Wovon andere Städte nur träumenWo derzeit die neue Kulturstadt am Rhein entsteht
- Überall in NRW wird an der Kultur gespart, Opern fusioniert und Theater geschlossen. Nur die kleine Stadt Monheim am Rhein investiert kräftig in ihre Kulturlandschaft.
- Sie erinnern sich? Die Stadt, die mit ihrer rekordverdächtig niedrigen Gewerbesteuer andere Städte in der Region verärgert hatte, schickt sich nun an, das Kulturpublikum aus anderen Städten zu sich zu locken – unter anderem mit einer neuen Halle.
- Was ist da eigentlich los? Ein Ortsbesuch – und ein Überblick über die mehr als ehrgeizigen Pläne.
„Uns geht es gut“, sagt Sonja Baumhauer. Dabei lacht die Leiterin des Ulla-Hahn-Hauses, als wäre die Antwort eine Selbstverständlichkeit in der gegenwärtigen Kulturlandschaft. Was ihre literarische Institution, die seit 2013 im ehemaligen Elternhaus der Schriftstellerin Ulla Hahn untergebracht ist und sich vor allem an junge Leser wendet, bislang vorgeschlagen habe, sei „alles von der Politik durchweg super positiv behandelt worden.“
Daher konnte im Mai auch „Hillas Leseschuppen“ im Garten eingeweiht werden, der an den Ort erinnert, den sich Ulla Hahn einst für ihre Lektüren erobert hatte. Ein liebevoll gestaltetes Refugium mit der rekonstruierten Kindheits-Bibliothek der Autorin, mit einer Sound-Collage und einigen Buchsteinen, die für Hildegard Palm, das Alter Ego von Ulla Hahn in ihren autobiografischen Romanen, so wichtig waren. Dem Stadtrat von Monheim liege die Kultur am Herzen, sagt Sonja Baumhauer, „das ist so!“ Was ist da los?
Bürgermeister Daniel Zimmermann – erst berühmt geworden wegen seines Alters von nur 27 Jahren beim Amtsantritt vor zehn Jahren, dann wegen der wirtschaftlichen Bergauffahrt der Kommune aus dem Minus ins Plus – stapelt zunächst einmal tief. In seinem Büro beteuert er, dass die Kultur in Monheim „immer schon einen hohen Stellenwert hatte“. Er verweist unter anderem darauf, dass der kostenlose Musikschulunterricht für Grundschüler in Monheim erfunden worden sei. Und in den weiterführenden Schulen gebe es Bläser- und seit kurzem Orchesterklassen. Er selbst habe einst Klassische Gitarre in der Musikschule gelernt.
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Dennoch wird jetzt doch noch eine Schippe draufgelegt – mit viel Kunst im öffentlichen Raum, mit der „Kulturraffinerie“ am Rhein-Kilometer 714 und mit einem neuen Festival. Von Kleinigkeiten wie dem Kulturbus, der die Monheimer demnächst kostenlos zu den Veranstaltungsorten transportieren wird, mal ganz zu schweigen. Und warum das alles? Ist das eine weitere Initiative, um den Standort für Unternehmen noch attraktiver zu machen. Immerhin 300 Firmen haben sich seit Zimmermanns Dienstantritt in Monheim angesiedelt. Die kamen zumal wegen der abgesenkten Gewerbesteuer. Sollen jetzt noch mehr Unternehmen kommen wegen der angehobenen Kulturleistung?
Zimmermann schüttelt den Kopf. Er denke überhaupt nicht daran, die Kultur solcherart zu instrumentalisieren. Ihm gehe es um die Kommune: „Kultur ist das, was die Bürgerinnen und Bürger essenziell von einer Stadt erwarten“, sagt er. Rat und Verwaltung sollen sich nicht nur um Straßen und Verkehrswege kümmern, sondern auch um Angebote, damit die Menschen sich hier zu hause fühlten. „Dass man sich mit einem Ort identifiziert“, sagt er, „hat immer eine kulturelle Komponente.“
Natürlich wird auch in Monheim über das Geld diskutiert. Allerdings weiß Zimmermann nicht, wie hoch der Anteil der Kultur am Gesamtetat ist. Aus einem einfachen Grund: „Es war noch nie ein Thema in den Ratsdebatten.“ Das unterscheidet eine Kommune von 40000 Einwohnern von einer Millionen-Metropole. Im Monheimer Stadtrat wird von Projekt zu Projekt diskutiert.
So auch über die 400.000 Euro, die man jährlich für Kunst im öffentlichen Raum ausgibt. Die Initiative ermögliche einen „niederschwelligen Zugang zur Bildenden Kunst“, sagt Zimmermann, sei also etwas anderes als ein Besuch in einem Museum.
