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Queen-Gitarrist Brian May wird 75„Ich glaube, wir müssen radikal umdenken“

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Queen-Gitarrist Brian May wird 75 Jahre alt  

  1. Sein Sound prägte eine Generation: Queen-Gitarrist Brian May feiert am 19. Juli seinen 75. Geburtstag
  2. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir noch einmal ein Interview, das wir bereits 2016 mit May geführt hatten.

Brian May, haben Sie schon von Stephen Hawkings Projekt "Breakthrough Starshot" gehört? [Hawking starb zwei Jahre später, im März 2018, Anm. d. Red.] Ein Sonnensegel-Raumschiff, das in nur 20 Jahren die Strecke von 4,37 Lichtjahren bis zum nächsten Stern, Proxima Centauri, überwinden soll?

Brian May: Habe ich leider nicht, aber Stephen Hawking ist ein guter Freund von mir. Kennengelernt habe ich ihn dank eines anderen Freundes, des Astrophysikers Garik Israelian. Der organisiert auch das Starmus-Festival auf Teneriffa ...

... das alljährliche Zusammentreffen von Astronomen mit Musikern und anderen Kreativen, das sie mit begründet haben ...

... und auf dem ich nächsten Monat Stephen Hawking wieder treffen werde, denn ihm ist das diesjährige Starmus gewidmet. Ich habe das Glück, viel Zeit mit großartigen Leuten verbringen zu dürfen. Ein großer Bonus des Ruhms.

Leute, deren Ehrgeiz Sie teilen! Hawking will interstellare Grenzen überwinden, Sie haben mit Queen Genregrenzen eingerissen.

Aber hier geht es um etwas Größeres als Queen. Meiner Generation hat man beigebracht, dass Kunst und Wissenschaft Gegensätze seien, die man nicht vermischen sollte. Ein furchtbarer Fehler! Die jetzige Generation fügt diese Dinge wieder zusammen. Ich denke an jemanden wie Matt Taylor, den Leiter der Rosetta-Mission. Der ist der größte Heavy-Metal-Freak, den Sie sich vorstellen können.

Und zeigt das stolz mit T-Shirts und Tätowierungen!

Für den gibt es diese Demarkationslinie nicht mehr. Ich wollte immer Teil der Wissenschaft und Teil der Kunst sein. Deswegen interessiere ich mich auch so für das Viktorianische Zeitalter. Die Viktorianer kannten diese Trennung noch nicht. Prinz Albert hat damals die "Great Exhibition" organisiert. Da ging es nicht um Künstler auf der einen und Wissenschaftler auf der anderen Seite, sondern einfach um die Dinge, die Menschen erschaffen haben. So sollte es sein. Und in der besten aller Welten beeinflussen sich all diese Dinge. Das sollten wir wieder lernen.

Es ist egal, welche sexuellen Präferenzen du hast

Und wie war das bei Queen?

Bei Queen ging es auch darum, verschiedenste Leute zusammenzubringen. Schon der Name suggeriert ja, dass es egal ist, wo du herkommst und welche sexuellen Präferenzen du hast. Jeder ist gleich, das war von Anfang an die Definition von Queen, und das hört man ja auch in unserer Musik. Ich selbst habe erst in den letzten zehn Jahren verstanden, dass ich meine Stimme nicht nur nutzen kann, um Songs zu schreiben, sondern auch, um Menschen die Augen zu öffnen. Will man etwas zum Besseren verändern, muss man sich leider mit Politik auseinandersetzen. Das ist eigentlich das Letzte, was ich machen möchte. Ich werde niemals ein Parlamentsmitglied werden. Aber wenn du etwas gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt unternehmen willst, musst du dich mit diesen Leuten treffen.

Als sie Ende der 60er Jahre anfingen, hätten sie wohl kaum einen Termin bei einem Unterhaus-Abgeordneten bekommen.

Natürlich. Das ist wie ein Geschenk. Leute schenken mir ihre Zeit und hören mir zu. Das ist auch eine große Verantwortung. Ich muss diese geschenkte Zeit so gut nutzen, wie ich kann.

Dann schenke ich Ihnen jetzt auch mal Zeit: Welches Thema liegt Ihnen am meisten am Herzen?

