„Swift Quakes“Was Erdbebenforscher bei Taylor-Swift-Konzerten lernen

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ARCHIV - 24.03.2023, USA, Las Vegas: US-Sängerin Taylor Swift während der Eras Tour im Allegiant Stadium.

US-Sängerin Taylor Swift während der Eras Tour im Allegiant Stadium.(Archivbild)

Wenn Taylor Swift auftritt, bebt die Erde. Die sogenannten Swift Quakes haben inzwischen auch Erdbebenforscherinnen und Erdbebenforscher auf den Plan gerufen. Doch wie kommt es überhaupt zu den Erschütterungen?

Es passierte das erste Mal Ende Juni vergangenen Jahres in Seattle. Superstar Taylor Swift spielt gerade ein Konzert im Rahmen ihrer „The Eras“-Tour, als die Erde zu beben beginnt. Die Seismografen – Messgeräte, die Wellen und Schwingungen des Bodens aufzeichnen – schlagen aus. Sie messen ein Beben der Stärke 2,3. Auf der Richterskala entspricht das einem geringen Erdbeben, das normalerweise nicht spürbar, aber messbar ist.

Die Ursache ist schnell gefunden: Das Konzert selbst hat die Erschütterungen ausgelöst. Das „Swift Quake“ (eine Anspielung auf englisch: earthquake, deutsch: Erdbeben) wie es später genannt wird, ist die größte von einem Konzert ausgelöste seismische Aktivität, die je gemessen wurde. Ein neuer Rekord, der gleich einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde erhält.

Dabei ist der Name „Swift Quake“ eigentlich irreführend: Denn es ist kein Erdbeben, das die Seismografen in Seattle an diesem Tag messen, es sind Erschütterungen.

Jeder Song bringt die Erde anders zum Beben

Seismologin Gabrielle Tepp vom California Institute of Technology erklärt den Unterschied zwischen Erdbeben und „Swift Quakes“ so:

„Erdbeben werden durch Verwerfungen verursacht und führen in der Regel zu dauerhaften Verformungen des Bodens – manchmal nur in der Tiefe, sodass sie nicht an der Oberfläche sichtbar sind.“ Die Beben setzten die aufgestaute Energie der Verwerfung sehr schnell frei, oft innerhalb weniger Sekunden. „‚Swift Quakes‘ hingegen werden durch eine Störung der Bodenoberfläche verursacht, die den Boden nicht dauerhaft verformt, ähnlich wie das Erzeugen von Wellen durch Planschen in einem Teich, der wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehrt, sobald man aufhört zu planschen“, sagt sie. „Die Energiefreisetzung erfolgt auch über einen längeren Zeitraum – es sind mehrere Minuten – und ist zeitlich variabler.“

Tepp war eine der Forschenden, die Swifts Konzert im August vergangenen Jahres in Los Angeles wissenschaftlich überwachten – auf Anordnung des kalifornischen Amts für Katastrophenschutz. Das war nach dem „Swift Quake“ in Seattle hellhörig geworden. Das Forscherteam installierte spezielle Sensoren in und um das SoFi-Stadion, wo Swift auftrat, um seismische Aktivitäten messen zu können.

Und tatsächlich war auch dieses Mal wieder ein „Swift Quake“ messbar. Die Daten, die Tepp und ihr Team gewonnen haben, zeigten sogar noch mehr: Jeder Swift-Song hat ein anderes charakteristisches Tremorsignal. Das bedeutet, „Cruel Summer“ bringt die Erde auf ganz andere Weise zum Vibrieren als zum Beispiel „Karma“.

Die Kraft der Fans: Synchrone Bewegungen

Für das Forscherteam war schnell klar: Nicht die laute Musik hat die „Swift Quakes“ verursacht, sondern die tosenden Fans. „Wenn sich jemand bewegt, übt er eine Kraft auf den Boden aus, die ihn in Bewegung versetzt“, erklärt Tepp. „Normalerweise ist diese Bodenbewegung viel zu gering, als dass sie von irgendjemandem wahrgenommen werden könnte, aber wenn sich genügend Menschen gleichzeitig bewegen – vor allem, wenn sie sich synchron bewegen –, addiert sich die aufgebrachte Kraft und erhöht die Bodenbewegung.“

Diese Fangewalt hat auch der Schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zürich messen können. Am vergangenen Dienstag und Mittwoch spielte Swift in Zürich und wieder bebte die Erde. „Wir konnten Erschütterungen messen, die vom Konzert verursacht wurden“, sagt Michèle Marti, Leiterin Kommunikation und der Forschungsgruppe Risikokommunikation beim Schweizerischen Erdbebendienst. Acht Messstationen des seismischen Netzwerks hatten die Erschütterungen bis zu einer Distanz von sechs Kilometern rund um die Konzertstätte aufzeichnen können. Danach verloren sie sich im restlichen seismischen Hintergrundrauschen.

