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Jacht-Unglück vor SizilienTaucher bergen letzte Leiche – Staatsanwaltschaft will Ermittlungen einleiten

Lesezeit 5 Minuten
Taucher der italienischen Feuerwehr bringen die Leiche eines der Opfer des Unglücks der „Bayesian“, in einem grünen Sack an Land.

Taucher der italienischen Feuerwehr bringen die Leiche eines der Opfer des unter britischer Flagge fahrenden Schiffes „Bayesian“ in einem grünen Sack an Land.

Nach dem Jacht-Unglück sind inzwischen alle Toten geborgen worden, zuletzt die Tochter des britischen Milliardärs Mike Lynch.

Vier Tage nach dem Untergang der Luxusjacht sind alle Toten geborgen. In der Kritik steht jetzt zunehmend der Kapitän der Jacht. Jetzt ist die Staatsanwaltschaft gefragt.

Als Letztes wurde nach vier Tagen Suche am Freitag, 23. August, der Leichnam der 18 Jahre alten Tochter des britischen Milliardärs Mike Lynch von Spezialtauchern an die Oberfläche gebracht. Die junge Frau lag in etwa 50 Metern Tiefe in einem Bereich der Segeljacht „Bayesian“, der nur schwer zugänglich war.

Jacht gesunken: Zuvor konnten nur fünf Tote geborgen werden

Zuvor wurden am Mittwoch fünf Tote in etwa 50 Metern Tiefe von Spezialtauchern im Inneren des Segelboots ausfindig gemacht. Vier davon wurden geborgen und nach oben gebracht. Es handelte sich dabei um zwei Ehepaare, die auf Einladung des Milliardärs Mike Lynch an Bord waren. Damit waren fünf der noch sechs Vermissten ausfindig gemacht worden.

Anfangs hatte nur der Leichnam des Schiffskochs geborgen werden können. Befürchtet wird, dass insgesamt sieben Menschen ums Leben gekommen sind.

Unglück vor Sizilien: Milliardär Mike Lynch und Tochter unter den Toten

Die Behörden gaben am Mittwochabend die Identität von vier Todesopfern bekannt, die geborgen werden konnten. Die Leichen von Mike Lynch und seiner Tochter befanden sich demnach, wie sich jetzt bestätigte, noch in ihren Kabinen im Unterdeck, die nur schwer zu erreichen waren. Die Suche musste bei Anbruch der Dunkelheit unterbrochen werden.

Unter anderem der italienische Fernsehsender Rai hatte am Mittwochnachmittag berichtet, dass der britische Milliardär Myke Lynch (59) und seine Tochter unter den geborgenen Leichen gewesen seien, dies stellte sich jedoch als falsch heraus. Lynch wollte mit der Segeltour im Mittelmeer wohl einen Freispruch vor Gericht feiern.

Die Feuerwehr hatte am Dienstagabend mitgeteilt, dass die Taucher ins Innere der Jacht vorgedrungen seien, dass es sich aber um eine „lange und komplexe Operation“ handele. Vincenzo Zagarola von der Küstenwache sagte im italienischen Rundfunk, es sei „schwer vorstellbar“, dass die Suche glücklich enden werde.

Jacht vor Sizilien gesunken: 22 Menschen waren an Bord

Der genaue Hergang des Unglücks, das sich am Montag in nur einer halben Seemeile – etwa 900 Meter – Entfernung vom Ufer ereignet hatte, ist immer noch nicht geklärt. Der verletzte Kapitän der „Bayesian“ wurde von der Polizei stundenlang verhört. Die Zeitung „La Repubblica“ zitierte ihn mit den Worten: „Wir haben es nicht kommen sehen.“

Insgesamt waren auf Einladung des britischen Milliardärs Mike Lynch 22 Menschen an Bord. Der 59-Jährige kam vermutlich ebenso wie seine 18 Jahre alte Tochter ums Leben. Die Ehefrau überlebte.

Taucher suchen nach Todesopfern

Das gesunkene Schiff ist nach Angaben der Feuerwehr auf dem Meeresgrund zur Seite gekippt, was die Suche nach den Todesopfern erheblich erschwerte. Am Dienstag konnten Spezialtaucher der Feuerwehr zunächst einige Räume unterhalb der Kommandobrücke untersuchen, bevor sie dann im Unterdeck zu den Kabinen der Passagiere gelangten. Die Hoffnung, noch jemanden lebend zu finden, liegt inzwischen praktisch bei null.

