Streit der WocheSollte man sich ein Haustier anschaffen?
- Die Corona-Krise lässt uns so viel zu Hause sein wie nie.
- Da liegt der Gedanke nahe, sich einen Hund oder zumindest einen Hamster anzuschaffen.
- Aber Tiere in Wohnungen – ist das wirklich eine gute Idee? Eine Katze, die am Fenster sitzt und die Bäume draußen sieht, wie sie sich im Wind wiegen?
- Andererseits werden durch das Streicheln von Tieren Stresshormone im Körper abgebaut. Ein Pro und Contra.
Contra: Mein erstes Haustier hieß Schnucki. Er war ein monströses Kaninchen. Weißes Fell, rote Augen. Er lebte in einem Hasenstall ganz am Ende unseres Gartens. Nur wenn das Thermometer auf zweistellige Minusgrade fiel, durfte er ins Haus – in eine strohgefüllte Wanne in der Waschküche. Damals fand ich Schnucki süß. Ich habe ihn mit Löwenzahn gefüttert, und er wurde im Anhänger meines Dreirads durch die Siedlung kutschiert. Im Nachhinein schwant mir: Das hat ihm alles gar nicht mal so gut gefallen. Ich fürchte sogar, es war irgendwie Tierquälerei.
Auch später, als meine Eltern dem Tierwunsch von uns Mädchen noch einmal zähneknirschend nachgaben und uns zwei Wellensittiche (!) kauften. Abgesehen davon, dass wir ein Pony, einen Hund oder wenigstens eine Katze wollten und die bunten Vögel ein äußerst schwacher Ersatz waren, frage ich mich bis heute, was in einem Menschen vorgehen muss, der glaubt, es sei eine gute Idee, Tiere, die fliegen können, in einer kleinen Hausvoliere zu halten, wo sie nichts weiter können, als auf ihrer Stange auf und ab zu hüpfen.
Heute zweifelt meine 15 Jahre alte Tochter an meiner Tierliebe, weil ich ihr und auch ihren Geschwistern bislang stur jedes noch so kleine Haustier verboten habe. Ich fühle mich verkannt. Denn ich handle meiner Meinung nach ganz im Sinne der Geschöpfe. Wenn ich Hamster in Käfigen in ihrem Laufrad rennen sehe, beschleicht mich stets eine surrealistische Beklemmung. Ich träume dann manchmal von riesigen Händen, die mich in einen Verschlag stopfen und die Tür abschließen. Und mein Gehirn ist zu klein, um das Ausmaß und die Bedeutung dieser beängstigenden Situation zu erkennen. Aber ich ahne Schlimmes. So beginnen Horrorfilme.
Katze als festgebundene Gefangene in einer Höhle
Und eine Katze? Gilt ja als Eigenbrötlerin, soll viel schlafen. Kann sich immerhin in der ganzen Wohnung bewegen. Die Kinder würden jubeln. Aber ich stelle mir vor, wie sie hier am Fenster sitzt und die Bäume draußen sieht, wie sie sich im Wind wiegen. Ich male mir aus, wie ihr Kopf zu rattern beginnt so wie bei Platon, kurz bevor ihm die Sache mit dem Höhlengleichnis eingefallen ist. Die Katze als festgebundene Gefangene in einer Höhle, die sie nie verlassen kann und die das Ungeheuerliche höchstens ahnen kann: dass ihr Kosmos nur ein müder Abklatsch ist des wirklichen Lebens, das man heimtückisch und als Tierliebe getarnt vor ihr verbirgt.
Natürlich. Wir wohnen in der Innenstadt, zweiter Stock, knapp 90 Quadratmeter, der einzige Freiluftplatz ist ein Balkon, auf den mit etwas gutem Willen drei Küchenstühle passen. Wer auf dem Land lebt, hat andere Möglichkeiten. Da fühlt sich dann womöglich auch eine Katze wohl, wenn sie selbstständig durch die Wiesen streifen und Mäuse im Kuhstall fangen kann. Oder sogar ein Hund, solange man täglich mit ihm im angrenzenden Wald spazieren geht.
Und ihn auf dem freien Feld auch mal von der Leine lassen kann. Denn mal ehrlich: Ist es nicht verstörend, einem Lebewesen, das man liebt und wertschätzt, einen Strick um den Hals zu legen, damit es bei einem bleibt? Wäre ich ein Tier, würde ich das jedenfalls ablehnen. Menschen begegnete ich lieber nur ab und zu im Wald. Grüßen würde ich nur von weitem.
