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„Zeitpunkt für ein Verbot da“Ex-AfD-Funktionär warnt vor „durchradikalisierter“ Partei

Lesezeit 5 Minuten
Alexander Leschik erklärt bei „Hart aber Fair“, warum er aus der AfD ausgetreten ist. (Bild: WDR)

Alexander Leschik erklärt bei „Hart aber Fair“, warum er aus der AfD ausgetreten ist. (Bild: WDR)

Bei „Hart aber fair“ brachte „der Fall AfD“ am Montagabend so manchen prominenten Gast plötzlich ins Straucheln.

Als 15-jähriger ist Alexander Leschik in die AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ eingetreten; ein Jahr später in die Partei selbst. Er wird zum Vize-Kreissprecher in Münster und in den Bundesvorstand der Jungen Alternativen gewählt. Die „Möglichkeit, schnell Verantwortung zu übernehmen und den Kurs der Partei mitzugestalten“, hätten ihn damals begeistert. Das berichtete der heute 24-Jährige, der mittlerweile nach eigenen Angaben wegen deren zunehmender Radikalisierung aus der Partei ausgestiegen ist, bei „Hart aber fair“ am Montag, 7. Oktober.

Lange hätte er geglaubt, dass sich die „radikalen Extremisten aussortieren“, argumentierte der Ex-Funktionär. Er hätte gehofft, dass die AfD vom „lauten Rand zu staatstragender Kraft“ käme - so wie es den Grünen gelungen wäre. „Irgendwann musste man sich eingestehen, dass man politisch gescheitert war“, gab er zu. „Den moderaten Flügel gibt es nicht mehr“, sprach er von einer „Durchradikalisierung“ der Partei. Damit trage die AfD zu einem gesellschaftlichen Klima bei, das Menschen in Angst versetze.

Michael Kellner bei „Hart aber fair“: „Es ist eine Einladung zur Debatte“

Ein AfD-Verbot hielt er dennoch für falsch, wies Leschik auf ein Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck hin, der zu Vorsicht und Bedachtsamkeit riet. Würde man zu früh einen Antrag im Bundestag einreichen, „gehen wir das Risiko ein, dass wir den Rechtsstaat auf Blindflug“ schicken, empfahl er, weiter Belege für demokratiefeindliche Tendenzen zu sammeln: „Und wenn sich die Beweislage erhärtet, dann ist der Zeitpunkt für ein Verbot da.“

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Louis Klamroth (links) diskutiert bei „Hart aber Fair“ unter anderem mit (von links nach rechts) Albrecht von Lucke, Serap Güler und Alexander Leschik über ein Verbot der AfD. (Bild: WDR)

Louis Klamroth (links) diskutiert bei „Hart aber Fair“ unter anderem mit (von links nach rechts) Albrecht von Lucke, Serap Güler und Alexander Leschik über ein Verbot der AfD. (Bild: WDR)

Der Zeitpunkt für ein Verbot ist jetzt! Der Meinung sind zumindest Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz) und mehr als 37 Abgeordnete von Union, SPD, Grünen und Linken. Sie sind Antragsteller eines AfD-Verbots, das am Dienstag, 8. Oktober, an die Bundestagsfraktionen übergeben und eingebracht wird. „Es ist eine Einladung zur Debatte“, betonte Kellner bei „Hart aber Fair“: „Es ist eine politische Frage, die nicht nur in Talkshows gehört, sondern in der Herzkammer der Demokratie, im Parlament, diskutiert werden muss.“

Wie diese Diskussion ausgehen würde, wusste Albrecht von Lucke (Politologe und Publizist) schon jetzt: Da es keine Mehrheit für einen Beschluss des Verbotsantrags gäbe, würde der AfD in die Hände gespielt werden. „Es ist ein Persilschein für die Partei“, gab er zu bedenken.

Ähnliche Sorgen äußerte auch Serap Güler (CDU, Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Bundesvorstand): Im besten Fall würde die Partei verboten werden, dass das aber bis zur Bundestagswahl geschehe, wäre sehr unrealistisch. „Dann ist die Gefahr, dass sie (Anm.: die AfD) mit voller Wucht zurückkommen“, begründete sie ihre Entscheidung, nicht für den Verbotsantrag zu stimmen. Realistischer wäre der „worst case“, dass das Verbot nicht bis zur Bundestagswahl über die Bühne ginge und sich die Partei als Opfer stilisiere.

Ronen Steinke und Ruth Moschner bei „Hart aber fair“. (Bild: WDR)

Ronen Steinke und Ruth Moschner bei „Hart aber fair“. (Bild: WDR)

„Das wird sie so oder so tun“, unkte Ruth Moschner (Moderatorin und Autorin), die sich für ein AfD-Verbot engagiert. „Beides birgt Risiken“, meinte sie, „doch was ist die Alternative? Wir können uns nicht zurücklehnen“.

