AboAbonnieren

WDR-Intendantin Katrin Vernau„AfD muss zunächst so behandelt werden wie andere Parteien“

Lesezeit 12 Minuten
Katrin Vernau ist seit Januar Intendantin des WDR.

Katrin Vernau ist seit Januar Intendantin des WDR.

Die neue WDR-Intendantin Katrin Vernau über den richtigen Umgang mit der AfD, den Rundfunkbeitrag und die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen

Frau Vernau, das große Thema dieser Woche war die Amtseinführung Donald Trumps. Auch in Deutschland stellt sich die Frage, wie der Journalismus mit Politikern umgeht, die systematisch lügen. Sie haben gesagt, Sie hätten das Duell Höcke-Voigt gerne im WDR gesehen. Ist es der richtige Weg, Rechtsradikalen Sendezeit zu geben?

Das Phänomen populistischer Parteien geht nicht weg, wenn wir es ignorieren. Die Populisten werden ja auch deshalb so stark, weil sie es schaffen, über Social Media ihr Publikum zu finden – und zwar unwidersprochen. Demokratie lebt vom Diskurs, sie lebt davon, dass die unterschiedlichen politischen Angebote auch nebeneinander abgebildet werden und dass der Wähler in die Lage versetzt wird, sich seine eigene Meinung zu bilden.

Das gilt auch für Politiker, die sich nicht mehr auf dem Boden des Rechtsstaats bewegen?

Journalisten sind genau dazu da, diesen Diskurs so zu moderieren, dass er nach demokratischen Spielregeln und sachlich fundiert stattfinden kann. Ich finde, dass wir uns mit einer Partei, die in einigen Bundesländern bei 30 Prozent liegt, im Programm auseinandersetzen müssen. Es gibt hinreichend viele Wähler, die der AfD ihre Stimme geben wollen. Und die sollen wissen, wofür sie stimmen. Dazu muss man doch genau dieses Angebot einordnen und den Angeboten gegenüberstellen, die andere Parteien machen. Das tun wir ja auch bereits in unserem Programm.

Ich finde, dass wir uns mit einer Partei, die in einigen Bundesländern bei 30 Prozent liegt, im Programm auseinandersetzen müssen
Katrin Vernau

Sie sagen, man muss die AfD in der Berichterstattung genauso behandeln wie alle anderen Parteien?

Sie ist nicht verboten, sie ist Teil des Parteienspektrums, sie steht zur Wahl, und deswegen muss sie zunächst auch so behandelt werden wie andere Parteien. Aber man muss einschreiten in dem Moment, wo der Boden des Grundgesetzes verlassen wird und Unwahrheiten in die Welt gesetzt werden. Das darf dann nicht unwidersprochen bleiben.

Aber der Ton wird deutlich rauer. Machen Sie sich Sorgen um die Pressefreiheit?

Es ist ja nicht nur so, dass der Ton gegenüber der Presse und Pressevertretern rauer wird. Er wird auch gegenüber Personen rauer, die öffentliche Ämter, zum Beispiel das des Bürgermeisters, innehaben. Das macht mir Sorgen, weil wir Menschen brauchen, die diese verantwortungsvollen Positionen übernehmen. Wenn die sich davon abschrecken lassen, ist das bedenklich. Aber gleichzeitig habe ich die Hoffnung, dass die meisten Menschen Argumenten zugänglich sind.

Sie sprachen die Macht von Social Media an. Auch da stellt sich die Frage, wie Journalisten damit umgehen, dass sich etwa Elon Musk und Mark Zuckerberg zu Trumps Steigbügelhaltern machen. Müssen die Öffentlich-Rechtlichen auf diesen Plattformen bleiben oder muss man irgendwann die Reißleine ziehen?

Wir können nur dann eine Relevanz entfalten, wenn wir das Publikum erreichen. Mein Wunsch ist, dass alle Menschen am liebsten unsere Audiothek, Mediathek oder unsere linearen Angebote nutzen. Wir müssen aber die Realität zur Kenntnis nehmen: Solange wir viele Menschen nur über Social Media erreichen, müssen wir auch dort präsent sein. Daher müssen wir daran arbeiten und überlegen, wie man unsere Plattformen noch attraktiver machen kann; technisch, aber auch mit Inhalten für Zielgruppen, die wir bisher noch nicht erreichen. Und durch gemeinschaftliche Anstrengungen mit Kultur, Bildungsträgern und privaten Medien. Wir müssen eine so große Schlagkraft entwickeln, dass wir den kommerziellen amerikanischen oder chinesischen Plattformbetreibern etwas entgegensetzen können.