„Shake It Off“ sorgt für die größten Erschütterungen

Um die „Swift Quakes“ aus diesem Hintergrundrauschen herauszufiltern, muss man sich die Messungen der Seismografen sehr genau anschauen. Denn seismische Messstationen sind so sensibel, dass sie fast alle Bodenbewegungen messen können – von Schwingungen, die durch weit entfernte Meeresbewegungen verursacht werden, bis hin zu menschengemachten Ereignissen wie Sprengungen in Steinbrüchen, Verkehr oder Bauarbeiten. Das heißt, es kommen viele unterschiedliche Signale zusammen. Dieses Hintergrundrauschen sei wie das Röntgen in der Medizin: „Wir nutzen es, um ein besseres Bild des lokalen Untergrunds zu gewinnen“, sagt Marti.

Am vergangenen Dienstag konnte der Schweizerische Erdbebendienst bei dem Konzert in Zürich gleich mehrere „Swift Quakes“ messen. Die größten Erschütterungen traten nach 21 Uhr auf, als Swift den Song „Shake It Off“ spielte:

Expertin: Kein typisches Swift-Phänomen

Wie deutlich sich die Bewegungen von Menschen aus dem Hintergrundrauschen herauslesen lassen, hängt nach Angaben des Erdbebendienstes von unterschiedlichen Faktoren ab. Zum einen von der Distanz zur Messstation, zum anderen vom Untergrund.

Je weiter die Messstation entfernt ist, desto größer muss die sich bewegende Menschenmenge sein, um sichtbare Ausschläge im Seismogramm zu hinterlassen. Auf weichem Untergrund sind die Erschütterungen wiederum stärker als auf hartem. „Verstärkt werden die Bodenbewegungen noch, wenn ein Gebäude wie etwa die Tribünen durch die Menschen in seiner Resonanzfrequenz angeregt wird“, erklärt der Schweizerische Erdbebendienst.

Ein typisches Swift-Phänomen seien die Erschütterungen aber nicht, stellt Marti klar. Auch bei anderen Konzerten und Großveranstaltungen wie Fußballspielen seien derartige Bodenbewegungen schon gemessen worden. Die gute Nachricht ist – und das unterscheidet die „Swift Quakes“ ebenfalls von Erdbeben: Sie sind ungefährlich. „Wenn Sie ganz in der Nähe sind, können Sie die Erschütterungen wahrscheinlich spüren, und einige Gegenstände, zum Beispiel ein Bilderrahmen, könnten erschüttert werden“, sagt Tepp. Doch mehr passiere in der Regel nicht.

Was Seismologen von den „Swift Quakes“ lernen können

Aus Sicht der Seismologin können die „Swift Quakes“ trotzdem für die Erdbebenforschung sehr lehrreich sein: „Sie bieten uns die Möglichkeit, mehr über erdbebenunabhängige Quellen der Seismizität zu erfahren und unsere Analysemethoden an erdbebenunabhängigen Signalen zu testen, um deren Grenzen, Anwendbarkeit und Vorteile besser beurteilen zu können.“ Tepp selbst profitiert von den „Swift Quakes“ insofern, als sie neue Methoden zur automatischen Erkennung von Signalen testen kann.

Andere Kollegen und Kolleginnen seien wiederum an der strukturellen Reaktion des Stadions, in dem Swift in Los Angeles aufgetreten ist, interessiert gewesen, sagt die Forscherin. „Sie wollten herausfinden, ob die Echtzeitüberwachung passiver Daten für die Überwachung des strukturellen Zustands genutzt werden könnte. Also: Könnten wir zum Beispiel nach einem großen Erdbeben beurteilen, ob es sicher ist, das Stadion als Zufluchtsort zu nutzen?“

Auch in Deutschland könnten bald „Swift Quakes“ messbar sein. Am 17. Juli kommt Swift mit ihrer „The Eras“-Tour ins nordrhein-westfälische Gelsenkirchen, ehe es für die Sängerin weiter nach Hamburg und München geht. Wieder werden sich Tausende Fans zur Musik der 34-Jährigen bewegen. Und wieder wird wahrscheinlich die Erde beben.