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So war der „Tatort“Titel „Hetzjagd“ weckt falsche Versprechen

Lesezeit 5 Minuten
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Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter)

Ludwigshafen – Sonntag, 20.15 Uhr ist „Tatort“- oder „Polizeiruf“-Zeit. Lesen Sie hier die Kritik des Ludwighafener Falls „Hetzjagd“.

Der FallDer paradetätowierte Rechtsradikale Ludger Rehns (Daniel Noël Fleischmann) macht eine Pistole schussbereit und chattet etwas von „Volksverrätern“, „Deutschland erwache“ und dass der Tag einer Aktion nun gekommen sei. Wenig später wählen Anwohnern den Notruf der Polizei und berichten von Schüssen am Rheinufer.

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Direkt im Anschluss an jede Sendung am Sonntagabend folgt dann unsere „Tatort“-Kritik.

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Tatsächlich wurde Konzertveranstalter Tillmann Meinecke beim Joggen mit drei Patronen frontal in die Brust niedergestreckt. Eine Hinrichtung. Der Rechtsradikale findet den Toten, den er zweifellos umbringen wollte. Aber jemand ist ihm um wenige Momente zuvorgekommen. Rehns flieht mit seiner ebenfalls rechtsradikalen Freundin Hedwig Joerges (Anne-Marie Lux), die im Auto auf ihn gewartet hatte. Das Opfer hatte Polizeischutz beantragt, weil er von Neonazis bedroht wurde, nachdem Konzerte mit dem Titel „Rock gegen Rechts“ veranstaltet hatte. Doch der Schutz wurde ihm verwehrt. „Das macht mich wirklich fertig“, sagt Kommissarin Lena Odenthal am Tatort, als der Ermordete fast noch warm ist. Das ist ziemlich früh für die sonst so harte Ermittlerin. Bei der folgenden Fahndung gerät das Nazipärchen in eine Polizeikontrolle. Rehns reagiert über, erschießt eine Polizistin und wird festgenommen, seine Freundin flieht.

Die AuflösungWegen des linksaktivistischen Engagements des Opfer und dem verhafteten Rechtsextremisten setzen die Kommissarinnen Odenthal und Johanna Stern (Lisa Bitter) sofort auf ein politisches Motiv, und auch der Verfassungsschutz schaltet sich schnell ein. Rehn ist Teil einer rechtsradikalen Gruppe namens „Revenge 88“ und räumt die Planung des Anschlags auf Meinecke sogar ein.

Jedoch nicht den Mord an sich. Verdächtig ist auch ein ehemaliger Geschäftspartner des Opfers, der einen Waffenschein besitzt. Jedoch hat er sich wegen der heftigen Bedrohungen von rechts aus der Konzert-Firma zurückgezogen und sich aus demselben Grund eine Pistole zu gelegt. Stattdessen war es die Mutter der Freundin des Ermordeten.

Die ebenso erfolgreiche wie aalglatte Chefin einer PR-Agentur Julia Karich (Valerie Niehaus) hatte eine Affäre mit dem Freund ihrer Tochter Maria (Anna Herrmann), die der Konzertveranstalter aber beendete. Adé politisches Motiv, es war eine Beziehungstat, bei der die Marketing-Koryphäe höchstpersönlich zur Waffe griff.

Das ThemaRechtsextremistische Gewalt nimmt immer mehr zu. Es war an der Zeit, sie mal wieder in einem „Tatort“ zu behandeln. Dass die Neonazis den Mord zwar geplant haben, aber letztlich nicht umsetzen konnten – geschenkt. Immer wieder kommen die üblichen Problematiken mit Rechtsradikalismus zur Sprache: Nazi-Codes (die „88“ in „Revenge 88“ steht für „H“, den achten Buchstaben im Alphabet.

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Macht also „HH“ und steht für „Heil Hitler“); V-Leute des Verfassungsschutzes, die mitunter als Agents Provocateurs aufreten; ob man mit Nazis diskutieren sollte; ob die Behörden auf dem rechten Auge blind sind; rechte Chatgruppen. All das wird in kurzen Sätzen und regelmäßigen Abständen angerissen, besser gesagt: ohne größeren Tiefgang fallen gelassen.

FazitWer nach den ersten Minuten ein Sittenbild rechtsextremer Gewalt, Radikalisierungsmechanismen oder Attentatssystematiken erwartet, wird enttäuscht. Überhaupt wirken die Ermittlungen in die neonazistische Richtung ein wenig verkrampft, weiß doch selbst der mäßig erfahrene Krimi-Zuschauer schon nach einer dreiviertel Stunde, dass die Mörderin nicht zur rechten Szene gehört. Und von einer „Hetzjagd“, die der Titel verheißt, ist auch nichts zu sehen.

Man kann allenfalls eine erahnen, nämlich jene, die die Nazis zuvor auf das spätere Mordopfer veranstaltet haben, die aber nur ein Nuancen abgebildet wird. „Die verschiedenen politischen Ideologien, die in diesem Tatort aufgezeigt werden, dienen mir vor allem als Mittel um die zunehmende Entfremdung und Spaltung innerhalb unserer Gesellschaft darzustellen“, sagt Autor und Regisseur Tom Bohn im Interview mit dem SWR, der die Folge produziert hat. Das ist dann doch etwas hochgegriffen.

Rechtsradikalismus wird allenfalls oberflächlich dargestellt und liefert weder Neues noch Debattierwürdiges. Linke Ideologien finden nur in dem Fakt statt, dass das Opfer und seine Freundin Linksaktivisten sind. „Wenn wir was ändern wollen, müssen wir miteinander reden und klare Kante zeigen“, sagt Lena Odenthal auf die Zweifel ihrer Kollegin, ob Diskussionen mit Neonazis etwas bringen – Sätze aus dem Reden-Bingo für Minister- und Bundespräsidenten.

Dass Sänger Clueso, der bei seinem kurzen Gastauftritt sich selbst spielt, die Ermittlerinnen mit der Plattitüde „Wie viele Tote braucht ihr eigentlich noch, bis ihr aufwacht“ bedenkt, revolutioniert die Diskussionskultur zum Umgang mit Rechtsextremismus auch nicht gerade. Es wirkt doch arg gezwungen. Odenthal und Stern ermitteln in einer Unaufgeregtheit, die in Kombination mit dem frühen Wissen um die Täterin, die Handlung fast zu Stillstand bringt.

Immerhin: Die schauspielerischen Leistungen sind absolut tadellos. Und das müssen sie auch, denn Regisseur Bohn verzichtet auf effektheischende Bilder oder filmische Effekte. Wenn man jemanden herausheben möchte, dann vielleicht Anne-Marie Lux, die Nazi-Braut Hedwig glaubhaft naiv, dumm, verbohrt und skrupellos verkörpert. Das wird in der bizarren Zusammenkunft von ihr mit Mordopferfreundin Maria deutlich. Die Begegnung, in der beide zunächst nichts von ihren Hintergründen wissen und sich sogar ein Hotelzimmer teilen, ist ein gelungener und unerwartet Twist im Plot, der den Zuschauer rechtzeitig zum Ende der Folge aus seinem Dämmerzustand holt.