Aber Sie sind offen für eine Zusammenarbeit mit privaten Medienhäusern?

Ja, wir loten das gerade aus. Wenn wir es gemeinsam schaffen wollen, auch in 20 Jahren noch ein publizistisch vielfältiges duales Mediensystem zu haben, müssen wir uns gegenseitig in den Punkten unterstützen, wo wir gar nicht im Wettbewerb sind. Zum Beispiel, indem wir technische Plattformen gemeinsam entwickeln oder sagen, die Zeitungen haben einen Schwerpunkt, und wir einen anderen. So können wir eine friedliche Koexistenz im Interesse der Vielfalt hinkriegen und gegen die gewaltige Konkurrenz der Plattformbetreiber bestehen. Wenn wir davon ausgehend der Politik einen Vorschlag machen, ist die sicher sehr dankbar, denn sie hat ja dasselbe Interesse und will nicht, dass Herr Musk hier die Politik macht.

Zuallererst sehe ich mich als Möglichmacherin von Programm. Ich will gute Rahmenbedingungen schaffen, damit die Programmmacher das bestmögliche Programm machen können
Katrin Vernau

Sie sind seit Januar im Amt und seit langem die erste Intendantin des WDR, die kein journalistisches Profil hat, sondern Ökonomin ist. Wie definieren Sie für sich Ihre neue Rolle?

Zuallererst sehe ich mich als Möglichmacherin von Programm. Ich will gute Rahmenbedingungen schaffen, damit die Programmmacher das bestmögliche Programm machen können. Aber das Thema Verbreitung zum Beispiel ist ja keine originär journalistische Frage, sondern eine strategische. Mich darum zu kümmern, nachzuhaken und sicherzustellen, dass wir auf den richtigen Weg kommen, betrachte ich als meine Aufgabe. Es ist auch wichtig, durch personelle Entscheidungen für Sachverstand zu sorgen und dafür, dass die Gelder an der richtigen Stelle ausgegeben werden.

Sie haben, anders als viele andere Führungskräfte innerhalb der ARD, auch Erfahrungen in der Privatwirtschaft gesammelt. Was kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk von dieser lernen?

Die private Wirtschaft muss sich immer um ihre Kunden kümmern. Wenn sie das nicht tut, hat sie keinen Erfolg. Das können wir auf unser Publikum und unsere Perspektive übertragen. Wir müssen unser Programm noch stärker aus Nutzersicht betrachten. Das ist ein Wandel. Wir kommen ja aus einer Monopolsituation. Dann kam das private Fernsehen in den 1980er Jahren, und jetzt haben wir einen harten Wettbewerb um jeden einzelnen Nutzer. Wir müssen noch besser verstehen, wie in Zukunft Mediennutzung funktionieren wird und wie wir dann mit unserem Programm unsere Nutzer begeistern und binden können. Außerdem lernen wir von der privaten Wirtschaft, dass Wirtschaftlichkeit – also Effizienz und Effektivität – kein Schimpfwort ist. Es bedeutet schlicht, dass man mit dem Geld, das man hat, so viel und so gut wie möglich Programm macht.

Haben Sie wirklich den Ehrgeiz, alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen?

Die Legitimation, öffentliche Gelder von allen Beitragszahlern zu bekommen, haben wir nur, wenn wir auch Angebote für alle machen. Die Beitragsdebatte ist für mich ein Ausdruck davon, dass wir diese Legitimation ein Stückchen verloren haben.

Sie sprechen die Debatte über die Höhe des Rundfunkbeitrags an. Ist es richtig, vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen? In der Außenwirkung entsteht vermutlich bei vielen der Eindruck, die Öffentlich-Rechtlichen kriegen den Hals nicht voll.

Es ist richtig zu klagen. Es geht nicht anders. Wir halten uns an das Gesetz. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs hat eine Empfehlung auf der Basis unserer Anmeldung abgegeben. Jetzt ist die Politik am Zug. Sie hält sich nicht an dieses Verfahren und verweigert eine Beitragsanpassung. Dabei hat der Gesetzgeber selbst ja die Regeln für genau dieses Verfahren gemacht. Man kann sie ändern, aber dann muss der Gesetzgeber das auch tun. Er kann den Programmauftrag anpassen, er kann ein neues Finanzierungsmodell festlegen. Aber solange es das noch nicht gibt, gilt das bestehende.

Aber es wurden ja erste Reformen auf den Weg gebracht.

Die finde ich überwiegend auch gut. Sie sind kompatibel mit dem, was wir ohnehin an ARD-Reformen von uns aus auf den Weg gebracht haben. Mittelfristig werden sie auch kostendämpfend wirken, etwa durch die Reduzierung der Anzahl der Radiowellen.

