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Tagebau Garzweiler IIEin Riss spaltet die Dorfgemeinschaft in Keyenberg

Lesezeit 5 Minuten
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Bewohner in Keyenberg haben aus Protest gegen den Verlust ihrer Heimat Schilder aufgestellt.

  1. Keyenberg bei Erkelenz ist eines der Dörfer, die von der Umsiedlung im Zuge des Tagebaus Garzweiler II betroffen sind.
  2. Am Samstag erwartet die Polizei 4000 Teilnehmer bei einer Demo der Initiative „Alle Dörfer sollen bleiben“
  3. Im Dorf geht ein Riss durch die Gemeinschaft: Die einen kämpfen für den Erhalt Keyenbergs, andere bezeichnen das Dorf bereits jetzt als „Hülle ohne Seele“

Keyenberg – In der Stube in der ersten Etage hat Barbara Oberherr ihr Demo-Büro eingerichtet. Auf einer Holztafel liegen Plakate, Flyer, Ordner-Bändchen und Dutzende gelbe Schilder mit den Namen der Orte, die nach den Plänen von RWE in spätestens sieben Jahren im großen Loch verschwinden sollen: Keyenberg, Ober- und Unterwestrich, Berverath und Kuckum – Dörfer mit einst 1500 Einwohnern. Oberherr, eine quirlige Frau, 55 Jahre, weinrotes Hemd, will nicht weichen. „Viele Menschen hier wollen nicht weg. Und dafür gehen wir auf die Straße.“

Mit 14 anderen Betroffenen hat die 58-Jährige den Sternmarsch organisiert, der am Samstagnachmittag durch die von der Umsiedlung betroffenen Dörfer um den Tagebau Garzweiler II laufen soll. Seit dem vergangenen Oktober haben sie sich regelmäßig im Hause Oberherr getroffen, zuletzt einmal die Woche, haben mit Edding Routen gemalt und ein Programm gestaltet. Am Ende wird es Musik und eine Kundgebung in Keyenberg geben. Die Bühne soll zwischen Ortsgrenze und Grabungskante stehen.

Polizei erwartet 4000 Teilnehmer

Die Botschaft an den Energiekonzern: Bis hierhin und nicht weiter. Etwa 4000 Teilnehmer erwartet die Polizei. Insgeheim aber hoffen die Organisatoren der Initiative „Alle Dörfer sollen bleiben“ auf den „Hambi-Effekt“. Dass ihr Anliegen weit über die Grenzen des Rheinischen Reviers getragen wird. Auch sie wollen, dass ihre Dörfer zum Symbol werden. Für den Klimaschutz, aber auch dafür, dass man sich nicht aus seiner Heimat vertreiben lässt für einen fossilen Brennstoff, der von „vorgestern“ ist, wie Oberherr sagt.

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Die Kirche von Keyenberg

Der Glaube an einen Verbleib der Dörfer, deren Schicksal RWE schon vor Jahren besiegelte, hat durch den Kohlekompromiss noch einmal Kraft gewonnen. Obwohl es einen Grund zur Hoffnung eigentlich nicht gibt. Der Erhalt des Hambachers Forsts sei „wünschenswert“ steht im Papier der Kommission. Den Dörfern widmete das Gremium eine weitaus nüchternere Formulierung. Die Landesregierung wird gebeten, „mit den Betroffenen vor Ort in einen Dialog um die Umsiedlungen zu treten, um soziale und wirtschaftliche Härten zu vermeiden“.

Ein breiter Spalt in der Dorfgemeinschaft

Die psychische Belastung durch die seit Jahrzehnten drohende Umsiedlung, aber auch die Ungewissheit durch die aufkeimende Hoffnung hat einen breiten Spalt durch die Dorfgemeinschaften gerissen. Es herrscht Unfriede zwischen denen, die bleiben und denen, die an RWE verkaufen wollen oder bereits verkauft haben und das Kapitel endlich schließen möchten.

Am Donnerstag vor einer Woche hatte die Landesplanungsbehörde zur Diskussion in die Mehrzweckhalle eingeladen. Die Presse war ausgeschlossen, aber Teilnehmer beider Seiten berichten, dass „ordentlich die Fetzen flogen“. Seitdem sei klar: Es gibt keinen Konsens zum Erhalt und keine klare Verteilung von Gut und Böse.

„Keyenberg ist wie ein Leichnam“

Bernd Pieper, 56 Jahre, ist in Keyenberg geboren und aufgewachsen, hat mit eigenen Händen sein Haus gebaut, seine beiden Kinder hier großgezogen. Der Monteur für Rollladen ist Mitglied im Karnevalsverein, bei der freiwilligen Feuerwehr, in der Schützenbruderschaft St. Sebastianus, gegründet 1449. Das diesjährige Schützenfest wird nach 570 Jahren das letzte sein. Danach muss in Keyenberg-neu die Tradition erst wieder wachsen. Ein wenig fürchtet er sich davor. „Es wird tränenreich, das weiß ich jetzt schon“, sagt Pieper, der im Juni in den neuen Ort ziehen wird, den RWE für die Menschen am Reißbrett entworfen hat.

