Der Malteser Hilfsdienst ist in den Katastrophengebieten der Region seit drei Wochen im Einsatz. Fluthilfekoordinator Ingo Radtke erklärt, wie die Spenden zu den Menschen kommen
Herr Radtke, wo sind Sie gerade?Ingo Radtke: Ausnahmsweise nicht unterwegs, sondern im Homeoffice in Friesheim. Wir haben hier extremes Glück gehabt, aber ich habe in den vergangenen drei Wochen alles gesehen, Zerstörung und Verzweiflung zum Beispiel an der Blessemer Kiesgrube. Jetzt geht das Adrenalin zurück bei den Menschen und sie sehen klarer, was das Unglück für ihre Zukunft bedeutet.
Was tun Ihre Helfer konkret vor Ort?
Erst lag der Schwerpunkt auf der akuten Not- und Katastrophenhilfe, also bei der Unterstützung von Feuerwehr und Polizei. Zudem haben wir bei der medizinischen Versorgung verunglückter oder kranker Menschen geholfen und bei der Versorgung der Einsatzkräfte und Betroffenen.
Drei Wochen sind seit der Katastrophennacht vergangen, wo liegen die Schwerpunkte jetzt?
Anfangs hatten wir 1000 Helfer, zurzeit sind noch 160 Helfer im Einsatz. Wir kümmern uns zum Beispiel um die Trockenlegung von Häusern, verteilen so unwichtig scheinende Dinge wie Sicherheitskleidung. Das mag sich komisch anhören, aber wer schon mal in mit Öl durchtränktem Schlamm und Bauschutt tagelang gearbeitet hat, weiß, wie schnell herkömmliche Schuhe und Kleidung kaputt sind. An manchen Stellen haben die Helfenden pro Tag ein paar Schuhe verbraucht. Zugleich läuft jetzt die Soforthilfe an.
Was heißt das konkret, können Sie Bargeld an Betroffene verteilen?
Wir planen, in Absprache mit den anderen vor Ort tätigen Hilfsorganisationen eine unmittelbare Soforthilfe an Betroffene der Flut auszuzahlen. Die Soforthilfe ist ein Handgeld, das pro betroffenem Haushalt gezahlt werden kann und erstmal das Schlimmste lindern, also über die nächsten Wochen helfen soll. Das Geld kommt nicht in bar, sondern als Überweisung. Davor steht aber ein großer Kommunikationsaufwand. Erftstadt-Blessem ist zum Beispiel stark betroffen. Also nehmen wir zuerst mit dem Ortsbürgermeister von Blessem Kontakt auf, um von diesem zu erfahren, wo die betroffenen Bereiche sind. Von dort bekommen wir konkrete Adressen. Diese Menschen werden von uns zum Gespräch eingeladen, füllen ein kurzes Formular mit Daten zur Familie und zur IBAN aus und müssen versichern, dass der Schaden über 5000 Euro liegt. Klar ist, dass wir in dieser Phase nicht allen Menschen in den betroffenen Orten helfen können, aber doch zumindest denen, die am meisten betroffen sind. Aber dies ist ja auch erst der erste kleine Schritt der Hilfe.
Fließen nun alle Spenden in die Soforthilfe?
Nein, dafür wenden wir nur einen gewissen Teil aller Spenden auf. Der Großteil soll den Wiederaufbau mitfinanzieren und fließt in die sogenannte Einzelfallhilfe. Der Weg verläuft so: Erst greifen die Versicherungsleistungen, dann die staatlichen Leistungen. Was übrig bleibt, müssen Betroffene aus eigener Kraft stemmen – und dann kommen wir ins Spiel. Wir helfen je nach Bedürftigkeit beim Schließen der verbleibenden Finanzlücke. Wer sich an uns wendet, wird demnach einer Bedürftigkeitsprüfung unterzogen, das heißt, wir schauen, wem ist es zuzumuten, die Last zu tragen und wem nicht - da muss man sehr genau abwägen, denn die Spendenden erwarten von uns verantwortlichen Umgang mit ihrem Geld.
