Zur Fußball-EM erwartet Frankfurt Gäste als aller Welt. Viele führt ihr Weg durch „Zombieland“, wie ein Boulevardblatt es formulierte.
Europameisterschaft in DeutschlandStadt Frankfurt will Situation im Bahnhofsviertel verbessern
„Zombieland“: mit drastischen Worten warnte jüngst eine britische Boulevardzeitung Fußballfans vor dem Frankfurter Bahnhofsviertel. Während der Europameisterschaft im Juni und Juli werden fünf Spiele in der Bankenstadt ausgetragen. Für die meisten Gäste wird der Weg über den Hauptbahnhof führen und damit direkt hinein in das, was die „Sun“ „den gefährlichsten Slum Deutschlands“ nennt, „randvoll mit 5000 schlurfenden Junkies und 300 Dealern“.
Zwei Monate vor dem ersten EM-Spiel in Frankfurt präsentierte die Stadt am Dienstag einen Maßnahmenkatalog, um die Situation zum Besseren zu wenden. Auf dem Podium drängten sich: der Oberbürgermeister, der Polizeipräsident und sieben Dezernenten. Dass die Probleme vor der EM nicht zu lösen sind, war dabei allen klar. OB Mike Josef (SPD) formulierte es so: „Wir schauen nicht weg, wir schauen hin. Der Weg ist noch lang, aber wir handeln.“
„Das schwierigste Gebiet in ganz Süd- und Mitteldeutschland“
„Das Frankfurter Bahnhofsviertel ist nur eineinhalb Quadratkilometer groß, aber es ist das schwierigste Gebiet für die Polizei in ganz Süd- und Mitteldeutschland“, sagte Polizeipräsident Stefan Müller. Zehn Polizisten seien am Tag und zehn in der Nacht vor Ort, dazu kämen regelmäßige Großkontrollen. „Viel mehr Polizei kann man da nicht reinbringen.“ Dennoch werde es am Kaisertor mehr Streifen geben und einen weiteren „Schutzmann vor Ort“.
Waffenverbotszone und Videoüberwachung zeigten Erfolge, sagte Müller. Zu den bisher drei Kameras sollen bis Herbst fünf weitere kommen. Allein durch die Kamera am Hauptbahnhof seien seit Beginn des Jahres 178 Beschuldigte identifiziert worden. In den ersten fünf Monaten seit Inkrafttreten der Waffenverbotszone seien 53 Waffen sichergestellt worden, meist Messer, „mit denen niemand mehr verletzt werden kann“.
Die Szene hat sich gewandelt: Crack statt Heroin
Sozial- und Gesundheitsdezernentin Elke Voitl (Grüne) kündigte an, dass die Zuschüsse für Träger der Drogenhilfe im Bahnhofsviertel aufgestockt werden, sie nannte eine Gesamtsumme von rund 15,5 Millionen Euro. Neben dem Streben nach Sicherheit und Sauberkeit müsse auch die Hilfe für Suchtkranke weitergehen.
70 Prozent der Suchtkranken im Bahnhofsviertel sind dem Dezernat zufolge von Crack abhängig, viele Hilfsangebote richteten sich aber an Heroin-Süchtige. Die Stadt will darauf reagieren mit der Gründung eines „interdisziplinären Sucht-Zentrums“, in dem Crack-Abhängige Hilfe, Beratung und eventuell auch Obdach finden, sowie einem Modellprojekt Behandlung dieser Menschen.
Schwerbehinderte drogenabhängige Menschen werden schon jetzt in Hotels untergebracht und versorgt. Dadurch stabilisiere sich ihr Zustand, viele kämen von der Straße weg. „Wir müssen den Mut haben, Dinge auszuprobieren“, sagte Voitl.
Wenn Straßenreinigung zur Sisyphusarbeit wird
Für Anwohner und Gewerbetreibende wurde ein „Verfügungsfonds“ aufgelegt, aus dem sie unbürokratisch Geld bekommen können für Verschönungsmaßnahmen, Veranstaltungen oder andere Ideen. Ein Förderprogramm soll folgen, aus dem marode oder leere Erdgeschosse saniert werden können. Ein „Koordinierungsbüro“ wurde eingerichtet, um den direkten Draht in die Stadtverwaltung herzustellen.
Der Kampf gegen den Müll schilderte die zuständige Dezernentin als „echte Sisyphusarbeit“: Wenn die Reinigungsteams am Ende der Straße angekommen seien, könnten sie vorn gleich wieder beginnen. 28 Leute seien nahezu rund um die Uhr im Einsatz. Dennoch würden die Reinigungsintervalle nun verkürzt.
Zudem soll es bald drei neue öffentliche Toiletten geben. Private Essensspenden dürfen nur noch an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit abgegeben werden. E-Scooter sollen nicht mehr irgendwo geparkt, sondern nur noch in markierten Zonen abgestellt werden dürfen.
Frankfurt: „Kaisersack“ wird „Kaisertor“
Wer vom Bahnhof aus ins Bahnhofsviertel läuft, durchquert eine Sackgasse, die im Volksmund „Kaisersack“ heißt, weil der kleine Platz in die Kaiserstraße mündet. Dieser Eingang zur Stadt soll als „Kaisertor“ „sozial belebt“ werden: Statt Dealern und Suchtkranken soll es Außengastronomie geben, statt Parkplätzen eine Fußgängerzone. Der Bahnhofsvorplatz soll neu gepflastert werden. Ziel ist es, „dass der erste Eindruck von der Stadt besser wird“, hieß es beim „Dialogforum“.
OB Josef ärgert sich über die Schlagzeile mit dem „Zombieland“. Viele Maßnahmen der Stadt hätten aber bereits begonnen und sie hören auch nach der EM nicht auf. Die Situation müsse nicht nur für die Gäste, sondern auch für die Frankfurter verbessert werden. Firmen, die ihren Sitz im Bahnhofsviertel haben, klagten am Dienstag darüber, dass die Lage die Suche nach Bewerbern erschwere. (dpa)