Verspieltes VertrauenFünf Gründe, warum sich der WDR und die Kultur entfremdet haben
Köln – Der WDR und die Kultur – das war mal eine innige Freundschaft. Aber diese Freundschaft hat tiefe Risse bekommen. Dabei geht es nicht nur um die Zukunft einzelner Sendungen, sondern auch um dahinterliegende strukturelle Probleme. Wir nennen fünf Gründe, warum der WDR nicht zur Ruhe kommt
1. Die Strukturen werden so verändert, dass Widerstand schwieriger wird
Wenn beliebte Formate abgeschafft oder verändert werden sollen, sind das die Momente, in denen die Öffentlichkeit hellhörig wird. Hinter den Kulissen sind es aber vor allem Neuorganisationen, die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu schaffen machen. Im Zuge der Digitalisierung setzt auch der WDR auf neue Strukturen und die Bündelung von Kompetenzen. Dagegen ist erstmal nichts zu sagen.
Wenn das aber bedeutet, dass Fachredakteure entmachtet und versetzt werden und sich Entscheidungskompetenzen in den Händen von wenigen bündeln, führt das dazu, dass bei weitreichenden Reformen niemand mehr da ist, der sich dagegenstellt.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Redaktion des WDR-3-Magazins „Mosaik“ – also jener Sendung, bei der die Literaturkritik neu organisiert wird. Dort gab es bis zum Frühjahr 2020 drei zuständige Redakteure. Doch diese Redaktion wurde aufgelöst, die Fachredakteure wurden auf andere Positionen versetzt. Nun gibt es drei Chefs vom Dienst und zahlreiche freie, sogenannte Producer, die nicht durchgängig bei „Mosaik“ arbeiten und daher deutlich zurückhaltender sind, wenn es darum geht, Kritik zu äußern.
2. Die Streitkultur im WDR geht verloren, das Klima ist schlecht
Der WDR war über Jahrzehnte dafür bekannt, dass intern eine ausgeprägte Streitkultur herrschte. Die selbstbewussten und engagierten Redakteurinnen und Redakteure legten sich gerne auch mal mit der Geschäftsführung an. Doch das Klima im Haus ist schlecht. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beklagen, dass Entscheidungen nur noch verkündet, nicht mehr diskutiert werden. Im Gespräch mit Festangestellten und Freie fallen regelmäßig Sätze wie „Die Hierarchisierung nimmt zu“, „Spielräume werden enger“, „Viele Kollegen haben Angst“.
Wenn dann wie jüngst beim Streit über die Veränderungen bei WDR 3 intern und extern sehr deutlich die Schuld für die Misere einem einzigen Mitarbeiter zugeschoben wird, verstärkt das die Sorgen noch. In diesem Fall schaltete sich sogar die Redakteursvertretung ein und schrieb an die Belegschaft, sie halte es für mehr als bedenklich, dass Direktorin Valerie Weber in einem internen Rundschreiben einen einzelnen Kulturredakteur „betriebsöffentlich an den Pranger“ stellte, „mit der Unterstellung, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und damit »speziell dem WDR« wissentlich zu schaden.“
Auch die Kündigung der „Dienstvereinbarung gegen Machtmissbrauch im WDR“ durch den Personalrat, weil es nicht gelungen war, eine Einigung in diesen wichtigen Fragen zu erzielen, sorgt intern für schlechte Stimmung.
3. Die Quote ist Königin – Dem Publikum wird zu wenig zugetraut
Der WDR wird durch den Rundfunkbeitrag finanziert und müsste deshalb nicht auf Quoten schielen. Tut er aber doch. Gut ist, was gute Quoten bringt. Kultursendungen, die oft nicht die breite Masse ansprechen, geraten da schnell auf die Abschussliste.
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Die WDR-Leitung, allen voran Valerie Weber, die für die Kultur zuständig ist, hat vor allem davor Angst, dass der Sender als elitär wahrgenommen werden könnte. Die Folge: Das Programm wird weichgespült, beliebiger, austauschbarer. Man will das Publikum da abholen, wo es ist, traut ihm nichts zu, will es nicht fordern und versucht stattdessen lieber, es mit Gewinnspielen zu locken, auch wenn die, wie jüngst bei einer „Meet and Greet“-Aktion bei WDR 3, beim Publikum gar nicht zwangsläufig gut ankommen. So geht genau das Profil verloren, das den WDR lange Zeit auszeichnete.
4. Das Vertrauen der Kulturinstitutionen ist verloren gegangen
Ob bei den Kontroversen über „Zeitzeichen“ und „Stichtag“, die Zukunft der Literaturkritik oder die Frage, welche klassische Musik gespielt werden soll, eines haben diese Vorgänge gemeinsam: Die Reaktionen der Kulturinstitutionen fallen heftig aus. Bei „Zeitzeichen“ und „Stichtag“ protestierten Historiker, im jüngsten Fall gingen die Verleger auf die Barrikaden.
Das Vertrauen in den Kulturinstitutionen des Landes, dass der WDR seinen Auftrag ernst nimmt, ist oft nicht mehr vorhanden. Das zeigte auch die Diskussion zur Zukunft der Literaturkritik am Dienstag im Literaturhaus.
„Die Kulturszene ist irritiert“, fasste Gerhart Baum, Vorsitzender des Kulturrats NRW es jüngst im Rundfunkrat zusammen, der zudem darauf hinwies, dass die Kultur in den Landesstudios des WDR nicht gut vertreten sei.
5. Der Rundfunkrat wird seiner Aufgabe nicht gerecht
Der Rundfunkrat ist laut WDR-Gesetz dafür zuständig zu überwachen, ob der Programmauftrag erfüllt wird. Größeren Reformen muss er zustimmen. Er soll dabei die Interessen der Öffentlichkeit vertreten und hat selbstverständlich auch das Recht, sich geplanten Änderungen entgegenzustellen. In der Praxis geschieht das aber so gut wie nie. Zwar gibt es mitunter durchaus kontroverse Diskussionen, aber am Ende stimmt das Gremium dann eigentlich doch immer den Plänen der WDR-Geschäftsleitung zu.Ein gutes Beispiel war zuletzt die Frage, wie es mit „Zeitzeichen“ und „Stichtag“ weitergeht. Da erhielten die Autorinnen und Autoren, die sich gegen die Pläne stellten, den „Stichtag“ als WDR-Produkt einzustellen, zunächst deutliche Signale der Unterstützung aus dem Rundfunkrat – nur um dann feststellen zu müssen, dass alles genauso durchgewinkt wurde, wie es geplant war.
Dieses Vorgehen des Rundfunkrats sendet gleich zwei verheerende Signale. Zum einen demotiviert es Mitarbeiter, gegen Änderungen zu protestieren, zum anderen gibt es Tom Buhrow, Valerie Weber und Co. die Gewissheit, dass sie von dem Aufsichtsgremium nichts zu befürchten haben, wenn es darum geht, ihre Pläne durchzusetzen.