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Charts-KolumneWarum Capital Bra's neuer Hit „110” richtig weh tut

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Capital Bra – ganz oben in den Charts, aber ganz unten in den persönlichen Charts unseres Kolumnisten.

  1. War früher alles besser? In den Musikcharts ganz bestimmt! Sicher? Na gut, vielleicht auch nicht.
  2. Jede Woche hört sich unser Kolumnist Marcus Bäcker in seiner Glosse „Neu in den Charts” durch die Hitliste – und findet dabei Entsetzliches wie Schönes.
  3. Also, jetzt mal Klartext: Jedes Gedichtchen zu Ehren von Tante Klara, jeder Poesiebucheintrag hat mehr Klasse als das, was dem emotional entrückten Capital Bra da aus dem Mund holpert und stolpert.

Köln – Was habe ich nicht erduldet: Videos wie aus den feuchten Träumen polkappenschmelzender Hubraumfetischisten, die schlimmsten Reime auf Gucci, die ein Hirn ausbrüten kann, sexistische Ausfälle testosterongeschwängerter Alphatierdarsteller in der Hochphase der Pubertätsdebilität – ja, ich dachte wirklich, schlimmer könne es nicht mehr werden. Doch eines hatte ich nicht auf der Rechnung: das, was passiert, wenn es einem Deutsch-Rapper romantisch ums Herz wird.

Das Unglück beginnt mit der Frage „Wenn wir uns doch lieben, warum tun wir uns weeeheheee?“ Ja, da spielt jemand mit den Silben, umschmeichelt sie, gibt so dermaßen alles, dass man den Lautsprecher aus dem Fenster werfen möchte, müsste man nicht befürchten, dass man einen Nachbarn treffen könnte, und das täte ihm gewiss weeeheheee.

Lea heißt die Sängerin, keine Ahnung, was sie sonst so macht, ich mag die Streberinnen der Hochleistungssingklassen nicht. „Schülerin Lea, singen Sie bitte gefühlvoll!“ „Weeeheheee.“ „Danke-heheheee.“

Marcus Bäcker

Wir befinden uns also auf Platz 1 der Singlecharts, Lea hat gerade eine Kostprobe ihres expressiven Hineinfühlens in den Gefühlshaushalt des Capital Bra gegeben, denn von dem stammt dieses Schlagermonster namens „110“, und höre, jetzt übernimmt der Meister selbst! „Du kannst Dich auf mich verlassen, ich würd“ dich nie verlassen“, verkündet er und demonstriert beiläufig, dass sich „verlassen“ auf „verlassen“ reimt. Hut ab.

Also, jetzt mal Klartext: Jedes Gedichtchen zu Ehren von Tante Klara, jeder Poesiebucheintrag aus der vierten Klasse des Jahrgangs 1929, jede mühsam zusammengeschusterte Ode zur Pensionierung des rührigen Herrn Lüdendorp hat mehr Klasse als das, was dem emotional entrückten Capital Bra da aus dem Mund holpert und stolpert. „Doch Du sollst wissen, ich hab’ keine böse Absicht / Deswegen schick’ ich diese Nachricht“.

Es geht aber noch schlimmer. Shirin David, die neue Königin des vollsynthetischen Hitradioformatpops, hat sich mit Xavier Naidoo, dem alten König der gefühlsintensiv vorgetragenen Wirrköpfigkeit, zusammengetan und eine Single hervorgebracht, die als größtes Säuselinferno der jüngeren deutschen Säuselgeschichte in die Annalen eingehen wird.

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Könnte man an Schallwellen kleben bleiben, ich wäre ab sofort berufsunfähig. Titel des Liedes: „Nur mit Dir“, Platzierung: 8, Kostprobe: „Ich steh’ am Abgrund, doch ich fürchte nichts ... Ich schau’ nach vorne, und wir seh’n das Licht.“ Als wohlmeinender Mensch empfehle ich: Nicht auf das Licht zugehen!

Am allerschlimmsten jedoch: Mark Forsters „194 Länder“ auf Platz 93. Jetzt alle mitsingen: „La-lalalaaa-la, la-lalala-laaa!“ Sollte ich wegen öffentlicher Xavier-Naidoo-Beschimpfung in der Hölle landen, wird diese aussehen wie der ZDF-Fernsehgarten, ich werde an einem Klappstuhl gefesselt sein, und Mark Forster wird mit brennender Kappe 24 Stunden am Tag dieses eine Lied singen. Und ja, das tut echt weeeeeeheheeeee.