Sie sagen, das ist die richtige Entscheidung?

Nein, das sage ich nicht. Ich sage nur, dass es die Aufgabe der Politik ist, wenn sie den Beitrag stabil halten will, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die das ermöglichen. Natürlich können sie die Anzahl der Radiowellen oder Spartenkanäle begrenzen oder auch reduzieren. Die Politik hat da ihren Auftrag erfüllt. Aber es ist nicht der große Wurf in der Frage, wie man den Beitrag stabil halten kann. Jetzt liegt die Verantwortung auch bei uns, das Beste daraus zu machen.

Werden größere Einschnitte kommen?

Die Frage ist, ob wir eine gesellschaftliche Akzeptanz für eine weitere Erhöhung des Rundfunkbeitrags schaffen, die zumindest einen gewissen Preisausgleich sicherstellt. Effizienzen werden wir immer heben können, aber einen teilweisen Preisausgleich brauchen wir, ansonsten müssen wir schrumpfen. Wenn man die letzten sechs Jahre anschaut, hatten wir 20 Prozent Preissteigerungen. Und wenn die Politik sagt, der Beitrag soll stabil bleiben, kommen irgendwann zwangsläufig die großen strukturellen Themen. Aus meiner Sicht ist es deswegen langfristig entscheidend, ob wir den Menschen vermitteln können, dass wir für sie ein wertvoller Begleiter in ihrem Alltag sind. Wenn die Menschen uns nicht nutzen oder nicht wissen, dass ihr Lieblingsprogramm von uns kommt, haben wir nicht den Rückhalt in der Bevölkerung für Beitragsanpassungen.

Wie sehr erschwert diese Überzeugungsarbeit, dass mit der AfD eine Partei im Bundestag sitzt, die die Öffentlich-Rechtlichen abschaffen will?

Die Öffentlich-Rechtlichen sind nicht im Grundgesetz verankert, das ist nur die Pressefreiheit. Es ist nicht verboten, zu sagen, man braucht die Öffentlich-Rechtlichen nicht. Das müssen wir aushalten. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung irgendwann mal der Auffassung sein sollte, dass man uns nicht mehr braucht, dann müsste die Politik damit umgehen. Aber ich halte das für falsch und werde bis zu meinem letzten „Blutstropfen“ für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kämpfen, weil ich ihn für sehr wertvoll für unsere Gesellschaft und für unsere Demokratie im Besonderen halte. Das sieht das Bundesverfassungsgericht zum Glück auch so.

Teil der Debatte über Reformen ist die Frage, welche Sender man einsparen könnte. Der WDR ist für die ARD für Phoenix zuständig. Werden Sie sich für den Erhalt des Senders einsetzen?

Das, was Phoenix besonders macht, ist die Live-Berichterstattung von Ereignissen, unter anderem von politisch relevanten Veranstaltungen oder von Sitzungen des Bundestags. Ich halte das für unverzichtbar in der Demokratie, weil ja nicht jeder selbst ins Parlament gehen und die Debatten verfolgen kann. Ob das in alle Ewigkeit ein linearer TV-Sender sein muss, weiß ich nicht. Entscheidend ist, wie die Menschen das Programm nutzen wollen.

Es ist nicht verboten, zu sagen, man braucht die Öffentlich-Rechtlichen nicht. Das müssen wir aushalten
Katrin Vernau

Der WDR hat in den vergangenen Jahren 500 Planstellen eingespart. 400 Stellen werden in den kommenden Jahren frei. Können Sie die nachbesetzen?

Wenn wir so, wie die KEF es empfohlen hat, und wie der jetzige Programmauftrag ist, die Ressourcen bekommen, können wir die Stellen nachbesetzen. Wenn das nicht der Fall ist, müssen wir noch mal neu überlegen. Ein wichtiges Thema sind in diesem Zusammenhang die Tarifverhandlungen. Ich verstehe, dass unsere Mitarbeiter einen Inflationsausgleich haben wollen. Aber ohne Beitragsanpassung können wir nicht den Forderungen der Gewerkschaften nachkommen, weil das Budget es nicht hergibt.

Ende Januar gehen Sie in eine neue Verhandlungsrunde. Wird es dann zu einer Einigung kommen?

Wir haben finanziell ein gutes Angebot vorgelegt, bei dem auch die Gewerkschaften sehen, dass wir das, was wir an Geld zur Verfügung haben, an die Beschäftigten weitergeben wollen. Wir haben noch einen Knackpunkt bei der crossmedialen Honorierung. Der Tarifvertrag ist aus dem letzten Jahrtausend, er ist noch an den Ausspielwegen orientiert. Wir müssen zu einer faireren Honorierung kommen, die den Aufwand stärker berücksichtigt und nicht den Ausspielweg.

