Im bayerischen Wunsiedel stirbt ein Mädchen in einem Kinderheim. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Tötungsdelikt aus, ermittelt wird aber noch in alle Richtungen. Was über den Fall Wunsiedel bislang bekannt ist.
Was passierte im Kinderheim?Mutmaßliches Tötungsdelikt in Wunsiedel stellt Polizei vor Rätsel
Ein zehnjähriges Mädchen wird in einem bayerischen Kinderheim tot aufgefunden. Es gibt Hinweise auf ein Fremdverschulden, ob es sich tatsächlich um ein Tötungsdelikt handelt, ist aber noch nicht sicher. Die Ermittlungen in Wunsiedel laufen. Das ist bislang über den Fall bekannt.
Der Fall Wunsiedel: Unfall oder Tötungsdelikt?
Am Dienstagmorgen (4. April) gegen 9 Uhr entdeckten die Angestellten das leblose Mädchen in einem Zimmer des Kinder- und Jugendhilfezentrums St. Josef im Wunsiedler Stadtgebiet und setzten den Notruf ab. Das wenig später eingetroffene Notarztteam konnte nur noch den Tod der Zehnjährigen feststellen. Das Mädchen war laut Polizei in der Einrichtung betreut worden und lebte dort.
Eine angeordnete Obduktion ergab erste Anzeichen für ein Fremdverschulden. „Wir müssen in alle Richtungen denken, ermitteln aber auch in die Richtung eines Tötungsdelikts“, sagte eine Sprecherin der Polizei Oberfranken am Donnerstagmorgen gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Die Staatsanwaltschaft ging von einem Tötungsdelikt aus. Das sagte Matthias Goers von der Staatsanwaltschaft Hof. Ein Sexualdelikt wird allerdings ausgeschlossen. „Die Kriminalbeamten können Mutmaßungen hinsichtlich eines möglichen Sexualdeliktes derzeit nicht bestätigen“, hieß es in einer am Donnerstagmittag verbreiteten gemeinsamen Pressemitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft. Goers sagte: „Wir gehen von keinem Sexualdelikt aus.“
Die Ermittlungen im Fall Wunsiedel
Um den Fall aufzuklären, hat die oberfränkische Polizei die Sonderkommission „Park“ gegründet. Die Soko setzt sich aus über 40 Einsatzkräften mehrerer Polizeidienststellen zusammen und führt nach wie vor eine umfangreiche Spurensicherung auf dem Gelände der Einrichtung durch, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit.
Außerdem werden erste Spuren auch in enger Zusammenarbeit mit der Rechtsmedizin und dem Bayerischen Landeskriminalamt ausgewertet. Unterstützung bei der weitläufigen Absperrung rund um den Tatort erhalten die Ermittler zudem von der Bayerischen Bereitschaftspolizei.
Im Rahmen der Ermittlungen führen die Kräfte der Sonderkommission umfassende Befragungen und Überprüfungen auch im sozialen Umfeld des Opfers durch, hieß es weiter. Außerdem werden alle Personen überprüft, die sich vor und zur Auffindezeit des Leichnams in dem Gebäude der Einrichtung aufgehalten haben. Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass sich jemand unberechtigt von außen Zutritt zur Einrichtung verschafft hat.
Fall Wunsiedel: Die mutmaßlichen Verdächtigen
Zu mutmaßlichen Verdächtigen äußerte sich die Polizeisprecherin gegenüber dem RND nicht. „Wir führen Ermittlungen im Umfeld durch“, sagte sie. Dazu zähle die Überprüfung aller Personen, die vor und nach dem Tatzeitraum vor Ort waren. „Wir haben aktuell aber keinen konkreten Tatverdacht gegen irgendjemanden“, betonte sie.
In der am Donnerstag verbreiteten Mitteilung stellten die Ermittler klar, dass sich derzeit entgegen kursierender Medienberichte kein konkreter Tatverdacht gegen eine oder mehrere Personen richtet. „Folglich befindet sich auch kein Beschuldigter in Gewahrsam“, hieß es. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete am Mittwoch unter Berufung auf Sicherheitskreise, dass drei Jungen, zwei Elfjährige und ein 16-Jähriger, in den Fokus der Ermittler gerückt waren.
Wie die Polizeisprecherin betonte auch Staatsanwalt Matthias Goers am Donnerstag, dass es derzeit weder Beschuldigte noch Tatverdächtige in dem Fall gebe. Es werde in alle Richtungen ermittelt, sagte er weiter. Die drei mutmaßlichen Verdächtigen würden derzeit als Kontaktpersonen geführt. Goers machte keine weiteren Angaben, was darunter zu verstehen ist.
