Die britische Trompeterin Alison Balsom spielt in der Kölner Philharmonie ein neues Stück von Wynton Marsalis. Ein Gespräch.
Star-Virtuosin Alison Balsom in Köln„Trompete spielen galt lange Zeit als Macho-Sport“
Alison Balsom, 1978 im englischen Royston geboren, gehört zur Spitze der internationalen Trompeterszene. Sie studierte in London an der Guildhall School of Music, am Pariser Conservatoire, wo sie 2001 mit der höchsten Auszeichnung abschloss, sowie bei Håkan Hardenberger. Sie gewann zahlreiche Preise und spielt mit den bedeutendsten Orchestern weltweit. Balsom pflegt das Repertoire ihres Instruments vom Barock bis zur Moderne und ist Auftraggeberin und Widmungsträgerin zahlreicher zeitgenössischer Trompetenkonzerte.
Am Dienstag, 23. April, 20 Uhr, spielt sie im Meisterkonzert mit dem London Symphony Orchestra unter Antonio Pappano das 2023 uraufgeführte Trompetenkonzert des US-amerikanischen Jazz-Trompeters und -Komponisten Wynton Marsalis. Außerdem stehen Samuel Barbers Adagio for Strings und die fünfte Sinfonie von Ralph Vaughan Williams auf dem Programm.
Alison Balsom, in der Kölner Philharmonie spielen Sie jetzt, mit dem London Symphony Orchestra unter Antonio Pappano, das neue Trompetenkonzert von Wynton Marsalis. Warum haben Sie sich dieses Stück ausgesucht?
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Alison Balsom: Es suchte mich! Ich denke, Marsalis gehört zu den führenden Gegenwartskomponisten, und als Jazz-Musiker komponiert er ja ganz unmittelbar, also während der Performance, parallel zu seinem produktiven Output an großen Orchesterwerken. Er ist ein meisterlicher Orchestrator, hat Originelles zu sagen und kennt die Trompete besser als irgendwer sonst. Ich glaube wirklich, dass sein neues Werk das wichtigste und effektvollste Stück für Trompete seit rund 200 Jahren ist, seit Johann Nepomuk Hummels Trompetenkonzert. Marsalis liebt einfach die Trompete, er weiß, wie man jeder ihrer Eigenschaften auf den Leib rücken kann. Sein Konzert zeigt die vielen Charaktere, die sie „bewohnt“ – und die Grenzen, die sie lustvoll missachtet. Es ist eine große physische und mentale Herausforderung und schließt jede technische Schwierigkeit ein, die man sich nur vorstellen kann. Aber es ist so gut geschrieben und instrumentiert, es musikalisiert jede Idee in einer Weise, dass es für den Spieler vom Anfang bis zum Ende ein pures Vergnügen ist.
Marsalis' Tonart ist ausdrücklich Es-Dur, die von Haydns legendärem Trompetenkonzert von 1796. Ist Marsalis dieser Tradition verpflichtet?
Nun, das Stück startet in Es-Dur und spielt sicherlich auf den großartigen Vorgänger an. Aber die harmonische Reise, auf die wir gehen, führt uns dann doch schnell in weit entfernte Bezirke. Dennoch: Es-Dur bindet das ganze Werk am Ende zusammen – was, so vermute ich, für ein zeitgenössisches Werk eher ungewöhnlich ist.
Wie Sie schon sagten: Marsalis ist ein glanzvoller Jazz-Trompeter und -Komponist. Wie geht das zusammen – die Anspielung auf die Wiener Klassik und der Jazz?
Ich kenne nicht viele Musiker, die Beethovens Gesamtwerk so gründlich studiert haben wie Marsalis. Er gehört zu jenen seltenen Fällen, da ein großer Musiker in beiden Welten zu Hause ist. Und die Trompete ist das perfekte Instrument, den Graben zwischen ihnen zu überbrücken. Jazz gilt ja gemeinhin als die „natürliche Heimstatt“ des Trompetensounds, aber der ist eigentlich überall – wenn man nur richtig hinhört. Er herrscht in berühmten Film-Soundtracks, denken Sie etwa an Stevie Wonder; er spielt eine Schlüsselrolle in allen großen Religionen, lässt sich historisch hinter Tutenchamun zurückverfolgen; es ist der Sound der Weihnachtslieder. Die Trompete oder ein entsprechendes Instrument findet sich in den meisten Weltkulturen. Dann aber ist da tatsächlich der Jazz, von dem ich glaube, dass seine Entstehung und Ausbreitung im vergangenen Jahrhundert zu den menschlichen Gipfelleistungen gehört.
Und von all dem kündet Marsalis' Konzert?
