Die Clubs trifft die Pandemie besonders hart. Sie waren die ersten, die schließen mussten, und sie werden die letzten sein, die wieder öffnen.
Was in der Krise auf der Strecke bleibt, davon ist Fabian Thylmann, Eigentümer des Bootshaus’, überzeugt, ist dauerhaft fort.
Alle Club-Betreiber, egal ob klein oder groß, haben eines gemeinsam: Die Politik interessiert sich nicht für sie.
Köln – Unverdrossen schwenkt der Gartenzwerg im Schaufenster seine Fahne: „Liebe Deinen Club!“, steht darauf – das klingt derzeit ein wenig verzweifelt, auch wenn der Zwerg lustig wie immer mitten auf einem kaputten Plattenspieler thront. Die Liebe zum Club ist gerade eine Fernbeziehung.
Corona hat zugeschlagen, darauf weist ein Zettel hin, der im Fenster des Kölner Tsunami-Clubs gleich neben der launigen Zwerg-Plattenspieler-Collage liegt. Eine Durchhalteparole: „Wir vermissen Euch!“, steht darauf. „Durchhalten! Wir sehen uns – F + M, 2. Mai, 22 Uhr.“
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Der Tsunami-Club in der Südstadt nahe dem Chlodwigplatz ist eine durchaus traditionsreiche Kölner Institution. Hier ist bereits der junge Herbert Grönemeyer aufgetreten, damals, in den 80er Jahren, noch mit einer Jazz-Formation. Jung ist der Club geblieben, davon zeugen die Sticker von vielen Nachwuchsbands, die ihre Fans auf die silbrigen Belüftungsrohre an der Decke geklebt haben. „Louder than Wolves“.
Zwangspause wird für Renovierungen genutzt
Laut ist es tatsächlich gerade im Tsunami-Club, die Geräuschkulisse stimmt, nur nicht in der gewohnten Art und Weise. Statt elektrisch verstärkter Gitarren, Bässe und Schlagzeug sind Bohrer zu hören, mit denen Arbeiter gegen die Wände vorrücken. Jakob Holterhöfer, Geschäftsführer des Clubs, nutzt die Zwangspause, um zu renovieren. Sogar einen Geschirrspüler schafft er an, der den sogenannten Spülboy für die Kölschgläser hygienisch effektiv ersetzt. Das Bier ist in all der Zeit seit dem Beginn des Lockdown Mitte März allerdings schlecht geworden.
„Die Clubs waren die ersten, die schließen mussten, und sie werden die letzten sein, die wieder öffnen“ – so zitiert er einen Satz, der düster über der Kölner Szene hängt. Vom Tsunami-Club in der Südstadt bis zum Bootshaus am rechten Rheinufer nahe der Zoobrücke, vom Gebäude 9 an der Deutz-Mülheimer Straße bis zum Sonic Ballroom in Ehrenfeld überall das identische traurige Bild: verödete Bühnen, leere Tanzflächen, verwaiste Mischpulte und stumpfe Diskokugeln an der Decke. Und kein Schimmer, wie und wann es weitergeht.
Seit März keine Einnahmen
„Die Kölner Live-Clubs haben ihre Türen seit dem zweiten März-Wochenende geschlossen. Seitdem: keine Einnahmen, stattdessen das Bemühen, die Fixkosten zu bewältigen und Insolvenzen zu vermeiden“, umschreibt Pablo Geller vom Gebäude 9 die Situation. Für ihn und seine Mitarbeiter ist sie besonders bitter, weil man gerade eine Umbauphase von zehn Monaten hinter sich hatte: „Wir sind dann Anfang November mit viel Elan gestartet, und das »neue« Gebäude 9 wurde auch vom Publikum gut angenommen.
Nach vier Monaten den Betrieb wieder dichtmachen zu müssen, das schmerzt schon. In dieser Krise hat uns der Zuspruch unserer Gäste und die Unterstützung, beispielsweise in Form von Spenden bei Live-Streams aus dem Gebäude 9, einen echten Rückhalt gegeben.“
Weiter rauf die Deutz-Mülheimer Straße liegt in unmittelbarer Nähe der Zoobrücke am Auenweg das Bootshaus. Zu normalen Zeiten lassen hier DJs mit Techno, Electro House, Trap und Dubstep die Wände wackeln, auf Rankinglisten etwa des „DJ Magazine“ rangiert der Club sogar im globalen Vergleich weit vorn, deutschlandweit stand er im vergangenen Jahr auf Platz eins. Damit hat er das Berghain in Berlin überflügelt.
Zigarettenqualm riecht kalt
Doch in diesem Sommer riecht der Zigarettenqualm, der im alten Gebälk vor der eigentlichen Dancehall hängt, extrem kalt. Die Corona-Krise hat auch das Bootshaus seit März stummgeschaltet; wie im Tsunami-Club werkeln hier Arbeiter im Blaumann, wo sonst die Masse der Feierenden ausdünstet.