Die Art und Weise, wie wir andere Geschöpfe auf diesem Planeten behandeln. Schlimm genug, wie wir andere Menschen behandeln. Aber wie wir mit all den Spezies umspringen, mit denen wir uns diese Erde teilen, ist erschütternd. Dieser Umgang gründet auf der falschen Voraussetzung, dass der Mensch die wichtigste Spezies auf diesem Planeten sei. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Wir haben gelernt, dass die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums liegt, nicht mal im Mittelpunkt des Sonnensystems. Dass dieses Sonnensystem am Rand einer Galaxie liegt, die selbst nur ein kleiner Fleck im Universum ist. Wir befinden uns nicht im Zentrum von irgendwas. Warum sollten wir das Wichtigste auf diesem Planeten sein, der so reich an Lebensformen ist? Ich glaube, wir müssen radikal umdenken. Dahingehend, dass alle Lebewesen das Recht auf ein Leben in Würde und einen würdigen Tod haben.

Im Studio gab es viele Konflikte

Zurück zu den Gemeinsamkeiten von Wissenschaft und Kunst: Sind Sie im Studio ähnlich systematisch vorgegangen, wie in Ihrer Arbeit als Astronomie-Student?

Nein, im Studio war die Arbeit viel instinktiver. Niemand von uns verfügte über musiktheoretisches Wissen. Und wir waren sehr streitlustig. Stellen Sie sich vier Maler vor, die an einem Bild arbeiten. Da gab es viele Konflikte. Die machten uns am Ende vielleicht stärker. Aber sie raubten auch viel Energie.

Man findet kaum eine andere Band, in der alle vier Mitglieder so viele Hits geschrieben haben.

So ist es. Wir haben uns letztlich an einige ungeschriebene Richtlinien gehalten. Eine lautete: Wenn du einen Song mitbringst, zu dem dann jeder etwas hinzugefügt, hast du trotzdem das letzte Wort bei der Abmischung. Da entscheidest du, was drin bleibt, was rausfällt. Das ist das wirklich entscheidende Stadium. Aber auch mit diesen Richtlinien hielten die Kämpfe an. Jeder hatte eine andere Idee davon, was Queen eigentlich ausmacht. Das ist lange her, aber es schwingt immer noch mit. Aus irgendeinem Grund weigert sich die Band, den Geist aufzugeben.

Wie hat sich die Dynamik verändert, jetzt, wo nur noch Sie und Roger Taylor als Original-Mitglieder übrig sind? Und wie ist das Verhältnis zu ihrem Sänger, Adam Lambert?

Roger und ich haben Adam sofort als gleichberechtigten Partner akzeptiert. Er ist zwar nur halb so alt wie wir, aber so ein großes Talent, dass wir ihn als Bruder in die Band holen wollten - und nicht als Angestellten. Wir nehmen noch andere Musiker mit auf Tour, aber wir drei bilden jetzt den Kern. Wir definieren, was Queen jetzt ist. Und Roger und ich? Wir streiten immer noch miteinander.

Sie musizieren seit 1968 zusammen, so lange sind meine Eltern verheiratet. Führen Sie eine alte Ehe?

Ja, es ist eine lange Beziehung. Wir sind ein bisschen erwachsener geworden. Aber Adam frischt diese alte Ehe definitiv auf.

Warum Queen zu viele Hits haben

Wer heute ein Queen-Konzert besucht, weiß genau was er hören will. Ist das nicht ein wenig schade?

Wir haben viele Songs, von denen muss ich nur ein paar Akkorde anspielen, und den Leuten schwillt die Brust. Das ist toll. Leider gibt es zu viele dieser Hits, und die Fans regen sich auf, wenn man einen weglässt. Aber wenn du jeden einzelnen Hit spielst, gibt es keinen Platz mehr zum Experimentieren. Das ist eine unserer größten Herausforderungen, dem Publikum diesen Raum abzutrotzen.

"We Are the Champions" - haben Sie das nicht gründlich satt?

Nein, Songs durchleben verschiedene Phasen, mal stecken sie voller Leben, mal sollte man ihnen eine Verschnaufpause gönnen.

Früher fand sich auf Ihren Platten der Hinweis "No Synthesizers" ...

Das war eigentlich nur ein Spaß. John Peel hatte einige unserer ersten Songs im Radio vorgestellt. Und ein Kritiker schrieb: Na ja, diese Queen-Stücke sind ziemlich gut, aber das haben die alles mit Synthesizern gemacht. Wir wollten den Leuten klarmachen, dass wir diesen Sound nur mit Stimmen und Gitarren erreicht haben. Sie dürfen nicht vergessen, Synthesizer waren damals unförmige Kisten. Und die Gitarre ist ein so ausdrucksstarkes Instrument. Sie hat diesen menschlichen Faktor.

