„Simpsons“ beleidigen SängerWarum mir Morrissey leid tut
Los Angeles – Bevor er als Sänger der Smiths zum Posterboy aller unverstandenen Jugendlichen wurde, träumte Morrissey allein in seinem Kinderzimmer den süßen Traum von der Rebellion ohne Grund. Seine Wände hatte er mit Bildern von James Dean tapeziert, dem Hollywoodstar, dessen Kultstatus durch seinen frühen Tod auf ewig zementiert worden war.
Wäre Morrissey vor seinem 30. Lebensjahr gestorben, hinge auch sein Bild in Millionen von Jugendzimmern. Gemäß des Spruchs aus "The Dark Knight", nachdem man entweder als Held stirbt oder erlebt, wie man zum Bösewicht wird.
Von diesem Abgrund, der zwischen dem gladiolenstangenschlanken Schmerzensmann aller Spätpubertierenden und dem selbstgerechten, rassistischen Onkel klafft, handelt die „The Simpsons“-Folge „Panic on the Streets of Springfield“, die gerade im US-Fernsehen ausgestrahlt wurde. In der entdeckt Lisa die Musik der britischen Band The Snuffs und ihres charismatischen Sängers Quilloughby, dessen junges Ich sich prompt als ihr neuer Fantasiefreund materialisiert.
Eine warmherzige Hommage?
Benedict Cumberbatch, der englischste aller englischen Schauspieler, spricht nicht nur den theatralisch seufzenden Quilloughby, er singt auch treffsichere The-Smith-Parodiesongs wie „Everyone Is Horrid Except Me (and Possibly You)“. Eine warmherzige Hommage.
Warum reagiert der reale Morrissey dann derart angefasst? „Verletzend und rassistisch“, schimpft er die Folge, unter anderem. Das Statement auf seiner Facebook-Seite hat die Länge eines typischen Soziale-Medien-Kontrollverlustes. Sein Ärger bezieht sich wohl auf das Ende der Episode: Lisa besucht ein Quilloughby-Konzert und stellt fest, dass aus ihrem Idol ein müder, fetter, alter Mann geworden ist, der rassistische Bemerkungen über Einwanderer macht. Dass der überzeugte Veganer dazu auf offener Bühne einen fetttriefenden Hamburger ist, haben sich die Autoren sicher nur einfallen lassen, um Morrissey eine publicityträchtige Reaktion zu entlocken.
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Schließlich geht es den „Simpsons“ nicht anders als dem Sänger: Das kulturelle Kapital der Serie stünde höher, wäre sie nach den ersten neun Staffeln abgesetzt worden. Auch sie sah sich zuletzt – wegen der stereotypischen Darstellung des indischen Kwik-E-Mart-Betreibers Apu – mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert.
Freilich ist es ein Unterschied, ob man allzu lange an humoristischen Klischees vergangener Jahrzehnte festgehalten hat, oder ob man, wie Morrissey, anderen Ethnien unverzeihliche Beleidigungen an den Kopf wirft und sich aktiv für fremdenfeindliche Splitterparteien ausspricht. Dachte ich zumindest im ersten Augenblick.
Sein eigener Posterboy
Doch je länger ich über die Sache nachdenke, desto mehr tut mir Morrissey leid. Alle seine Idole sind vor ihrer Zeit gestorben - Oscar Wilde, James Dean, Marc Bolan – und er hat sich sehr erfolgreich nach diesen Vorbildern stilisiert, ist sein eigener Posterboy geworden. Wie man altert, das hat er nicht nur nicht gelernt, im Gegenteil: Er macht es dem Rest der Welt zum Vorwurf, dass sie sich geändert hat. Letztlich lassen sich alle seine unappetitlichen Äußerungen auf diese narzisstische Kränkung zurückführen.
Vor fast 20 Jahren habe ich ein Morrissey-Konzert im Londoner Alexandra Palace besucht. Der liegt auf einem Hügel, ein gutes Stück von der nächsten Underground-Station entfernt. Auf dem rutschigen Rückweg, es hatte in Strömen geregnet, trat ich in eine tiefe Pfütze und schlug hin. Mein Körper war der Länge nach genau zur Hälfte mit Schlamm bedeckt und so musste ich eine Dreiviertelstunde in der U-Bahn sitzen und mich von meiner Frau auslachen lassen.
Vielleicht sollten wir uns so auch Morrissey vorstellen, als halb besudelte, lächerliche Figur. In deren Haltung zugleich etwas Heroisches liegt: Die quichotische Hingabe an das Oscar-Wilde-Diktum, dass die Jugend das einzige ist, was sich zu besitzen lohnt.