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LeserbriefeOlympia-Begeisterung lediglich ein Strohfeuer?

Lesezeit 7 Minuten
Die Hände einer Frau präsentieren eine olympische Bronzemedaille an blauem Band. Die Fingernägel der Dame sind in unterschiedlichen Farben, metallisch und rosa, rot, schwarz lackiert.

Bronzemedaille der Olympischen Spiele 2024 in Paris

Kann eine Bewerbung Deutschlands um Olympische Spiele dem hiesigen vernachlässigten Schul- und Breitensport helfen? Leser diskutieren.

Die Seele des Sports – Deutschland hat das Leistungsprinzip abgeschafft - schon beim Schulsport – Kolumne von Frank Nägele (7.8.)

Olympia-Bewerbung als Chance, Schul- und Breitensport zu fördern

Frank Nägeles Kritik, dass der Wert des Sports in Deutschland politisch eher gering eingeschätzt wird, trifft zu. Die Folge davon ist, dass der Schulsport sträflich vernachlässigt wird, ich würde sagen sträflich, denn Sport bietet nicht nur eine gute Möglichkeit, dem Bewegungsdrang junger Menschen Raum im Schulalltag zu geben, er ist auch ein guter Ausgleich für das überwiegend „kopflastige Lernen“, das in asiatischen Ländern so hoch im Kurs steht und seit neustem auch hier als vorbildlich dargestellt wird. Außerdem baut Sport Aggressionen ab, die im Zusammenleben von unterschiedlichen Menschen und Begabungen zwangsläufig entstehen, vorausgesetzt, die Regeln des Fairplay werden vermittelt und konsequent eingeübt.

Sport ist eine der besten Lernmöglichkeiten, mit Niederlagen umzugehen, nicht daran zu zerbrechen, sondern sie auch als „Ansporn“ zu begreifen. Wenn aber Turnhallen dauerhaft zweckentfremdet werden, wenn der Schwimmunterricht mangels Sportlehrer oder Schwimmhalle ausfällt, was an der Tagesordnung zu sein scheint, wenn auch die Bundesjugendspiele nur noch „weichgespült“ durchgeführt werden dürfen, damit kein Kind Frustrationen erleidet, dann sieht es natürlich schlecht aus für diesen wichtigen Bereich. Da hilft auch die ständige Warnung von Medizinern nicht, dass die Vernachlässigung der gezielten Bewegung in jungen Jahren sehr bald zu erheblichen gesundheitlichen Problemen führen wird.

Eine Großveranstaltung wie die Olympischen Spiele ist eine gute Gelegenheit, die Vielfalt der Sportwelt zu präsentieren
Margret Schmitz

Im Unterschied zu Frank Nägele finde ich, dass dem Fußball in Deutschland zu viel Bedeutung beigemessen wird, was automatisch alle anderen Sportarten abwertet. Beim Fußball steht mir außerdem der finanzielle Aspekt zu sehr im Vordergrund. Wer geht andererseits zu Leichtathletik-Wettbewerben und feuert diese Sportler an, die auch Hervorragendes leisten, wie man jetzt bei Olympia endlich einmal im TV sehen kann? Wann zeigen Zeitungen auf der ersten Seite Sportarten, in denen es nicht nur um Kampf, sondern auch um perfekte Körperbeherrschung, scheinbare Leichtigkeit und Ästhetik geht und die Zuschauer den Atem anhalten vor Staunen?

Auch aus diesem Grund ist eine Großveranstaltung mit Show-Charakter wie die Olympischen Spiele eine gute Gelegenheit, die Vielfalt der Sportwelt zu präsentieren. Hoffentlich bleibt das nicht lediglich ein Strohfeuer – und anschließend singen alle wieder nur noch „Fußball, Fußball über alles“. Ich tröste mich damit, dass ich mir sage: Fußball ist besser als kein Sport. Margret Schmitz Pulheim