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Haus Keyenberg wurde als befestigter Herrenhof urkundlich erstmals 893 erwähnt.

Und doch will Pieper, dass die Geschichte Keyenbergs jetzt endet. Nichts mehr an diesem Ort sei lebenswert: Baulärm, Schmutz, leerstehende Häuser. Vor zehn Jahren noch hätte er sich dem Widerstand angeschlossen, jetzt sei es zu spät. „Keyenberg ist wie ein Leichnam. Die Hülle gibt es noch, aber die Seele ist längst weg.“

„Sie wollen uns zermürben, uns die Lebensqualität nehmen“

Die Umsiedlungsgegner sind davon überzeugt, dass RWE den Riss bewusst befördert. Nachdem sich die Kohlekommission 2018 konstituierte, hätte der Konzern seine Grabungsstrategie geändert, sagt Norbert Winzen, Eigentümer eines Vierkanthofs, in dem drei Generationen leben. Bis dahin hätten sich die Bagger auf das weitestgehend geräumte Immerath zubewegt. Dann aber hätten die Schaufeln ihre Richtung geändert, seitdem nagen sie sich gen Keyenberg.

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Pumpstationen würden neben Gärten errichtet, um dem Boden für die Kohleförderung das Grundwasser zu entziehen. Auch samstags würden sie nicht stoppen. Strahler machten die Nacht zum Tage. „Sie wollen uns zermürben, uns die Lebensqualität nehmen. Das gehört zur Strategie“, sagt Winzen, der sich im Widerstand engagiert.

RWE weist Vorwürfe von Anwohnern zurück

Einige sagen, wer nicht verkaufen wolle, würde von den RWE-Beratern unter Druck gesetzt. Patzig würden sie den Widerwilligen begegnen. Auch wirtschaftlich habe RWE die Daumenschrauben angezogen. Die Entschädigungen für die Häuser seien in manchen Fällen deutlich gesunken, berichten Betroffene, die Baukosten in den neuen Dörfern dagegen hätten angezogen.

Auf Anfrage weist RWE die Vorwürfe entschieden zurück. Die Entschädigungspraxis habe sich nicht geändert, die Grundfaktoren seien vertraglich festgelegt, sagt Konzernsprecher Guido Steffen. Tatsächlich habe sich die Nachfrage nach Verkaufsgesprächen erhöht, das Beraterteam sei deshalb aufgestockt worden.

60 Prozent der Anwesen verkauft

Am Donnerstag erst lieferte RWE eine neue Zwischenbilanz. Demnach hat der Konzern fast 60 Prozent der Anwesen in den Orten gekauft, weitere 15 Prozent würden derzeit verhandelt. Nicht RWE, sondern die Gegner würden die Unruhe bringen. Die Realität sei weiter fortgeschritten, als die Bürgerinitiative das wahrhaben wolle. „Wer jetzt die Hoffnung nährt, die Dörfer könnten erhalten bleiben, der macht das auf Kosten jener, die umsiedeln wollen“, sagt Steffen. „Auf diese Weise wird der soziale Friede aufs Spiel gesetzt. Das ist verantwortungslos.“

Barbara Oberherr hofft, dass die Forderungen der Klimaschützer bei den Friday-for-Future-Demonstrationen genug Dynamik entwickeln, um auch die Regierung von einer radikalen Wende in der Energiepolitik überzeugen, bevor das Loch die Dörfer verschluckt.

Der Glaube an die Restchance

Armin Laschet lässt sich alle Türen offen. Wie von der Kommission empfohlen, werde er den Dialog mit den Anwohnern intensivieren und versuchen, einen größeren Abstand zwischen Tagebau und Dörfern zu erwirken, sagte er im Februar im Landtag. Hoffnung auf den Erhalt der Orte will er indes nicht wecken. Es herrsche Einigkeit darüber, dass das Angebot der „gemeinsamen Umsiedlungen“ als wesentlicher Teil des Konzeptes der Sozialverträglichkeit „unverändert aufrechterhalten werden muss und wird“, schreibt die Staatskanzlei auf Anfrage.

Und doch glaubt Oberherr an eine Restchance. „Wir alle haben die Studien gelesen und sind überzeugt, dass RWE die Braunkohle, die unter uns liegt, nicht zwingend braucht.“ Bernd Pieper wird am Samstag ebenfalls demonstrieren – inoffiziell. Er hat Plakate gemalt, die er an seine Hauswand hängen will. Darauf steht: „Nein zum Umsiedlungsstopp. Ja zur Dorfgemeinschaft.“ Er will, dass sein Haus unwiederbringlich im Loch verschwindet. „Alles andere könnte ich nicht ertragen.“