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Till Lindemanns Backstage-SystemRammstein-Vertrauter bestätigt Sexpartys hinter der Bühne

Lesezeit 11 Minuten
Rammstein-Sänger Till Lindemann bei einem Konzert in Mexiko. Zahlreiche erheben Vorwürfe gegen ihn.

Rammstein-Sänger Till Lindemann bei einem Konzert in Mexiko. Zahlreiche erheben Vorwürfe gegen ihn.

Nun äußert sich das direkte Umfeld der Band umfangreich zu allen Vorwürfen um Frontmann Till Lindemann.

Ein 60 Jahre alter Mann, ein Rockstar, ein Weltstar, mehr als 20 Millionen verkaufte Tonträger, auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite: junge Frauen, 18, 20, 25 Jahre alt, Fans, die ihr Idol treffen wollen, zu Pre- und After-Show-Partys eingeladen werden und sich plötzlich auf allzu privaten Treffen mit Rammstein-Sänger Till Lindemann wiederfinden.

„Mir wurde nicht gesagt, dass ich hier Teil einer potenziellen Orgie werde. Nichts wurde mir davon gesagt, dass ich in einer Umkleidekabine mit zwei Couches und Alkohol, mit meinem Handy abgegeben, von Till Lindemann für Sex ausgesucht werden könnte“, sagte etwa Influencerin Kayla Shyx in einem am Montag auf Youtube veröffentlichten Video.

Dutzende Frauen beschuldigen Till Lindemann

Die Influencerin ist eine von vielen, die über ähnliche Erfahrungen berichtet, seitdem die Irin Shelby Lynn am 25. Mai 2023 auf Twitter Anschuldigungen gegen Lindemann veröffentlichte. Junge Frauen erzählten „Süddeutscher Zeitung“, NDR, „Welt“ und in sozialen Medien von den Erfahrungen, die sie nach eigenen Angaben gemacht haben. Dutzende werfen Lindemann inzwischen übergriffiges Verhalten vor, auch von K.-o.-Tropfen ist die Rede.

Nachdem die Band bislang lediglich zwei kurze Statements abgegeben hatte, in denen sie zunächst die Vorwürfe bestritt und einige Tage später vor Vorverurteilungen warnte, bestätigte nun eine Person aus dem direkten Rammstein-Umfeld einen Teil der Vorwürfe. Seit 2019 habe es die privaten Pre- und After-Show-Partys mit Till Lindemann gegeben, sagte die Person aus dem Umfeld der Band am Dienstagabend dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Sex mit Groupies auf der privaten After-Show-Party

Dabei sei es auch zu Sex zwischen dem 60-Jährigen und den jungen Fans gekommen. „Ist er mit seiner Verantwortung als der, der er ist, richtig umgegangen? Da ist der 60-Jährige mit Lebenserfahrung, der eine Aura hat, eine Anziehungskraft hat auf Fans, die zum Teil jung sind und zu einem guten Teil nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Haben sie schon die Urteilskraft, das alles richtig einzuschätzen?“

Diese im Raum stehenden Fragen wiederholt der Vertraute der Band. Seine Antwort: Es sei auch die Verantwortung eines Rockstars, sicherzustellen, dass das Gegenüber sich sicher sei, wirklich Sex zu wollen. „Wer so argumentiert, der hat einen Punkt. Aber das ist nicht strafbar. Bei der Moral können Sie eine große Kiste aufmachen, sofort, absolut.“

Anschuldigungen gegen Lindemann: Welche Rolle spielt Alena Makeeva?

Die Frauen sollen womöglich durch ein regelrechtes Rekrutierungssystem zu den Backstage-Treffen geschleust worden sein. Eine zentrale Rolle soll dabei den Anschuldigungen zufolge Alena Makeeva, die sich auf Instagram als „Casting-Direktorin“ bezeichnet, gespielt haben. Sie soll im Vorfeld der Konzerte junge Frauen kontaktiert und auf die Partys eingeladen haben, wie zahlreiche Posts in ihren sozialen Medien seit 2018 zeigen. Zudem soll sie Aussagen zufolge auch Frauen darauf vorbereitet haben, dass Lindemann mit ihnen Sex haben wolle.