Sport: „Leistungsprinzip in der ‚woken‘ Gesellschaft abgeschafft“

Solange bereits 10-jährige Kinder nicht mehr aus dem Lastenrad hinausklettern und nicht mal mehr selber Rad fahren können, wird sich die Lage weiter verschlechtern. Das kann man jeden Tag auf den Straßen beobachten. Dem kann der Staat dann auch nichts mehr entgegensetzen. Die Abschaffung des Leistungsprinzips in der „woken“ Gesellschaft macht alles noch schlechter. Dazu kommt, dass in Köln die Führungsriege der Stadt wahrlich nicht viel für den Breiten- und Leistungssport übrig hat. Vielleicht könnte man sportliche Übungen auf die Opernbaustelle verlegen, damit diese eventuell doch noch fertig wird. Udo Kohllöffel Köln

Olympia-Bewerbung Deutschlands wird dem Breitensport nicht helfen

Es ist Herrn Nägele in jeder Hinsicht zuzustimmen, dass der Breitensport in unserer Gesellschaft, vor allem in den Schulen, ein Schattendasein fristet. Wie er verstehe auch ich nicht, dass Sport- und Schwimmunterricht oftmals ausfallen. Gleiches gilt für den Breitensport, denn es gibt immer weniger Sporthallen und Hallenbäder, für die Freizeitbäder kein Ersatz sind. Sportvereine müssen mühsam um Zeiten ringen und die Folgen für die Menschen sind überall zu besichtigen.

Wenn Schulen nicht den entsprechenden Umfang an Sportstunden anbieten können, wenn Kinder die Grundschulen verlassen und dennoch nicht schwimmen können, so ist das keine Faulheit, sondern einfach politische Setzung: Bildung und Sport sowie Gesundheitsfürsorge sind eben keine Pflichtaufgabe, sondern Kür. Und dafür fehlt schlichtweg das Geld vor Ort. Wenn man Menschen Faulheit unterstellt, dann privatisiert man das Problem. Ob Sport in ausreichendem Maß ausgeübt werden kann, ist aber eine strukturelle Angelegenheit.

Derzeit wird von allen Seiten eine Olympia-Bewerbung Deutschlands ins Spiel gebracht, Gegenargumente werden leider nicht veröffentlicht. Schaut man in die letzten 40 Jahre Olympia, so stellt man schnell fest, dass es nur einen einzigen Gewinner gibt: das IOC. Ansonsten hat der jeweilige Steuerzahler viele Milliarden Euro oder Dollar aufbringen müssen, um dieses Event durchzuführen. Selbst derzeit in Frankreich ist es nicht anders: Statt 2,5 Milliarden Euro wird der Aufwand auf fast neun Milliarden Euro geschätzt.

Warum nicht auch ohne Olympia veranlassen, dass genügend Sporthallen und Schwimmbäder gebaut werden und der Nahverkehr funktioniert?
Michael Liß

Sponsorengelder gehen ausschließlich an das IOC, und es wird vorgeschrieben, wer was wie bewerben darf. Und der kleine Bäcker, der Olympiabrötchen verkaufen möchte, muss dafür Gebühren an das IOC zahlen. So bleiben Fragen: Wieso werden die Verträge, die ein Land mit dem IOC abschließen muss, nicht offengelegt? Wieso dürfen staatliche Kontrollstellen keine unabhängigen Dopingtests durchführen? Wieso werden IOC-Mitglieder straffrei gestellt?

Warum dürfen nicht die Bürgerinnen und Bürger über eine Bewerbung für die Ausrichtung von Olympischen Spielen mitbestimmen, wo sie doch den Hauptteil der Lasten tragen müssen? Und wieso nehmen überhaupt Profis an den olympischen Spielen teil, die sowieso Millionen Euro verdienen und damit den Amateuren und den sich in ihrer Freizeit schindenden Sportlern die Möglichkeiten für Medaillen und Anerkennung nehmen?