Das Kinderheim und die Stadt Wunsiedel
In dem Kinder- und Jugendhilfezentrum in Wunsiedel werden nach Angaben des Trägers etwa 90 Kinder und junge Erwachsene im Alter von drei bis 19 Jahren betreut. Das Personal des Hauses besteht aus ebenfalls etwa 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Facheinrichtung sei für junge Menschen und ihre Familien da, die Hilfe zur Erziehung benötigten, hieß es auf der Website des Hauses. Laut Wunsiedels Zweitem Bürgermeister Manfred Söllner handelt es sich um eine kirchliche Einrichtung, die es mindestens schon ein halbes Jahrhundert in der oberfränkischen Stadt gebe.
Die während der Oster-Schulferien anwesenden jungen Bewohner der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung sowie das Personal würden laut Polizei und Staatsanwaltschaft von speziell geschulten Polizeikräften ebenso wie von Notfallseelsorgern und Psychologen betreut.
Die Stadt Wunsiedel im Fichtelgebirge hat rund 9200 Einwohner. Sie liegt etwa 90 Kilometer nordöstlich von Nürnberg und nur wenige Kilometer von der Grenze zu Tschechien entfernt.
Das sagt die Politik zum Fall Wunsiedel
Viele Politiker zeigten sich betroffen von dem Fall Wunsiedel: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) teilte mit: „Diese schreckliche Tat hat mich zutiefst bestürzt und lässt mich fassungslos zurück.“ Seine Gedanken seien auch bei den Hinterbliebenen, für die eine Welt zusammengebrochen sei. Wichtig sei, dass nun möglichst schnell geklärt werde, wer an der Tat beteiligt gewesen sei und welche Hintergründe es dafür gegeben habe.
Auch Bayerns Familien- und Sozialministerin Ulrike Scharf zeigte sich zutiefst betroffen über den Tod des Mädchens. „Niemand kann diese unfassbare Tragödie in Worte fassen und begreifen. Ich bin erschüttert. Mein tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen – ich bin in Gedanken bei Ihnen“, sagte die CSU-Politikerin am Mittwochabend. „Für mich steht jetzt außer Frage, dass die Kinder und Jugendlichen und insbesondere auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Einrichtung St. Josef in Wunsiedel bestmöglich betreut, begleitet und unterstützt werden“, erklärte sie weiter.
Wunsiedels Zweiter Bürgermeister Manfred Söllner war geschockt. „Wir können das gar nicht fassen“, sagte er. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt habe das zu einem Schockerlebnis geführt, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch. „Wir hören eigentlich immer nur positive Sachen über die Einrichtung.“ Obwohl die Geschehnisse noch unklar seien, werde in der Stadt bislang aber nicht groß spekuliert.
Fälle von Kinderkriminalität in Deutschland
Erst vor rund vier Wochen kam in einem Waldstück an der Grenze von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bei Freudenberg die zwölfjährige Luise gewaltsam ums Leben. Sie wurde von einem zwölf und einem 13 Jahre alten Mädchen mit zahlreichen Messerstichen getötet. Ob sie die Tat länger geplant hatten, konnte die Polizei Ende März gegenüber dem RND weder bestätigen noch dementieren. Die Ermittlungen würden andauern.
Im Januar diesen Jahres wurde der 14-jährige Jan von einem Nachbarsjungen in Wunstorf bei Hannover mit einem Stein getötet. Beamte entdeckten die Leiche des Jugendlichen auf einem Brachgelände an einem Feldrand. Der ebenfalls 14-jährige Freund des Getöteten gab die Tat gegenüber der Polizei zu.
Gemeinsam mit einem 13 Jahre alten Mitschüler hat ein 14-Jähriger am 19. Juni 2022 die 15-jährige Anastasia auf einem verwilderten Grundstück in Salzgitter erstickt und ihre Leiche in einem Gebüsch versteckt. Der ältere der beiden wurde wegen Mordes zu einer Jugendfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt - der 13-jährige Mittäter war strafunmündig.
2021 wird Sinan (13) in Sinsheim durch den Bekannten einer Freundin getötet, 2019 ein dreijähriger Junge in Detmold durch seine Halbschwester, 2018 Keira (14) in Berlin durch einen Mitschüler, Aaliyha (15) in Dortmund durch eine Bekannte und in Lünen ein 14-Jähriger durch einen Mitschüler, 2017 Mia (15) in Kandel durch ihren Ex-Freund, 2016 Fabian (13) in Bad Schmiedeberg durch einen gleichaltrigen Mitschüler. (RND mit dpa/afp)