Inwiefern sie tatsächlich ein gezieltes Casting für Lindemann betrieb, um ihm Frauen zum Sex „zuzuführen“, soll nun eine Anwaltskanzlei herausfinden, die seit dieser Woche die gesamten Vorgänge aufarbeiten solle, hieß es aus dem Bandumfeld.

Makeeva behauptet, seit 2013 mit Lindemann befreundet zu sein

Nun habe das Management Makeeva den Zugang zu den ab dem heutigen Mittwoch anstehenden Deutschland-Konzerten untersagt. „Sie wird keinen Zutritt zu den Konzerten in München bekommen und vermutlich auch bis auf Weiteres nicht mehr“, verlautet es aus dem Umfeld der Band. Makeeva soll sich noch am Dienstag auf den Weg in ihre Heimat Russland gemacht haben. Mehrere Anfragen des RND in den vergangenen Tagen ließ sie unbeantwortet.

Makeeva steht, wie Fotos, Videos und Aussagen von ihr und Dritten nahelegen, seit einigen Jahren mit Till Lindemann in Kontakt. Auf ihrem Profil auf der Plattform VK dankte sie ihm bereits im Dezember 2018 für fünf Jahre Freundschaft. Die anderen Mitglieder von Rammstein solle sie nicht näher gekannt haben, behauptet der Vertraute der Band, auch wenn Makeeva 2019 Backstage-Fotos mit Richard Kruspe und Christoph Schneider auf Instagram postete. „Das Management hat das Gesicht gekannt, weil sie immer bei den Konzerten herumlief, aber sie stand nicht auf der Payroll.“ Eine offizielle Funktion bei Rammstein hatte Makeeva demnach offenbar nicht.

Private After-Show-Party mit Till Lindemann seit 2019

Dieses Backstage-System funktioniert offenbar bereits seit Jahren. „Die separaten Partys mit Lindemann haben 2019 begonnen“, erklärt der Bandvertraute. Bis dahin habe es eine Party für alle gegeben, danach zwei Formen von After-Show-Partys. Zum einen eine offizielle, bei der die Band und Gäste von Plattenfirmen und Vertriebspartnern, aber auch bekannte Schauspieler oder Freunde der Band zusammen feierten. Zum anderen eine räumlich abgetrennte private Feier, bei der außer Till Lindemann keine Rammstein-Kollegen zugegen waren, häufig in Nebenzimmern der großen Party-Location.

Diese Schilderungen decken sich mit den Aussagen von der bekannten Influencerin Kayla Shyx in deren Video. Sie berichtet, in einer Konzertpause von Makeeva auf eine After-Show-Party eingeladen worden zu sein. Doch nur kurz sei sie auf der großen After-Show-Party gewesen, ehe sie zusammen mit ihrer Freundin und anderen jungen Frauen einen Gang entlang in einen separaten Raum geführt worden sei. Zwei schwarze Sofas hätten dort gestanden, die Handys hätten alle vor der Tür abgeben müssen. Es seien schon einige junge Frauen im Raum gewesen, sie hätten teils weggetreten gewirkt. Security-Mitarbeiter hätten vor der Tür gestanden. Sie habe irgendwann gesagt, sie wolle gehen.

Till Lindemann zeigt Video von Groupie-Sex auf der Bühne

Auch während der Show, so sagen es Frauen aus verschiedenen Ländern, habe es Treffen mit Lindemann gegeben. So soll es eine Art Routine gewesen sein, dass er einen oder mehrere Fans aus Row Zero zu sich in den kleinen Raum unter der Bühne holte, während er eine mehrminütige Pause hatte. Dort soll es, so die Aussagen von Fans, auch zu Sex und Oralsex gekommen sein.

Lindemann selbst ließ bei einem Solokonzert 2020 ein Video auf der Leinwand laufen. Es zeigt ihn in einem solchen Raum, der bei allen Konzerten zum Bühnenaufbau gehört haben soll, zusammen mit zwei jungen Frauen, die ihn oral befriedigen. Auch Shelby Lynn berichtete, sich in einem solchen Raum wiedergefunden zu haben – allerdings Sex abgelehnt zu haben, was Lindemann auch akzeptiert habe.