Nach den Sommerferien soll eine Skulptur des Künstlerkollektivs Inges Idee einen Kreisverkehr beleben: „Haste Töne“ ist ein überdimensionaler Plattenteller, auf dem die umfahrenden Autos den Ton angeben. Der „Geysir“ von Thomas Stricker, der demnächst an einem weiteren Kreisverkehr mit Wasserspielen überraschen will, ist „eine technische Herausforderung“ und hat bislang die meisten Diskussionen ausgelöst. Das sei doch klar, meint Zimmermann, dass Kunst auch kontroverse Debatten auslöse. Die erwartet er zudem, wenn die Gänseliesel, das Monheimer Maskottchen, in der Interpretation von Markus Lüpertz aufgestellt wird. Nicht weil die dreieinhalb Meter hohe Bronze-Skulptur 700000 Euro kostet und daher den Etatposten deutlich übersteigt, sondern weil sich vielleicht manch ein Monheimer ein anderes Bild von der Gänseliesel macht als der „Malerfürst“.
Und dann gibt es noch die Licht-Pyramide des Zero-Künstlers Heinz Mack. Diese ist 1990 auf einem Firmengelände am Stadtrand fertiggestellt worden, aber für die Öffentlichkeit unzugänglich geblieben. Erst jetzt, nach dem Ankauf der Pyramide durch die Stadt, soll sie für alle begehbar gemacht werden. Erste Gelegenheit, einen Blick hineinzuwerfen, wird sich am Tag des offenen Denkmals am 8. September bieten.
Etwas länger wird es dauern, bis die neue Multifunktionshalle fertiggestellt sein wird. Nach Plänen der Architekten Bez und Kock wird die ehemalige Shell-Fassabfüllanlage am Rheinufer zur Kulturraffinerie K714 mutieren – mit einer Angebots-Palette vom Rock-Konzert bis zur Tagung. Dazu wird in die denkmalgeschützte Fassade ein moderner Kubus implantiert. Ab 2023 soll das Areal von der vor einem Jahr gegründeten Kulturwerke Monheim GmbH, einer 100-prozentigen Tochter der Stadt, bespielt werden
„Es wird teurer als geplant”
Noch liege man mit dem Bau im Zeitplan, sagt der Bürgermeister, weil es einen großzügigen Zeitpuffer gebe. Allerdings weiß er schon jetzt: „Es wird teurer als geplant.“ Unter anderem deshalb, weil das Gelände kontaminiert ist. Vorgesehen waren Baukosten in Höhe von 38 Millionen Euro, weitere zehn Millionen für die Technik. Natürlich könne man eine Halle auch zu diesen Preisen bauen, meint Zimmermann. Doch dann müsse man Abstriche machen. Er wolle den Rat davon überzeugen, sich Ende des Jahres wie geplant für eine Halle mit hoher „Wertigkeit“ zu entscheiden. Zumal eine Stadt ein solches Gebäude nur alle 40 Jahre baue.
Die 2000 Sitzplätze beziehungsweise 4000 Stehplätze füllt man nicht alleine mit der Monheimer Bevölkerung. Auch das Umland – Kölner, Düsseldorfer – sollen angelockt werden. Das soll zumal gelingen mit der Monheim-Triennale, einer Tochter der Kulturwerke (und somit Enkelin der Stadt). Auf dem Programm steht Neue Musik in einer Stadt, die auch eine Karlheinz-Stockhausen-Straße hat. In Köln, wo der Komponist gewirkt hat, gibt es eine solche noch nicht.
Aber ist da überhaupt noch ein Platz frei in der reich bepflanzten Festivallandschaft? Klar, meint Reiner Michalke, der als Intendant seine Erfahrungen mit der Kölner MusikTriennale, dem Kölner Stadtgarten und dem Jazzfestival Moers einbringen kann. „Die Monheim-Triennale wird sich in mindestens drei Merkmalen von anderen Musikfestivals unterscheiden“, sagt er. „Dies ist zum einen der dreijährige Rhythmus, dann das breite inhaltliche Spektrum von komponierter, improvisierter und populärer Musik und die Tatsache, dass wir uns nicht auf Gruppen oder Werke, sondern auf die jeweilige Künstlerpersönlichkeit konzentrieren.“ Einen Vorgeschmack soll es im Juli 2020 geben. Was dann auf dem Programm steht, wird am 4. September bekanntgegeben.
„Ich kenne keine Stadt“, sagt Michalke, „die über eine vergleichbare Dynamik verfügt. Hier werden Dinge umgesetzt, von denen andere Städte nur träumen. Davon betroffen sind nahezu alle Bereiche des städtischen Lebens, ganz besonders aber die Kultur.“ Seit dem Wechsel im Amt des Bürgermeisters im Jahre 2009 seien die Aktivitäten in den Bereichen Musik, Literatur und Bildender Kunst nahezu explodiert. „Und jetzt mit der Planung des neuen Kulturzentrums K714 am Rhein wird eine ganz neue Ära der Kulturstadt Monheim eingeläutet.“
„Lommer jon“ – das pflegte der Großvater zur kleinen Hildegard zu sagen, wenn er zum Rheinufer aufbrechen wollte. „Lommer jon“, dieser Satz aus Ulla Hahns Roman „Das verborgene Wort“, könnte auch das Motto für die Kulturstadt Monheim sein. Auf geht’s.