Starteten Sie heute ihre Musikkarriere, klappten sie also nicht einfach den Laptop auf?

Ja, weil die Gitarre ein magisches Instrument ist. Sie kann Gefühle transportieren. Sogar von Leuten, die nicht besonders gut spielen können. Kurt Cobain würde, glaube ich, nicht widersprechen, wenn ich sage, dass er nicht der technisch versierteste Gitarrist der Welt war. Aber die Musik, die er auf seiner Gitarre spielte, weckte gewaltige Emotionen.

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Sie haben Ihre erste Gitarre, die "Red Special", zusammen mit ihrem Vater gebaut. Sein Bastelprojekt, oder mussten Sie ihn überreden?

Das ging von mir aus. Ich brauchte ein Instrument, und konnte mir keines leisten. Aber mein Vater war enthusiastisch und wir hatten eine herrliche Zeit zusammen. Das hat uns sehr zusammengeschweißt.

Die meisten Väter würden sich wohl nicht die Zeit nehmen ...

Manchmal arbeitete einer von uns alleine an der Gitarre weiter. Meinem Vater ist eines Nachts der Stechbeitel ausgerutscht und hat einen großen Schnitt in der Seite hinterlassen. Er war untröstlich, weinte fast: "Ich habe alles ruiniert." Ich tröstete ihn: "Wir können das doch wieder reparieren, wird schon." Den Schnitt sieht man bis heute. Für mich ist er das Schönste an der Gitarre. Das ist die menschliche Seite, sehen Sie?

Sie spielen die "Red Special" immer noch auf der Bühne?

Auf jeden Fall. Sie wird gerade ein wenig überholt. Der Rücken wird neu lackiert, kleine Reparaturen am Griffbrett ausgeführt, ein paar Risse aufgefüllt. Wir sind zusammen schon einige Jahrzehnte lang unterwegs, da bleiben Alterserscheinungen nicht aus. Vor allen Temperatur- und Feuchtigkeitsunterschiede haben sie in Mitleidenschaft gezogen. Letztes Jahr haben wir in Tokio gespielt, da war es heiß und feucht wie in einer türkischen Sauna. Anschließend ging es ins kalte, trockene Flugzeug. So reißt die Oberfläche auf. Kurz gesagt: Wir versuchen beide, nicht aus dem Leim zu gehen.

Sie haben dieser Gitarre Klänge mit hohem Wiedererkennungswert entlockt. Waren das glückliche Zufälle, oder wussten Sie, was Sie da taten?

Mir schwebten ganz bestimmte Klänge vor. Das war eine Leidenschaft von mir, schon in jungen Jahren. Es gibt ein Solo von Jeff Beck auf "Hi Ho Silver Lining", da hat er seine Gitarrenspur verdoppelt. Einen Moment lang spielt er nicht mehr ein-, sondern zweistimmig. Das hat mich umgehauen. Ich habe es mir immer wieder angehört. Und mich gefragt, ob man nicht auch ein mehrstimmiges Orchester aus Gitarren aufnehmen könnte? Das war lange, bevor ich das im Studio wirklich konnte.

Freddy Mercurys Ermutigungen

Sie haben einmal gesagt, dass Sie ihre besten Soli zu den Songs von Freddy Mercury gespielt haben ...

Bei meinen eigenen Liedern hatte ich oft eine fixe Vorstellung davon, wie sie sich am Ende anhören sollten. Freddys Songs ließen mir größere Freiheiten, da konnte ich unvoreingenommener spielen, mehr wagen. Egal, um wessen Song es ging, Freddy hat mich immer sehr unterstützt. Wenn jemand, dessen Urteil du vertraust, sagt: "Das war super! Lass das so!", dann hilft das unheimlich. Ich habe das dann auch für ihn gemacht, wenn er gesungen hat.

Auf dem letzten gemeinsamen Album "Innuendo" sind alle Autorenrechte schlicht "Queen" zugewiesen.

Eine bewusste Entscheidung. Ich wünschte, wir hätten sie früher getroffen. Plötzlich waren wir diesen ewigen Wettbewerb los. Wir haben auch enger zusammengearbeitet. Bei "The Show Must Go On" saß ich lange mit Freddy zusammen, wir unterhielten uns über jede einzelne Textzeile. Leider ging es Freddy nicht besonders gut. Ich musste den Song alleine zu Ende schreiben. Als er dann endlich wieder ins Studio kam, nahm er diesen wunderbaren Gesangspart auf. Das war seine letzte Performance.