Ronen Steinke bei „Hart aber fair“: „Nicht kirre machen lassen, sondern das machen, was richtig ist.“

Man sollte sich „nicht kirre machen lassen, sondern das machen, was richtig ist“, appellierte auch Ronen Steinke (Journalist der „Süddeutschen Zeitung“ und Jurist). Eine Partei, die Macht an sich reiße und nicht wiedergeben möchte, die Chaos stifte, sabotiere, wäre laut Grundgesetz verfassungswidrig, bezog er sich auf den Eklat im Thüringer Landtag, in dem die AfD Anträge anderer Parteien blockiert hatte. „Eine Prüfung ist allerhöchste Zeit“, urgierte er. Hier zu sagen, man müsste die Partei mit Argumenten stellen, wäre wie bei einer Gewalttat zu sprechen, statt die Polizei zu rufen.

„Ich lasse mir nicht unterstellen, dass ich lässig umgehe“, echauffierte sich Güler. „Der Persilschein wird dazu beitragen, dass die, die jetzt sagen, vielleicht sind sie rechtsextrem, sagen können: Vor Gericht wurde bestätigt, dass sie es nicht sind.“

Michael Kellner spricht sich für ein Verbot der AfD aus. (Bild: WDR)

Michael Kellner spricht sich für ein Verbot der AfD aus. (Bild: WDR)

Mit dieser These konnte Steinke wenig anfangen. Bevor jedoch das Wortgefecht zwischen den beiden eskalierte, schritt Klamroth ein und lenkte den Fokus auf ein anderes Thema. 2003 und 2017 wären die Versuche gescheitert, die NPD verbieten zu lassen - unter anderem wegen fehlender Relevanz.

Das wäre bei der AfD nicht der Fall: „Als Sperrminoritätspartei in Thüringen und Brandenburg kann sie erhebliche Entscheidungen wie die Wahl der Verfassungsrichter beeinflussen“, wies von Lucke hin. Hier könnte das Gegenteil zum Problem werden: „Too big to forbid“, beschrieb er das Paradoxon, den 33 bis 35 Prozent der Wähler und Wählerinnen die Partei zu nehmen und dadurch Frustration auszulösen.

Von Lucke: Die Union muss „mit guter Politik die Partei kleiner machen“

Das war ein gutes Stichwort: „Was passiert in vier bis fünf Jahren mit den Wählern, Wählerinnen und Abgeordneten, wenn das Bundesverfassungsgericht die AfD tatsächlich verbietet?“, wollte Louis Klamroth zum Abschluss einen Blick in die Glaskugel werfen. „Sie verlieren sofort das Mandat. Die Stühle bleiben leer“, wäre das Schicksal der Letzteren laut Steinke besiegelt. Zwar könnten sie sich in einer anderen Form politisch engagieren oder auch eine neue Partei gründen - hoffentlich „das nächste Mal aber im Rahmen der demokratischen Möglichkeiten“, fügte er hinzu.

Weniger klar war sich die Talkshow-Runde darüber, wohin sich die Wähler und Wählerinnen der AfD wenden. Dass sie sich den Grünen anschließen würden, glaubte selbst Michael Kellner nicht. „Es geht (Anm.: beim Verbotsantrag) nicht um den parteilichen Wettbewerb“, betonte der und erhielt Rückendeckung von Güler.

Sie und ihre Partei wären in Kürze der „letzte Schuss“, wusste Politologe von Lucke wieder einmal mehr als andere: Zurzeit der Ampelkoalition wäre die AfD von zehn auf 20 Prozent gewachsen. „Das muss die Union besser und mit guter Politik die Partei kleiner machen“, setzte er seine Hoffnungen auf eine kommende Regierung.

Abholen würde das die AfD-Wähler und -Wählerinnen aber nicht, warnte Leschik: „Sie würden sich Abwenden von der Politik.“ Ein Verbot ihrer Partei würde vielmehr die Radikalisierung und „zunehmende Amerikanisierung der Debattenkultur“ befeuern.

Ob sie als „nur Wählerin“ nach der 75-minütigen Diskussion eher optimistischer oder pessimistischer auf den Verbotsantrag blickte, wollte er abschließend noch von Ruth Moschner wissen: „Was die Politik angeht bin ich semi-pessimistisch“, kritisierte sie das Vorbeireden an den Leuten, das die Menschen nicht abhole. Statt sich auf ein Thema wie Migration oder Asylpolitik zu konzentrieren, sollte man „ein anderes Portfolio anbieten für die Wählenden.“ Von persönlicher Bildung bis besseren Voraussetzungen in der Pflege oder Rente - an Themen mangelt es nicht. (tsch)