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„Halte mal den Mund!“Klamroth entgleitet giftiger Parteien-Vierkampf

Lesezeit 5 Minuten
Unter dem Motto „Der Vierkampf: Wer schafft es in den Bundestag?“ diskutierte Louis Klamroth (Mitte) bei „Hart aber fair“. Seine Gäste schenkten sich nichts. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Unter dem Motto „Der Vierkampf: Wer schafft es in den Bundestag?“ diskutierte Louis Klamroth (Mitte) bei „Hart aber fair“. Seine Gäste schenkten sich nichts. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Geschenkt haben sich die Politiker von CSU, FDP, Die Linke und BSW bei diesem Vierkampf im „Hart aber fair“-Studio nichts.

Schnellfragerunden liegen bei aktuellen Wahlkampfsendungen ganz offensichtlich im Trend. Dabei haben Politikerinnen und Politiker mit einfachen „Ja“- oder „Nein“-Antworten oft ihre Müh und Not. Das zeigte sich auch wieder bei „Hart aber fair“ am Montagabend im Ersten. Da waren neben Dorothee Bär (CSU) mit Christian Lindner (FDP), Jan van Aken (Die Linke) und Sahra Wagenknecht (BSW) Spitzenkandidaten von drei Parteien eingeladen, die in zwei Wochen um ihren Einzug in den Bundestag kämpften und in der Talkshow ihre Position zu einzelnen Fragen kundtun konnten.

Ob Wladimir Putin ein Kriegsverbrecher wäre, war eine dieser Fragen: Während drei Politiker Klamroth den Gefallen taten, endlich einmal mit einem klaren „Ja“ zu antworten, hatte die BSW-Gründerin damit sichtlich ihre Schwierigkeiten. Als ihr Dorothee Bär ihr daraufhin schnippisch vorschlug, doch ihren „Freund“ (und jeder wusste, wer gemeint war) an den Verhandlungstisch zu holen, reagierte Sahra Wagenknecht empört: „Wenn Sie auf die Tour kommen - mein Freund - das finde ich niveaulos“, konterte sie.

Jan van Aken attackierte nicht nur seine ehemalige Linken-Parteikollegin Sahra Wagenkecht scharf. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Jan van Aken attackierte nicht nur seine ehemalige Linken-Parteikollegin Sahra Wagenkecht scharf. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Doch der Umgang sollte noch wüster werden: „Halte mal den Mund“, fuhr van Aken seine frühere Parteikollegin ein paar Minuten später so scharf an, dass Louis Klamroth einschritt: „Höflich bleiben!“, hielt er die Diskussionsteilnehmenden an, auf den Tonfall zu achten.

Die Abmahnung kam rund 70 Minuten zu spät ...

Jan van Aken beklagt „Herzlosigkeit, die sich breit gemacht hat“ bei „Hart aber fair“

Ist Putin ein Kriegsverbrecher? Sahra Wagenknecht tat sich mit der Antwort auf Louis Klamroths Frage schwer. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Ist Putin ein Kriegsverbrecher? Sahra Wagenknecht tat sich mit der Antwort auf Louis Klamroths Frage schwer. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Schon bei den Themen Armutsgefährdung und Bürgergeld gingen die Wogen hoch, dabei hatte Klamroth extra eine Betroffene eingeladen, um endlich „nicht nur über Bürgergeld-Empfänger zu reden, sondern mit einer“. 563 Euro bekommt Melanie aus Leipzig, die wegen einer Erkrankung nicht arbeiten kann. Zu wenig, um sich für sich und ihren Teenager-Sohn Lebensmittel zu leisten: „Da gab es schon einmal die Situation, dass ich an der Kasse stand und das Geld hat nicht gereicht“, schilderte sie ihre prekären Umstände. Sie zeigte sich enttäuscht von Politikern, die meinten, sie wäre faul oder möchte nicht arbeiten gehen, ohne Hintergründe zu kennen.

Die Berechnung würde auf Basis eines Warenkorbs erfolgen, argumentierte Christian Lindner, „da mische ich mich politisch nicht ein“. Er verwies auf die zwei Komponenten der solidarischen Gerechtigkeit: Zwar müsste man Menschen, die nicht arbeiten könnten, solidarisch unterstützen. Gleichzeitig „müssten wir als Gesellschaft erwarten, dass alles unternommen wird, um in Arbeit zu kommen und sich um Bildung zu bemühen“.

Letzterem stimmte Wagenknecht zu, verwies aber darauf, dass auch viele Erwerbstätige unter den Bürgergeld-Beziehern wären. „Das darf nicht sein“, plädierte sie für höhere Mindestlöhne und eine faire Grundsicherung, die „für alleinerziehende Mütter höher sein müsste“.

