Während Australien brennt, startet dort die neue Ausgabe des „Dschungelcamps“. Für diese inszenierte Sozialpornografie gibt es keine Entschuldigung, findet Kolumnist Frank Nägele.
Warum er immer auf der Seite der Kakerlaken ist und er die Moderatoren und das versammelte Häuflein der Elenden für „Umweltsauen” hält, lesen Sie hier.
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Die schöne Metapher vom Unfall, an dem man nicht vorbeischauen kann, beschreibt die menschliche Lust am Entsetzen treffend. Aufgrund eines Geburtsfehlers fehlt sie mir. Ich kann da nicht hingucken und richte den Blick starr geradeaus, bis die Gefahr der schlimmen Bilder vorüber ist. Deshalb eigne ich mich auch nicht als Publikum für ein Fernsehformat wie das „Dschungelcamp“, dessen neuer Ausgabe die Gemeinde fiebrig entgegen zittert. Dagegen ließe sich wenig sagen, wenn es möglich wäre, sich dem Wahn dieser vom Kölner Sender RTL mit großem Aufwand inszenierten und dirigierten Sozialpornografie entziehen zu können. Das geht aber als Medienschaffender in unserem Land nur ganz schwer. Ein künstliches Koma für diese zwei Wochen schenkt mir leider kein Arzt. Es wird wieder eine harte Zeit.
Mit sicherer Hand hat die Redaktion des Erfolgsformats wieder ein Dutzend Gescheiterte aus Bereichen des Lebens eingesammelt, die sich in Zeiten vor dem Internet vor allem in Publikationen wie „Das neue Blatt“ und „St. Pauli Nachrichten“ wiederfanden. Dass diesmal der ehemalige Bundesverkehrsminister Günther Krause (CDU) mittut, der bei den Einigungsverträgen deutsche Geschichte geschrieben hat, ist nur konsequent. Schließlich ist der Gesellschaftsbereich Politik nicht ehrenwerter als der des Profi-Boxens, für den Ex-Weltmeister Sven Ottke antritt. Das passt schon alles wunderbar zusammen.
Also hat der Sender das Häuflein der Elenden mitsamt der ganzen Entourage von Technikern, Drehbuchschreibern und seinem unvermeidlichen Moderations-Duo Sonja Zietlow und Daniel Hartwich in Flugzeuge gesteckt und ans andere Ende der Welt verfrachtet, wo das Camp zur weltweiten Produktion dieses Unsinns aufgebaut wurde, der von Freitag an um die Schlafenszeit in Deutschland wieder Millionen Menschen vor die Endgeräte locken wird.
Dass halb Australien in Flammen steht, kümmert kaum einen der Verantwortlichen. Es müsste schon etwas wirklich Schlimmes passieren, damit ein Dschungelcamp abgesagt wird. Immerhin darf man, da die Grenzen von Satire im Fernsehen nun korrekt ausgelotet wurden, gefahrlos sagen: Sonja ist ’ne Umweltsau. Und Daniel auch. Und überhaupt alle, die das Dschungelcamp inszenieren, daran verdienen und sich daran delektieren. Sie sind alle Umweltsäue.
Es mag jenseits der ökologischen Gebote immer noch menschlich halbwegs nachvollziehbare Gründe dafür geben, mit dem Flugzeug von einem Kontinent zum anderen zu jetten. Ich selbst war gerade erst, nach sieben Jahren ohne Flugtätigkeit, mit schlechtem Gewissen in Thailand, um nach so langer Zeit den asiatischen Teil meiner Familie zu besuchen. Aber es ist ein Zeugnis menschlicher Unvernunft, für Fernsehunterhaltung auf unterstem Niveau einen gigantischen CO2 -Abdruck in der Zerstörungsgeschichte unserer Atmosphäre zu hinterlassen, während es rings um den Schauplatz des Geschehens lichterloh brennt, ein ganzer Lebensraum im Rauch versinkt und einen erheblichen Teil seiner Tierwelt verliert.
Ich war immer auf der Seite der Kakerlaken, Würmer, Krokodile und Kängurus, deren lebendiges oder totes Fleisch bei den Prüfungen dieser Show von den Elenden aufgegessen wurde, während eine bekennende Tierfreundin wie Frau Zietlow mit spitzer Zunge Witze darüber riss, die ihr vorher von ihrem Ehemann und zugleich Chefautor der Sendung auf ein Blatt Papier geschrieben worden waren. Und ich habe mich immer gefragt, ob es irgendwo ein Paralleluniversum gibt, in dem intelligente Riesenkakerlaken in ihrer Dschungelshow unter großem Ekel menschliche Genitalien oder Innereien verspeisen. Fall es irgendwo existieren sollte, fände ich das nur fair.
Aus einem Grund, der sich mir bis heute nur unter Widerwillen erschließt, waren das Camp und seine verzweifelten Insassen jahrelang Lieblinge gewisser Teile des deutschen Feuilletons: In der Art, wie der soziale Überlebenskampf dort ausgefochten wurde; wie Allianzen und Oppositionen entstanden und wechselten – darin wollten die Kolleginnen und Kollegen ein allgemeingültiges soziales Muster entdeckt haben, in dem sich jeder von uns wiederfinden könne. Ich kam mir dann immer altmodisch und isoliert vor in meiner Abscheu, die sich jeder intellektuellen Abstraktion verweigerte, wenn ein halbnacktes Silikonbrüste-Model schreiend ein Bad in 100 000 Käfern nahm. Das liegt aber bestimmt daran, dass ich zu dumm bin. Ich kann das einfach nicht verstehen.
Bevor ich in der letzten Stunde des Tages ein wenig „Römische Geschichte“ von Theodor Mommsen lese, werde ich in den nächsten zwei Wochen wieder viel Fernsehquatsch glotzen. „Meister des Alltags“ zum Beispiel, „Wer weiß denn sowas?“ oder – ich bekenne – „Bares für Rares“ mit dem kaum zu ertragenden Horst Lichter. Gegen solche Art von Sedierung am Ende eines harten Tages voller ernster Bedrohungen ist nichts zu sagen. Aber es gibt in meinen Augen keine Entschuldigung für das „Dschungelcamp“.
Frank Nägele ist Redakteur im Sport-Ressort. In seiner Kolumne schreibt er über alles, was (ihm) im Leben wirklich wichtig ist.