Rammstein-DJ Joe Letz trotz Vorwürfen noch Teil der Crew

Während Casting-Managerin Makeeva nun offenbar nicht mehr im Umfeld Lindemanns tätig ist, soll Rammstein-DJ Joe Letz auch weiterhin für die Band arbeiten. Auch gegen ihn gab es zuletzt viele Anschuldigungen. Mehrere Frauen, darunter auch Shelby Lynn, behaupteten öffentlich, dass er sich vor Ort um die Frauen aus der sogenannten Row Zero kümmerte, Fotos anfertigte. Rammstein-Fan Marie N. aus Dänemark berichtete dem RND vergangene Woche, dass sie gesehen habe, wie Joe Letz die Frauen in Vilnius „wie ein Stück Fleisch“ behandelt und auch herumgeschubst habe. Bisher haben diese Anschuldigungen keine Konsequenzen: Wie die Person aus dem Umfeld der Band sagte, ist Letz noch immer im Dienst, auch er beantwortete eine RND-Anfrage nicht.

Der Alkoholkonsum solle nun bei Konzerten und Backstagepartys eingeschränkt werden, heißt es mittlerweile. „Es gibt Alkohol und da kommt jeder ran“, sagt die Person aus dem Umfeld der Band. Wodka, Tequila, Champagner – alles sei frei zugänglich gewesen. „Da läuft eine Diskussion innerhalb der Band, dass man das einschränkt – wenn man die Partys überhaupt weitermacht.“ Eine Überlegung ist demnach, einen Barkeeper einzuführen, bei dem jede Frau aktiv bestellen müsste. „Wir müssen da kritisch draufgucken, weil nicht jeder damit umgehen kann.“

Band streitet laut Vertrauten Drogenkonsum ab

Bewusst seien Frauen aber nicht alkoholisiert und damit gefügig gemacht worden, betont die Person. Und auch von Drogen und K.-o.-Tropfen, die einige Frauen in ihren Getränken vermuteten, wisse man nichts. „No way, das gibt es von uns nicht“, sagt der Vertraute. Schon aufgrund der Bühnenshow mit Feuer und Pyrotechnik müsse man einen „halbwegs klaren Kopf“ haben. Aber: „Man kann nicht wissen, ob die Leute etwas dabeihaben.“

Dass Drogen kein Tabu hinter der Rammstein-Bühne sind, kann man in der Autobiografie von Rammstein-Mitglied Christian Lorenz, bekannt als Flake, nachlesen. Er schreibt im 2017 erschienenen Buch über eine Tournee, die Rammstein mit einer anderen Band gemeinsam absolvierte – und dass sie gemeinsam „gefeiert“ hätten: „Feiern ist ja inzwischen ein Synonym für Alkohol- und Drogenmissbrauch. Aber so etwas festigt und vertieft Freundschaften.“ An anderer Stelle schreibt er über die Leute, die nach den Konzerten in die Garderoben kamen: „Oder liegt es daran, dass die Leute, die Drogen und Frauen mitbringen, viel leichter in den Backstage-Bereich kommen als die, die mit uns über Bücher und soziale Hilfsprojekte reden wollen?“

Backstage bei Rammstein: Welche Rollen spielen Drogen?

Auch im Video von Kayla Shyx, das binnen 24 Stunden fast 2,5 Millionen Mal aufgerufen wurde, zitiert sie aus mehreren angeblichen Nachrichten von Frauen, die anonym bleiben wollen und die einen exzessiven Drogenkonsum auf den Partys beobachtet haben wollen. Ein anderer Gast habe Shyx gesagt: „Ihr könnt hier trinken. Ihr könnt hier koksen. Die bieten hier alles an.“

Lynn hat nach eigener Aussage keine Erinnerung an weite Teile des Abends in Vilnius. Sie vermutet, auf einer Pre-Party Drogen verabreicht bekommen zu haben, ein Drogentest am nächsten Tag war allerdings negativ. Als sie während der Konzertpause den Sex mit Lindemann abgelehnt haben will, habe das den Sänger zwar wütend gemacht, aber zu keinem Übergriff geführt.