Claudia Lehnen, 41, Ressortleiterin Wochenende, lebte als Studentin mit Maus Antigone zusammen. Zuweilen wachte sie in Panik auf, weil sie davon geträumt hatte, die Maus schon tagelang nicht mehr gefüttert zu haben. Die Angst war unbegründet. Antigone starb schließlich an Altersschwäche.
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Pro: Zwei Jahre lang haben unsere Kinder alles gegeben, um uns davon zu überzeugen, dass wir einen Hund brauchen. Zwei Jahre lang habe ich Nein gesagt. In der Stadt? Auf keinen Fall! Man muss wissen, dass wir schon viele tierische Mitbewohner hatten und noch haben: Zwei Kaninchen im Innenhof, eine dicke Katze, zwei Wellensittiche, die munter durchs Kinderzimmer fliegen.
Dann stand da vor ein paar Monaten plötzlich eine junge Hündin vor unserer Tür. Ihr Besitzer suchte ein neues Zuhause für sie, weil er dem Tier nicht mehr gerecht werden konnte. Und plötzlich: Kam mir mein Nein nicht mehr über die Lippen. Der Hund inspizierte die Wohnung, die Kinder weinten vor Freude. Vernunft? Warf ich über Bord. Der Hund durfte bleiben. Heute, ein halbes Jahr später, kann ich vor Glück sagen, der Hund hat unser aller Leben zu hundert Prozent positiv verändert. Tiere tun uns Menschen gut, und zwar in jeder Hinsicht.
Streicheln von Tieren baut Stresshormone im Körper ab
Längst hat die Wissenschaft viele Erklärungen dafür. Forscher haben herausgefunden, dass durch das Streicheln von Tieren Stresshormone im Körper abgebaut werden. Während besagter Cortisol-Spiegel sinkt, wird vermehrt das Kuschelhormon Oxytocin ausgeschüttet. Blutdruck und Herzfrequenz sinken, sogar das Immunsystem profitiert. Wer sich mit Tieren beschäftigt, schüttet mehr Endorphine aus, erlebt also mehr Glücksgefühle.
In der Praxis ist es noch einfacher. Egal, ob es regnet, stürmt oder schneit – wer einen Hund hat, muss raus. Das hält fit. Außerdem: Es gehört zu unseren Grundbedürfnissen, Fürsorge zu geben und Fürsorge zu empfangen. Das ist mit Tieren oft weniger kompliziert als mit Menschen. Sie bewerten nicht. Sie trösten. Wie man dabei aussieht, ist egal, was besonders für Heranwachsende heilsam sein kann. Hinzu kommt für viele Tierbesitzer das gute Gefühl, gebraucht zu werden. Außerdem vermehren Tiere auch menschliche Sozialkontakte. Wer im Seniorenwohnheim einen Wellensittich hält, bekommt eher Besuch von Mitbewohnern. Und eine Katze macht vielleicht auch die Nachbarn im sonst so anonymen Mehrfamilienhaus neugierig.
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Zu guter Letzt: Ich glaube, dass Kinder oder Menschen, die mit Haustieren leben, eine andere Wertschätzung gegenüber dem Leben und seiner Endlichkeit entwickeln. Wer schon mal ein geliebtes Tier beerdigt hat, lernt Abschied zu nehmen, zu trauern und dies zu verarbeiten. Wir werden sicher nie vergessen, wie wir gemeinsam unser erstes Kaninchen Poldi im Schrebergarten beerdigt haben, zwei Jahre später folgte sein Freund Schweini. Als die Wellensittiche Kiwi und Mango starben, schrieben die Kinder herzzerreißende Abschiedsbriefe. Kinder erfahren durch Haustiere, wie wertvoll, wunderschön und zugleich endlich unser Leben ist.
Und dennoch, die zwei Jahre Überzeugungsarbeit waren wichtig. Denn wer einen tierischen Mitbewohner aufnehmen möchte, muss sich klar sein, dass hier ein neues Familienmitglied einzieht, und das wird nicht direkt wieder abgeschafft. Gerade jetzt, während die Corona-Krise uns vielfach herausfordert – mit Home-Office und drei Kindern im Home-Schooling – haben die Tiere unseren Tagen Struktur gegeben und unser Leben mit Liebe, viel Lachen und schönen Spaziergängen an der frischen Luft gefüllt. Das ist ein Geschenk.
Katrin Reiche, 49, Redakteurin im Ressort Ratgeber/Freizeit, ist selbst mit Tieren aufgewachsen. Sie lebt in Köln, hat drei Töchter, einen Mann, zwei Wellensittiche, eine Katze und seit einem halben Jahr auch einen Hund.