Was in der Krise auf der Strecke bleibt, davon ist Fabian Thylmann, Eigentümer des Bootshaus’, überzeugt, ist dauerhaft fort. Davon wird sein Club nicht betroffen sein: Thylmann und sein Geschäftsführer Tom Thomas sitzen in einem geräumigen Büro am Kölner Hohenzollernring mit Stan-Lee-Schuhen in der Vitrine und zahlreichen Bildschirmen an der Wand; die Thomas-Group besitzt im Veranstaltungssektor neben dem angesagten Bootshaus zahlreiche weitere Standbeine.
Doch die Kölner Szene, so sind sich Thomas und Thylmann sicher, lebt erst richtig auf durch die Wechselwirkung zwischen einem Giganten wie ihrem Haus und den vielen kleineren Clubs, die wie der Tsunami-Club und MTC in der Zülpicher Straße in Kellerräumen untergebracht sind. Außerdem haben sie alle etwas gemeinsam: Die Politik interessiert sich nicht sonderlich für sie.
Thylmann kann das teilweise verstehen. In der Subkultur geschehen Dinge, die Politikern nicht immer gefallen. Auf der anderen Seite: „Wenn man die Politiker hört, die sagen »dann tanzt halt zu Hause«, dann fehlt denen Verständnis für die Jugendkultur.“ Und dabei geht es auch um Ventile, die für zu viel Energie, auch für Wut, nicht mehr zur Verfügung stehen. Stuttgart vor einigen Tagen war für Thylmann und Thomas ein Ausdruck davon.
Eine Disko funktioniert nicht mit ein paar Leuten
Jakob Holterhöfer blickt auf die aufgerissenen Wände und die herabhängenden Kabel im Keller seines Tsunami-Clubs. Eine Disko, meint er, funktioniert mit ein paar Leuten nicht – die Tanzfläche verlangt nach Gedränge, „die Leute brauchen das Gefühl einer KVB-Fahrt, nur mit Musik“.
Und auch er muss an Stuttgart denken, wenn er nun seinen menschenleeren Club im Sanierungszustand betrachtet: „Jede Form von Ekstase ist eine Kulturtechnik zum Aggressionsabbau.“ Wo sie fehlt, das könne man auch auf den Kölner Ringen oder am Brüsseler Platz studieren, „da knistert es in der Luft“.
Die Gäste haben lange gewartet, sie als Betreiber des Sonic Ballroom an der Oskar-Jäger-Straße haben lange gezögert, sagt Chris Linder – aber jetzt ist zumindest der Biergarten wieder geöffnet. Wie die meisten anderen Clubbetreiber auch hat Linder Soforthilfen vom Land Nordrhein-Westfalen und von der Stadt beantragt und erhalten.
Hinzu kamen Spenden von Gästen und Aktionen wie die „Veedelsretter“. „Ich denke schon, dass die Politik die Clubs nicht am ausgestreckten Arm verhungern lässt“, sagt er. Aber auch Linder benennt die fehlende Lobby für die Szene als ein Problem: „Das ist mühsamer als bei Lufthansa.“
Das Publikum hält den Clubs die Treue
Immerhin, das Publikum hält in Treue zu seinen Clubs. Zwei Leute, erzählt Jakob Holterhöfer, hinterlassen jede Woche seit Beginn der Krise Kerzen und zwei leere Bierflaschen vor dem Tsunami-Club. So drücken manche Gäste also zärtlich ihre Verbundenheit aus, wobei die Betreiber die drängendste Frage nicht beantworten können: Wann geht es wieder los?
Derzeit gibt es Outdoor-Initiativen wie das „Summer Stage“ im Jugendpark, das bis Ende August laufen soll. „Das ist schon mal ein ermutigender Ansatz“, sagt Pablo Geller vom Gebäude 9. „Wir brauchen aber auch dringend Konzepte und Richtlinien für künftige Indoor-Veranstaltungen in den Clubs. Mit den derzeitigen Abstandsregelungen ist für unseren spezifischen Bereich momentan kein wirtschaftlicher Betrieb umsetzbar.“
Das Problem sind die teuren Flächen, stimmt ihm Jakob Holterhöfer zu, der auf der Aachener Straße auch das Café Storch betreibt. Bei einer Miete von 3000 Euro lohnt sich ein Betrieb erst bei guter Auslastung. Die Liebe zum Club wird wohl noch eine Weile auf die Probe gestellt. Oder sie muss sich aufs Streamen verlegen, im „Solidaritätspakt für die Erhaltung der Kölner Kulturlandschaft“.