Das ist ein Marathon. Wir erarbeiten sehr aufwändig eine Priorisierungsliste. Alle Anträge, auch die schon eingegangenen, müssen wir gut prüfen und dann begründen, ob und mit welcher Priorität den Antragstellenden geholfen werden kann. Je weniger finanzielle Ressourcen jemand hat desto eher können wir ihr helfen. Steuerbescheide müssen vorgelegt werden, wir setzen uns gegebenenfalls mit dem Sozialamt und anderen Behörden unter Wahrung des Datenschutzes in Verbindung. Das braucht Zeit und Geduld auf beiden Seiten. Und hier Entscheidungen zu treffen ist nicht immer einfach.
Und wer bekommt schließlich Geld?
Die Bedürftigsten, egal wo sie leben, werden als erste bedacht.
Kann man bei mehreren Hilfsorganisationen Anträge stellen?
Das steht Jedem frei, macht aber nicht viel Sinn. Die meisten Hilfsorganisationen – also auch die Malteser - greifen auf eine Datenbank zu, in der alle Leistungen an Einzelhaushalte, auch die der Länder und Gemeinden, erfasst werden. Wir können also genau sehen, wer wo etwas beantragt und wo etwas bekommen hat.
Konkurrieren die Hilfsorganisationen miteinander? Wie kann man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen?
In der Hilfe sollte es keine Konkurrenz geben, und die Mitglieder von „Aktion Deutschland Hilft“ stimmen sich traditionell inhaltlich und räumlich genau ab. Das ist ein Wesensmerkmal des Bündnisses. Die eingehenden Spenden werden nach einem festgelegten Schlüssel verteilt, im Inland sind Johanniter, ASB und Malteser die leistungsstärksten Mitglieder.
Wie gehen Sie mit Sachspenden um?
Wir nehmen auch Sachspenden an, wie etwa die neue Sicherheitsbekleidung, die jetzt auch dringend beim Aufräumen gebraucht wird. Sachspenden können zum Problem werden, wenn sie unkoordiniert geleistet werden, nicht zu den Bedürfnissen passen und einen sehr hohen Verwaltungsaufwand generieren. Wir hatten beispielsweise das Angebot eines Herstellers für große Generatoren. Ich habe mit den örtlichen Stromversorgern gesprochen, ob das hilfreich wäre. Die sagten nein, das Problem liege nicht in der Erzeugung, sondern bei kaputten und abgesoffenen Hausanschlüssen. Das Unternehmen hat prompt reagiert und seine Spende in einen namhaften Geldbetrag verwandelt. Das war absolute Klasse. Deshalb sagen wir: Wer noch etwas Gutes und Nützliches spenden möchte, sollte erst bei einer Organisation nachfragen, ob das gebraucht wird. Insbesondere Firmen, aber auch zunehmend Privatleute
Sie sagen selbst, das sei ein Langstreckenlauf – und dauert. Bei einem steht Wasser im Keller, bei anderen ist die Heizung kaputt. Da stellt sich Betroffenen sicher auch die Frage der Gerechtigkeit.
Alles ist in großer Bewegung und die Materie ist komplex. Eine einzelne Hilfsorganisation kann unmöglich allen helfen. Selbst in der Summe aller braucht es immer Entscheidungen, wem man hilft und wem leider nicht. Wir müssen zuhören – und immer wieder abwägen, wo es gut ist, direkt zu helfen, und wo man vielleicht abwartend an die Dinge herantritt. Es gibt nicht für jede Situation und jedes Bedürfnis einen Plan. Wir sind sehr um Gerechtigkeit bemüht, können aber nicht ausschließen, dass es uns nicht immer gelingt, gerecht zu sein. Wir werden wahrscheinlich Fehler machen. Aber zuerst werden wir versuchen, so gut wie möglich zu helfen.
Hilfe deutschlandweit
Hilfsorganisationen aus ganz Deutschland engagieren sich in der Region und sammeln Spenden für die Flutopfer. So sind etwa bei „arche noVa“ bereits 72 000 Euro eingegangen, beim Arbeiter-Samariter-Bund rund 800 000 Euro. Auch zahlreiche Helfer, zum Beispiel vom Deutschen Roten Kreuz, sind vor Ort im Einsatz.
Auch die DuMont-Regionalmedien haben gemeinsam mit der Sparkasse Köln-Bonn und Kreissparkasse Köln eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Wenn auch Sie helfen wollen, folgend Sie einfach dem Link.