Christian Lindner erntet ungläubiges Lachen aus dem Publikum bei „Hart aber fair“

Wie hoch, dafür lieferte Die Linke in ihrem Wahlprogramm eine genaue Zahl: „Wo beginnt Armut? Bei 1.400 Euro“, argumentierte van Aken, „niemand muss in Armut leben“. Dass sowohl Wagenknecht wie auch Lindner von einem Missbrauch des Bürgergelds gesprochen hätten, sei erschreckend. „Wir wissen, dass gerade einmal 1 Prozent der Bürgergeld-Empfänger Missbrauch betreiben“, meinte er und forderte eine Aufstockung der Förderung: „99 Prozent brauchen das!“ Der Linken-Politiker sprach von einer „Herzlosigkeit, die sich breit gemacht hat“.

Christinan Lindner (links) zog bei Louis Klamroth Zahlen der Arbeitsagentur in Zweifel. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Christinan Lindner (links) zog bei Louis Klamroth Zahlen der Arbeitsagentur in Zweifel. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Solche Aussagen „spalten die Gesellschaft“, konnte sich Dorothee Bär nur wundern und sprach sich für soziale Gerechtigkeit aus: „Schicksale wie Ihres, dafür ist die Solidargemeinschaft da“, richtete sie das Wort an Melanie, „aber wenn wir 5,5 Millionen Bürgergeldempfänger haben und 1,7 Millionen sind arbeitswillig“, brächte das Einnahmen von 2 bis 3 Milliarden Euro. „Das hilft auch den anderen, die nicht arbeiten können. Das ist Gerechtigkeit“, meinte sie unter Applaus. Den Totalverweigerern würde die Union 100 Prozent der Leistung kürzen.

„Sie vermischen zwei Sachen“, wollte van Aken das nicht so stehen lassen, „Bürgergeldempfänger und diejenigen, die keinen Job bekommen. Es leben nicht 1,7 Millionen Menschen in der Hängematte“, wollte er nichts von faulen Menschen wissen. Dass sie das unterstellte, wäre „gelogen“, wurde Bär emotional.

Louis Klamroth befragte Bürgergeld-Empfängerin Melanie aus Leipzig zu ihrer Lebenssituation. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Louis Klamroth befragte Bürgergeld-Empfängerin Melanie aus Leipzig zu ihrer Lebenssituation. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Da musste Klamroth (wieder einmal) einschreiten - „für den Dienst am Zuschauer“: Von Februar bis Dezember 2023 hätte es 15.774 Totalverweigerer gegeben, klärte er auf. „Das ist das, was die Arbeitsagentur sagt“, warf Lindner ein und erntete ungläubiges Lachen aus dem Publikum. Der FPD-Chef beharrte: „Es gibt viele Kunden der Bundesagentur für Arbeit, wo seit über einem Jahr kein Kontakt aufgenommen wurde.“

„Wann waren Sie in Ihrem Jobcenter?“, konnte van Aken das nicht unkommentiert lassen, hatte aber offenbar nicht mit Lindner gerechnet: „Sie können gerne weiterprovozieren, weil Sie romantische Bilder zeichnen“, ging der FDP-Politiker auf Angriff über. Es gäbe viele Menschen, die Bürgergeld empfangen, weil sie die Sprache nicht beherrschten oder keine Qualifikation hätten. Hier wäre es die Aufgabe, diesen ein „verbindliches Angebot zu machen“, damit sie auf dem Arbeitsmarkt eine Chance bekämen. Er würde niemandem Hilfe versagen und sprach sich unter anderem für Meldeverpflichtungen aus.

„Zu viele Menschen haben unter Lindner gelitten“

Van Aken sah das anders: „Sie machen hier eine Politik der Herzlosigkeit“, klagte er an und machte er einen konkreten Vorschlag: „Hören Sie auf, das Land zwischen Mindestlohn- und Bürgergeldempfänger zu spalten!“

Mehr musste er nicht sagen: „Der krasseste Einspieler kam von Ihnen“, schossen sich Lindner und Bär auf den Linken-Politiker ein: „Ich kann die Gesichter und den asozialen Kram nicht mehr hören“, hatte der kürzlich gegen die FDP gepoltert und sich auch in der Sendung nicht dafür entschuldigt, im Gegenteil: „Asozial sagt man nicht“, gab er zu grinsend zu, dass der Ton etwas scharf wäre, zurücknehmen wollte er die Aussage aber nicht: „Zu viele Menschen haben unter Lindner gelitten.“

Dass ausgerechnet er jetzt gegen Hetze wetterte, stieß Bär unangenehm auf: „Wir sollten Lösungen präsentieren und uns nicht gegenseitig die Kehle durchschneiden“, forderte sie ein verbales Abrüsten.

Dem Publikum schien das zu gefallen. (tsch)