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Soap&Skin„Will doch viel lieber eine Made sein“

Lesezeit 4 Minuten

Soap&Skin trat während der c/o pop in der Kölner Philharmonie auf.

„Diese Romantisierung!“, ächzt Anja Plaschg. „Das halte ich nicht mehr aus.“ Seit die damals 18-jährige Österreicherin 2009 ihr Debüt „Lovetune for Vacuum“ unter dem Namen Soap&Skin veröffentlicht hat, stapelt sich Klischee auf Klischee. Scheu wie ein Reh sei sie, verhuscht und voll morbiden Schmähs, Österreichs Hauptexportartikel. Vor ein paar Tagen noch bat sie der Regisseur eines Kulturmagazins, sich vor der Kamera im Kreis zu drehen. Im fertigen Beitrag wurde das als Schlussbild verwendet, in Zeitlupe – Elfe wider Willen.

Am Sonntagabend, auf dem Abschlusskonzert der c/o pop, erlebt das Publikum in der Kölner Philharmonie eine andere Anja Plaschg. Eine, die zwar auf Ansagen verzichtet, nervös ist. Aber zugleich mit weit ausholenden Armbewegungen fordernde Klangkaskaden dirigiert, die ihrem auf dem Flügel abgelegten Laptop oder dem kleinen Streicherensemble entspringen, an wollüstigen Rachmaninow oder sperrigen, späten Scott Walker gemahnen. Über der Bühne schwebt Nebel wie eine künstliche Regenwolke, die jedes Soap&Skin-Konzert begleitet. Nur ein einsames Verfolgerlicht erhellt die Künstlerin. Ja, es geht hier oft um den Tod, aber nicht um schwarzromantische Sehnsucht nach dem Sensenmann. Plaschg hat ihr aktuelles Album „Narrow“ ihrem Vater gewidmet, der vor zweieinhalb Jahren plötzlich starb, kurz nach dem seine kleine Tochter zum Star geworden war.

Aus dem Loch herausklettern

Am Erstling hatte Plaschg fünf Jahre lang gearbeitet, die ältesten Aufnahmen schon mit 14 eingespielt. Damals hatte sie aus Abstrakterem geschöpft, als sie Songs nach dem griechischen Totengott benannte. Dann warf sie der reale Tod des Vaters ins tiefe Loch der Depression. „Ich war in ärztlicher Behandlung, ging dann für einen Monat nach Italien.“ Während dieser Zeit schrieb sie ihr erstes Lied in der Muttersprache, es heißt schlicht „Vater“, und sie schrieb ein ganzes Jahr daran. „Erst danach konnte ich aus dem Loch herausklettern.“ Das Ergebnis dieser Trauerarbeit – nach der sie eine Art Frieden gefunden habe – spielt sie in Köln erst, nachdem sie den Saal bereits einmal verlassen hat. „Ich trink auf dich Dutzende Flaschen Wein“, intoniert sie darin mit Leichenzug-Stimme , „und will doch viel lieber eine Made sein.“

Es geht um die unmögliche Nähe zum zerfallenden Körper: „Zuerst weiß, dann blau, dann grau, dann grün, dann Schaum, dann braun und Laut und Staub“, singt sie weiter, und endlich bricht die Musik in beinahe triumphalen Lärm aus und hinterlässt die Hörer ausgepresst, den Tränen nah, aber auch gereinigt und erhoben. „Verwundbarkeit“, sagt Plaschg, „ist doch keine Schwäche.“

„Narrow“, „eng“, heißt das kurze Album, zu dem „Vater“ den Auftakt bildet, weil es aus einer Enge heraus entstanden ist, weil sie noch einmal knapp davongekommen ist und weil „ich kurzsichtig war. Ich konnte nicht den nächsten Schritt sehen, den ich gehen wollte. Es war alles sehr dunkel.“ Die Aussicht sei seitdem nicht heller geworden. Aber sie habe keine Angst mehr vor dem nächsten Schritt ins Dunkel. Anja Plaschg sehnt sich nicht nach dem Tod, sondern nach dem Leben und nach einer lebensausfüllenden Kunst, nach einer Musik, die absolut ist. Wenn sie auftritt, sagt die 22-Jährige, sei das keine Inszenierung. „Es passiert einfach mit mir. Die Musik zwingt mich.“

Schokoladenmarke mit Weihrauch und Schweineblut

Dramatisch ist die Musik von Soap&Skin, nicht theatralisch, befand Daniel Richter vor kurzem in einem Interview. Plaschg besuchte von ihrem 16. Lebensjahr an für zwei Jahre die Meisterklasse des Hamburger Malers. Aufgewachsen ist sie in einem 2000-Seelen-Dorf in der Steiermark, die Eltern betrieben einen Schweinemastbetrieb. Wie sie es so schnell aus tiefster Provinz in Kunstakademien und Konzerthallen geschafft habe, wundere sie selbst. „Meine Eltern haben meine Musik lange belächelt. Erst als ich erfolgreich war, kam der Stolz.

Besonders bei meinem Vater. Der hatte auch einen Musiker in sich, hat Gitarre gespielt und gesungen. Der hat mich auch gezwungen, den Klavierunterricht nicht mit 13 Jahren abzubrechen.“ Als er seine Tochter dabei erwischte, wie sie sich für ein Kunstprojekt von ihrer älteren Schwester nackt im elterlichen Schweinestall filmen ließ, hätte er nur über „diese verrückten Sachen“ gelacht. Im Foyer der Philharmonie kann man Plaschgs eigene Schokoladenmarke erstehen, mit Weihrauch und Schweineblut.

Die Schwester steht mit ihr auf der Bühne, Plaschg nennt sie ihre Muse: „Ich habe meinem Vater ein paar Tage, bevor er gestorben ist, erzählt, dass ich jetzt Noten für ein Ensemble schreibe, und dass die Evelyn, dass meine Schwester mitsingen wird. Diese Vorstellung hat ihn sehr glücklich gemacht.“