, jeweils um 18.30 Uhr im ZDF. Mit seinem neuen Programm „Alles Perfekt“ tritt Windscheid am 20. Februar 2025 in der Kölner Lanxess-Arena auf.