Ja. Hören Sie nur den Anfang. Das Werk beginnt mit einem Hornklang, so prähistorisch wie man es sich nur vorstellen kann: den Rufen eines wilden Elefanten! Es ist übrigens das erste Mal, dass ich ein Tier imitieren muss. Das Konzert reist dann durch die Vergangenheit, mit Fanfaren und feierlichen Passagen genauso wie durch die Sphäre des romantischen instrumentalen Singens, wie es zuerst Louis Armstrong praktiziert hat. Dann geht's zum Jazz und Blues; und zur flackernden mexikanischen Trompete – mit einem durchdringenden metallischen Sound, der mich an Uma Thurman erinnert, wie sie sich in Tarantinos „Kill Bill“ aus ihrem Grab herauskämpft. So geht es dann weiter bis zur finalen virtuosen Tour de Force – einer hemmungslosen, unerbittlichen und sich beschleunigenden Attacke.
Generell die Frage: Welche Erwartungen muss ein zeitgenössisches Stück für Trompete bedienen, damit Sie es spielen?
Es zu spielen, muss Spaß machen, und es muss für das Instrument „arbeiten“. Um noch einmal auf Marsalis zurückzukommen: Sein Konzert, das den zeitgenössischen klassischen Kanon auf epische Weise erweitert, besteht aus sechs Sätzen und ist 35 Minuten lang. Wegen der benötigten physischen Stamina ist das eine lange Zeit für Solotrompete – nicht zuletzt für die Lippenmuskeln. Sie geht aber im Flug vorbei – als eine kurze Weltgeschichte, erzählt durch das Instrument. Und wenn Sie mich in den kommenden Wochen fragen, wie es ist, ein Solotrompeter zu sein, dann werde ich kaum an mich halten können vor Begeisterung über diesen historischen Augenblick für mein Instrument und Ihnen sagen, dass es der einfachste Job auf dem Planeten ist – wenn eben einer nur die richtige Partitur abliefert.
Wie Sie wissen, war der Barock die goldene Ära der Trompete. Das 19. Jahrhundert? Fehlanzeige. Die „Erlösung“ kam dann erst im 20. Jahrhundert …
Ja, absolut. Auf lange Zeiträume gab es, verglichen mit anderen Instrumenten, wenig für die Trompete, vor allem in der Romantik. Die Jazz-Explosion führte sie dann in den Mainstream zurück, aber beim klassischen Repertoire für Trompete sieht es, ehrlich gesagt, immer noch mau aus – obwohl wir im 20. und 21. Jahrhundert ein paar wertvolle Zugänge hatten und haben. Das ist ja auch der Grund, warum ich über Marsalis' neues Stück so begeistert bin.
Heutzutage sind Trompeterinnen im musikalischen Business keine Ausnahmen mehr. Aber sie waren es, als Sie Ihre Karriere starteten. Können Sie sich an Hindernisse und Vorurteile erinnern, als Sie das Instrument erlernten? Hörten Sie Statements wie: „Trompete geht nur für Jungs“?
Als ich auf der Schule mit der Trompete anfing, gab es etliche Mädchen, die mit mir spielten, und der Gender-Aspekt spielte keine Rolle. Erst als ich älter wurde, kamen diese Stereotypen auf. Historisch gesehen, war es in der Tat unüblich, dass Frauen Blechblasinstrumente spielten – eben aufgrund hartnäckiger Geschlechterstereotypen. Die Trompete ist, ich sagte es, körperlich fordernd, weshalb sie als Instrument in so eine Kategorie von Macho-Sport zu fallen pflegte. Diese Tage hat die Trompete aber hinter sich, heute wird sie eher verstanden im Sinn der harten Herausforderungen, die sich einem Balletttänzer stellen. Extreme Stärke und fehlerlose Technik sind essenziell – aber das ist nur der Anfang. Wenn du nicht durch eine Denkart des „Laut, Schnell, Hoch“ hindurchnavigieren kannst, um schließlich dein expressives und authentisches Selbst zu erreichen, dann ist das verlorene Liebesmüh um dieses verblüffende Stück aus Metallröhren.
Sie haben bei dem illustren schwedischen Trompeter Håkan Hardenberger studiert. Was konnten Sie von ihm lernen?
Zum ersten Mal erlebte ich ein Konzert mit Hardenberger im Londoner Barbican Center, als ich gerade neun Jahre alt war – und in diesem Augenblick wusste ich, dass ich Solo-Trompeter werden wollte. Ich war gefangen und liebte alles an seinem Spiel. Die Dinge rundeten sich, als ich dann später Unterricht bei ihm nahm, und tatsächlich half er mir, meine eigene musikalische Individualität zu entwickeln. Er ist wirklich ein bemerkenswerter Trompeter.
Das Musik-Business tendiert dazu, Interpreten vermarktungsfähige Etiketten aufzukleben. In Ihrem Fall also: Alison Balsom spielt nicht nur gut Trompete, sondern ist auch blond und sieht gut aus. Wie gehen Sie mit solchen Zuschreibungen um, bleiben Sie gleichgültig, oder wehren Sie sich?
Sie sagen mehr über die Zuschreiber aus als über mich – weswegen mich all das auch nicht betrifft und berührt. Ich nehme meine Arbeit ernst und gehe ihr diszipliniert nach. That's all.