Köln – Ein deutscher Fitness-Influencer flüchtet sich in den Untergrund, um von dort aus „das Volk“ über die Wahrheit aufzuklären. Ein Fotograf erhebt sich auf Youtube zum Corona-Experten und füttert seine Zuschauer mit Falschmeldungen. Es ist ein gefundenes Fressen, nicht nur für Verschwörungstheoretiker: In Deutschland machen die Wörter „Impfpflicht“ und „Zwangsimpfung“ die Runde und plötzlich klingeln überall Alarmglocken. Grundrechte sollen ausgehebelt werden, heißt es etwa. Dabei ist die vermeintliche Debatte vor allem geprägt durch Fehlinformationen.
Vermeintliche Impfpflicht: Darum geht es
Stein des Anstoßes ist eine Kombination aus zwei Dingen, zum einen ein bereits bestehender Absatz im Infektionsschutzgesetz. In Paragraph 20 Abs. 6 heißt es: „Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist.“
Zum anderen wird ein aktueller Entwurf zur Reform des Infektionsschutzgesetzes herangezogen. In Paragraph 28 Abs. 1, Satz 3 heißt es: „(...) Soweit von individualbezogenen Maßnahmen abgesehen werden soll oder Ausnahmen allgemein vorgesehen werden, hat die betroffene Person durch eine Impf- oder Immunitätsdokumentation nach §22 oder ein ärztliches Zeugnis nachzuweisen, dass sie die bestimmte übertragbare Krankheit nicht oder nicht mehr übertragen kann.“
Diese beiden Punkte werden nun zu einem Narrativ zusammengefügt: Die Bundesregierung hat angeblich lange einen Impfzwang geplant, das Gesetz heimlich beschlossen und will nun die Grundrechte aushebeln.
Infektionsschutzgesetz: Die Tatsachen
Tatsächlich ist im aktuellen Entwurf, der lediglich ein Vorschlag und noch längst nicht beschlossen ist, an keiner Stelle von einer Impfpflicht die Rede – braucht es auch nicht, denn die theoretische Möglichkeit dazu ist im Infektionsschutzgesetz bereits nach Paragraph 20 Abs. 6 verankert – nicht heimlich, sondern für jeden einsehbar. Dort heißt es aber auch explizit: „mit Zustimmung des Bundesrates“. Wer sich noch an die Diskussionen rund um das Masernschutzgesetz erinnert, ahnt: Bis irgendeine Form von Impfpflicht beschlossen werden kann, ist es ein sehr langer Weg. Und selbst dann ist nicht garantiert, dass sie rechtlich haltbar ist. Der Passus im Gesetz hat dabei nichts mit dem Coronavirus zu tun, er gilt bereits seit 2001.
Die nun vorgeschlagene Erweiterung des Gesetzes spricht nicht von einer Impfpflicht, sondern von einer Art Immunitätsnachweis, durch den Ausnahmen von Schutzmaßnahmen ermöglicht werden könnten. Eine solche Idee beinhaltet also nicht, dass Menschen, die sich nicht impfen lassen, plötzlich zum Beispiel nicht mehr Bus fahren dürfen. Sondern: Wenn aufgrund einer Epidemie, so wie im aktuellen Fall, flächendeckend Schutzmaßnahmen eingeführt werden, wie zum Beispiel die Maskenpflicht, könnte ein Immunitätsnachweis einen Sonderstatus gewähren, der eine Person davon ausnimmt.
Kritik von Christian Drosten
Bereits die Erwähnung eines solchen Nachweises, der über soziale Teilhabe entscheiden und zu einer Zweiklassengesellschaft führen könnte, hat viel Kritik auf sich gezogen – unter anderem von Virologe Christian Drosten. Die Idee wurde auch deshalb zunächst an den Ethikrat weitergegeben, der beurteilen soll, ob solch eine Maßnahme ethisch vertretbar wäre und welche sozialen Folgen so ein Schritt nach sich ziehen könnte. Bis das nicht geschehen ist, ist der Passus laut Gesundheitsminister Jens Spahn zunächst vom Tisch.
Dabei ist ohnehin noch längst nicht geklärt, wie ein Immunitätsnachweis überhaupt aussehen könnte. Einen Impfstoff gibt es noch nicht. Auch ob und für welchen Zeitraum nach einer überstandenen Infektion mit dem Coronavirus Immunität einsetzt, ist noch nicht erwiesen. All diese Fragen müssten geklärt sein, bevor ein Nachweis überhaupt möglich werden könnte.
Der vermeintliche Impfzwang
Auch, wenn sich vereinzelt Politiker und der Großteil der Bürger – laut aktueller Umfragen rund 45 Prozent – durchaus für eine Art Impfpflicht aussprechen: Einen „Zwang“ zur Impfung gibt es in Deutschland im engsten Sinne nicht. Jeder kann entscheiden, sich oder seine Kinder impfen zu lassen, niemand wird verhaftet, wenn er es nicht tut. Diese Entscheidung kann aber, wie im Fall der Masernschutzimpfung, zu Einschränkungen führen. Der Regelung solcher Einschränkungen gehen umfassende Abwägungen voraus – ethischer, medizinischer und vor allem rechtlicher Natur. Fest steht, dass diese Diskussion im Rahmen von Corona noch viel zu verfrüht ist.
Einreise-Impfpflicht
Während Deutschland selbst darüber entscheidet, ob zu irgendeinem Zeitpunkt eine Impfpflicht oder ein Immunitätsnachweis eingeführt werden soll, sagt das nichts über eventuelle Auflagen für Reisen außerhalb Deutschlands aus. Es ist durchaus möglich, dass andere Länder, wenn es denn einen Impfstoff gibt, Impfungen vor einer Einreise zur Pflicht machen. Während für zahlreiche Länder bereits jetzt Impfungen vor der Einreise empfohlen werden, sind sie nur in seltenen Fällen Pflicht. Eine Ausahme ist die Gelbfieber-Impfung, die in einigen Ländern bei der Einreise aus anderen gefährdeten Ländern nachgewiesen werden muss.
Fazit: Eine Impfpflicht ist nicht beschlossen und nicht konkret geplant
Eine Impfpflicht oder gar ein Impfzwang ist in Deutschland derzeit nicht konkret geplant, geschweige denn bereits beschlossen. Die Diskussion über eine Art Immunitätsnachweis aufgrund von Impfung oder natürlich gebildeter Antikörper ist zwar losgetreten, eine entsprechende Regelung steht aber vorerst nicht mehr auf der gesetzlichen Agenda. Ob sie politisch überhaupt duchsetzbar wäre ist fraglich. Ob es jemals eine Impfpflicht geben wird, sofern ein Impfstoff gefunden wird, ist reine Spekulation.