Die Freien befürchten aber, dass sie einfach weniger Geld verdienen.

Aber so ist es nicht. Der Honorar-Topf bleibt ja gleich, er soll aber fairer verteilt werden. Und da kommt auch die Steigerungsrate drauf wie bei den Festangestellten.

Sie haben mehrfach betont, das Regionale im WDR stärken zu wollen. Wie soll das konkret aussehen?

Wir werden uns definitiv nicht aus der Fläche zurückziehen, vielleicht muss die Präsenz dort sogar ausgebaut werden, weil wir noch näher an den Menschen in NRW sein wollen. Wichtig ist mir, dass wir auch auf den digitalen Verbreitungswegen die Menschen mit unseren regionalen Inhalten besser erreichen. Ich habe da noch keine Patentlösung, werde aber mit den Kolleginnen und Kollegen an guten Lösungen arbeiten und dabei auch die technologischen Möglichkeiten besser nutzen. Wir machen zum Beispiel im Moment noch keine Geolokalisation und Ausspielung nach Standort. Wir waren in der Vergangenheit sehr zögerlich, die Nutzer nach ihren Daten zu fragen. Ich denke, dass wir darum stärker bitten müssen, nicht weil wir sie kommerziell verwerten wollen, sondern um sie noch besser adressieren zu können.

Lassen Sie uns nochmal den Blick nach Köln richten. Die Sanierung des Filmhauses ist teurer und dauert länger als geplant. Sowohl die KEF, als auch der Landesrechnungshof und der Verwaltungsrat haben dem WDR Fehler bescheinigt. So habe es zu entscheidenden Zeitpunkten weder eine Immobilienstrategie noch eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung gegeben.

Der Rechnungshof bezieht sich in seiner Kritik auf eine Zeit, zu der ich noch gar nicht im WDR war. Es ist richtig, dass es damals keine formale Immobilienstrategie gab, aber die haben wir, als ich kam, innerhalb von zwölf Monaten vorgelegt. Sie wird seitdem auch fortgeschrieben. Der Rechnungshof hat auch gesagt, es gab keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung bei der Entscheidung, dieses Gebäude in der Innenstadt zu sanieren. Beispielsweise fordert der LRH eine Vergleichsberechnung verschiedener Standorte – zum Beispiel eine Sanierung in der Innenstadt versus ein Neubau in Bocklemünd. Der WDR hat nachweisen können, dass die Sanierung in der Innenstadt günstiger war als ein Neubau und auch als ein Neubau in Bocklemünd es gewesen wäre. Die Kritik des LRH kann ich aber auch nachvollziehen, das hätte man sicherlich besser machen können.

Wird die Baustelle also das nächste Bau-Debakel in Köln?

Nein, wird sie nicht. Das ist ein großes und komplexes Projekt, aber im Moment sind wir im Zeit- und Budgetplan. Auf einer so großen Baustelle gibt es immer auch Schwierigkeiten, aber ich denke, dass wir gut durch die nächsten Monate kommen und im Sommer mit der Inbetriebnahme wie geplant beginnen.

Und wie stehen Sie zur Ausschreibung für teure Designermöbel?

Das mit den Möbeln war ungeschickt. So ein öffentliches Thema zu produzieren, hätte ich gerne vermieden. Wir hätten das offener ausschreiben sollen.

Sie waren kürzlich bei der Prinzenproklamation. Können Sie mit Köln und Karneval als Süddeutsche etwas anfangen? Ihr Vorgänger war ja als Rheinländer damit bestens vertraut.

Ich finde, dass in Köln die Stimmung ganz besonders und mitreißend ist. Die Leute sind unheimlich fröhlich, vom ersten Moment an. Das finde ich großartig. Mir macht das Spaß, aber ich bin da noch nicht so ausdauernd.


Katrin Vernau, geboren 1973 in Villingen-Schwenningen, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und war von 2015 bis 2024 Verwaltungsdirektorin des WDR. Seit dem 1. Januar ist sie die neue Intendantin des WDR. Vernau studierte an der Universität St. Gallen und der Columbia University.

2001 wurde sie an der Universität Potsdam promoviert. Sie arbeitete rund zehn Jahre in der Unternehmensberatung, zuletzt als Partnerin bei Roland Berger. Zudem war sie Kanzlerin und Mitglied der Hochschulleitung an den Universitäten Ulm und Hamburg. 2022/2023 übernahm sie für ein Jahr das Amt der RBB-Intendantin.