Influencerin Kayla Shyx: „Zum Sexobjekt für einen 60-Jährigen gemacht“

Shyx will die After-Show-Party in Berlin 2022 verlassen haben, noch ehe Lindemann dort aufgetaucht sei. Sie beschreibt in ihrem Youtube-Video die Drucksituation, die das angebliche Rekrutierungssystem aufgebaut habe. „Wie viele Mädchen sich auch nicht trauen, Nein zu sagen. Als Mädchen kann man das, glaube ich, so nachvollziehen, wenn man sich schon mal nicht getraut hat, Nein zu sagen, weil es gerade eine Drucksituation war, weil einem gerade alles zu viel war.“

Viele junge Frauen, mit denen sie gesprochen habe, hätten ähnliche Erfahrungen gemacht wie sie – nämlich, dass Druck ausgeübt worden sei. In ihrem Fall sei es Alena Makeeva gewesen, die Shyx zum Alkoholkonsum habe drängen wollen. Sie sei auch energisch eingeschritten, als Shyx und ihre Begleitung die Party, die noch nicht begonnen hatte, verlassen wollten. „Es ist grenzüberschreitend, dass ich als Sexobjekt für einen 60-Jährigen auf so eine Couch gesetzt wurde“, sagt sie. „Junge Fangirls brechen unter Druck zusammen und sagen dann eben nicht Nein.“

Rammstein will die Tournee fortsetzen

Am Mittwoch, 8. Juni, wird Rammstein erstmals seit Veröffentlichung der Vorwürfe in Deutschland spielen. Vier Konzerte in München sind geplant. Es wird keine Row Zero geben, es wird keine Pre- und After-Show-Partys geben. Stattdessen Polizeipräsenz. Die Tour wolle die Band unbedingt fertig spielen, hieß es im Umfeld der Band. Es gehe um viel Geld. Alleine für die vier Konzerte in München würde ein zweistelliger Millionenbetrag an Schadensersatz anfallen, sollten die Auftritte abgesagt werden. Es gehe um 500 Arbeitsplätze.

„Das sind sechs Jungs, die aktuell nicht wissen, wo oben und unten ist, die sind fertig. Aber sie sagen sich: Sie müssen das jetzt durchstehen“, so die Person aus dem Umfeld der Band. Es gebe „intensive Diskussionen“. Die Bandmitglieder fragten sich, was sie jetzt machen sollten. „Sie haben null damit gerechnet, dass so was auf sie einstürzen könnte, sie wissen nicht, wie ihnen geschieht.“

Stimmung innerhalb der Band ist laut einem Vertrauten „schwierig“

Die Band habe ihr Privatleben immer versucht privat zu halten. „Die Stimmung ist schwierig. Die sagen schon: ‚Till, was hast du denn da wieder für einen Scheiß gebaut?‘ Aber sie sagen auch: Wir sind nicht 5+1, sondern 6. Sie schieben ihn nicht weg. Die Gruppe ist stabil.“ Bei der Gründung habe sich die Band geschworen, dass alle Stimmen immer gleich viel Gewicht haben, dass man gleich viel verdiene, auch wenn eine Person zum Star werde.

Bis heute gilt: Jede Entscheidung muss einstimmig getroffen werden, ist auch nur ein Bandmitglied gegen eine Sache, wird sie nicht stattfinden. „Es betrifft daher auch alle sechs gleichermaßen.“

Missbrauch auf Konzerten? Bisher erstattete nur eine Frau Anzeige

Bereits nach den Tweets von Shelby Lynn verschickte das Management den Angaben aus dem Bandumfeld zufolge eine Mail mit detaillierten Fragen an den engsten Kreis rund um die sechs Bandmitglieder. Nun sei eine externe Kanzlei eingeschaltet worden, die rund zwei Dutzend Menschen rund um den Kern der Band befragen werde, unter anderem Lindemanns Security-Chef. Bis Ende der Woche sollen bereits Ergebnisse der Befragungen vorliegen. Womöglich wird sich dann auch die Band selbst erstmals umfangreicher äußern.

Nicht einbezogen bei der Evaluierung sind jene Frauen, die Lindemann Vorwürfe machen. Bis auf zwei, Shelby Lynn und Kayla Shyx, haben sie sich allesamt nur anonym geäußert. Bis auf Shelby Lynn hat keine Frau eine Strafanzeige erstattet. Man überlege nun, wie man es schaffe, die Frauen zu kontaktieren, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Viele jedoch, das machen ihre Aussagen in den sozialen Medien deutlich, sind nicht bereit, ihre Namen zu nennen, ihr Gesicht zu zeigen. Sie fürchten die Hetzjagd, die Shelby Lynn und Kayla Shyx gerade erleben. Die beiden Frauen werden im Netz massiv beschimpft und bekamen sogar Morddrohungen von Rammstein-Fans.