Experten wiesen jedoch darauf hin, dass Luxusjachten wie die „Bayesian“ mit wasserdichten Luftkammern gebaut würden. „Es gibt Berichte von Überlebenden, die in solchen Luftkammern gefunden wurden“, erklärte der britische Ingenieur Jean-Baptiste Souppez in einem vom Science Media Centre veröffentlichten Beitrag.

Die 56 Meter lange „Bayesian“ war am frühen Montagmorgen bei einem schweren Unwetter vor dem Hafen von Porticello unweit der Inselhauptstadt Palermo gesunken – angeblich innerhalb von 60 Sekunden. Experten rätseln immer noch, wie das geschehen konnte. Spekuliert wurde über eine offen gelassene Luke während einer Monsterwelle oder ein falsch eingestelltes Schwert am Rumpf, mit dem der Tiefgang des Schiffes reguliert werden kann.

Luxusjacht „Bayesian“ wurde erst 2020 gründlich renoviert

Die 15 Jahre alte Luxusjacht wurde erst 2020 gründlich renoviert. Das Schiff war mit einem System ausgestattet, das den Tiefgang mehr als halbieren konnte: Unter normalen Segelbedingungen hatte es eine Kieltiefe von annähernd zehn Metern, wenn das bewegliche Schwert vollständig ausgefahren war. Damit konnten die Gegenkräfte des 75 Meter hohen Mastes ausgeglichen werden. Der Tiefgang konnte jedoch auf etwa vier Meter reduziert werden – beispielsweise, um in einen Hafen zu kommen.

Im Netz kursieren zahlreiche Spekulationen darüber, wie die Jacht so einfach sinken konnte. So meldete sich auch der deutsche Meteorologe Jörg Kachelmann zu Wort und erklärte, dass die Crew und Passagiere kaum von dem Unwetter überrascht worden sein könnten, waren die Wetterwarnungen doch schon lange bekannt.

Kapitän und Erster Offizier in der Kritik – Staatsanwaltschaft will ermitteln

Inzwischen mehren sich wegen des Unglücks die Vorwürfe gegen den Kapitän des riesigen Segelboots. Der 51 Jahre alte Neuseeländer behauptete, vom Ausmaß des Unwetters am Montag in der Früh überrascht worden zu sein. Allerdings gibt es Zweifel an dieser Darstellung: Mehrere Experten vertreten die Meinung, dass Fehler gemacht wurden und das Schiff auf den heraufziehenden Sturm nicht richtig vorbereitet wurde. In der Kritik steht neben dem Kapitän auch der Erste Offizier, ein Franzose.

Nach italienischen Medienberichten steht die Staatsanwaltschaft kurz davor, ein formelles Ermittlungsverfahren einzuleiten. Die Behörde will sich an diesem Samstag auf einer Pressekonferenz äußern. Vonseiten der italienischen Perini-Werft, die das Schiff 2008 gebaut hatte, hieß es, es habe eine „sehr lange Reihe von Fehlern“ gegeben. „Die Leute hätten nicht in den Kabinen sein dürfen, das Schiff hätte dort nicht vor Anker liegen dürfen. Das Unwetter war auf allen Wetterkarten deutlich zu erkennen.“

Mike Lynch wird von Boulevardmedien in seiner Heimat gern als „britischer Bill Gates“ bezeichnet. Der Tech-Unternehmer hatte die Softwarefirma Autonomy 2011 für elf Milliarden US-Dollar (aktuell 9,94 Mrd Euro) an den US-Konzern Hewlett-Packard verkauft - eines der schlimmsten Übernahme-Debakel im Silicon Valley.

Lynch und dem früheren Finanzmanager Steve Chamberlain, der kürzlich beim Joggen tödlich von einem Auto erfasst wurde, wurde zur Last gelegt, Hewlett-Packard über den finanziellen Zustand des Unternehmens getäuscht zu haben. Ein Geschworenen-Gericht in San Francisco sprach die beiden jedoch frei. (dpa/afp/at)