Und warum kann man seitens der Politik nicht auch ohne Olympia veranlassen, dass genügend Sporthallen und Schwimmbäder gebaut werden und der Nahverkehr funktioniert? Und, da widerspreche ich Herrn Nägele deutlich, warum soll die Begeisterung eines Einzelnen sowie die Selbstdarstellung von Politikern die Blaupause für eine kostenintensive Beteiligung einer ganzen Gesellschaft sein? Michael Liß Sankt Augustin

Olympia 2024: Beweis für rudimentäre Sportförderung in Deutschland

Die körperliche Ertüchtigung und der Wille, gewinnen zu wollen, ist bei uns nur selektiv vorhanden und auch die Förderung durch Staat, Land, Kommune und Vereine ist in Deutschland im Gegensatz zu den USA und einigen anderen Ländern nur rudimentär vorhanden. Das Schauspiel „Olympia 2024“ ist der beste Beweis für die Vernachlässigung der Fördermaßnahmen des Sports in jeder Hinsicht. Daran ändern auch die vollmundigen Äußerungen der anwesenden Funktionäre der einzelnen Sportdisziplinen nichts.

Wo sind die jungen Funktionäre, die Kümmerer und Förderer? Ich vermute, dass diese Menschen durch die alten Funktionäre abgeschreckt werden und sich nicht trauen, diese Altvorderen abzuwählen und neue Richtungen im Sport vorzugeben. Armes Deutschland – wohin geht Dein Sport? Jürgen W. Urbahn Rösrath

Bundesjugendspiele als Chance, Talent und Stärken zu entdecken

Herr Nägele spricht mir aus dem Herzen, insbesondere wenn er die Abschaffung des Leistungsprinzips bei den Bundesjugendspielen kritisiert. Es ist ein Irrglaube, wenn man meint, Kindern zu helfen, indem man ihnen Niederlagen und Enttäuschungen erspart. Diese vermeintlich negativen Erlebnisse werden im Leben unweigerlich kommen, und dann wissen die betroffenen Menschen nicht, wie sie mit ihnen umgehen und wie sie sie überwinden sollen, weil sie das als Kinder nicht gelernt haben.

Ich habe mein Leben lang Sport getrieben und in der Tatsache, dass andere besser waren als ich, in erster Linie einen Ansporn gesehen, meine Leistungen zu steigern. So bekam ich bei den Bundesjugendspielen jahrelang nur die „normale“ Urkunde (mindestens 40 Punkte), habe trainiert und schließlich einmal die 65 Punkte für die sogenannte „Heuss-Urkunde“ geschafft. Die hieß so, weil sie vom Bundespräsidenten unterschrieben war. Das war in den 50er-Jahren.

Dass nicht jedes Kind bei den Bundesjugendspielen die geforderten sportlichen Leistungen bringt, ist normal, und das wissen die Kinder auch. Deshalb sind sie keine Versager; ihre Talente liegen dann auf einem anderen Gebiet, etwa in der Musik. Man stelle sich vor, in der Musik wird das Leistungs- oder sagen wir Talentprinzip ebenfalls abgeschafft, und der Musiklehrer gezwungen, jedes Kind in den Schulchor aufzunehmen, auch wenn es nicht einen einzigen richtigen Ton trifft! Nach dem Motto: Es singt nicht falsch, es singt nur anders. Dr. Axel Jochum Köln

„Sport in seiner Gänze spannender als der omnipräsente Fußball“

Die Olympischen Spiele bieten alle vier Jahre für zwei Wochen einen würdigen Rahmen für Sportarten, die sonst aufgrund der Allmacht des Fußballs in der Medienberichterstattung kaum eine Rolle spielen. Die Art der journalistischen Berichterstattung trägt zur permanenten gesellschaftlichen Wahrnehmung von Sportarten und damit indirekt auch dazu bei, dass sich junge Menschen für das Betreiben anderer Sportarten als Fußball entscheiden können.

Sport ist in seiner Gänze nun einmal bunter, vielfältiger und häufig auch spannender als der omnipräsente Fußball. Die olympischen Wettkämpfe legen hiervon alle vier Jahre Zeugnis ab. Vor diesem Hintergrund frage ich mich ernsthaft, wie weit die Symbiose aus Medialisierung und Kommerzialisierung im Fußball noch getrieben werden muss. Dr. Roman Bertenrath Neunkirchen-Seelscheid