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Winzer aus Altenahr zieht Bilanz„Mit der Ernte ist die Flut für mich beendet“

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Ernten und Proben nehmen ist in den Steillagen des Altenahrer Ecks Schwerstarbeit. Lukas Sermann checkt den Riesling.

Altenahr – Winzer Lukas Sermann bezeichnet sich selbst auf Instagram als #goodlifelover. In der Nacht zum 15. Juli diesen Jahres wurde diese Lebenseinstellung zur Herausforderung. Sermann musste mit ansehen, wie sein Weingut in der zerstörerischen Flutwelle unterging, wie seine Barriques voll des edlen Rotweins flussabwärts trieben, wie seine Kellerei zerstört wurde. Seinen VW Tiguan fand man Tage später vollkommen zerstört im Langfigtal, etwa einen Kilometer entfernt vom Parkplatz, auf dem er ihn abgestellt hatte. Immerhin: Er und seine Eltern Luzia und Elmar überlebten, aber der materielle Schaden geht in die Hunderttausende.

Seitdem malocht der 31 Jahre alte Jungwinzer, der laut Kritikermeinung den besten Riesling an der Ahr produziert, fast ununterbrochen. Jeden Tag ist er bis zu 14 Stunden damit beschäftigt, seine Firma wieder aufzubauen. Denn eins war schon am Morgen nach der Katastrophe klar: „Ich mache weiter“. Auch dank der großartigen Unterstützung zahlloser Helfer und Winzerkollegen gelang es, die Kellerei wieder ans Laufen zu bekommen. Seit dem 15. September darf geerntet werden – die arbeitsreichste Zeit im Jahresablauf der Winzer.

Fast alles hängt vom Wetter ab

Und die mit den meisten Unwägbarkeiten, denn (fast) alles hängt vom Wetter ab. Zwischen der Aussicht auf bessere Öchslewerte und einem Totalverlust durch Pilzbefall können nur wenige Stunden liegen, wenn das Wetter nicht mitspielt. „Früher hatten wir solch schwierige Sommer wie diesen öfter“, sagt Elmar Sermann, immerhin 30 Jahre Kellermeister beim Großweingut Brogsitter. Früher war vor dem Klimawandel, vor der Flut.

Immerhin, der Sonnenschein Anfang Oktober spielt den Winzern in die Karten beim Poker um optimale Trauben. So werden die Tage der Lese je nach Wetter-App vor und zurück geschoben, Lukas Sermann braucht für Spitzenweine mit seiner Charakteristik bestmögliche Qualität.

Ernte ist ein Schritt in die Zukunft

Einer, der da weniger Rücksicht drauf nehmen muss, ist Weinbauer und Winzermeister Franz Küls aus Dernau. Er verkauft seine Trauben ans Weingut Sermann. Er muss kein Risiko eingehen, denn er wird mit Festpreis nach Gewicht bezahlt. Stimmen die Öchslegrade seiner Trauben, beginnt er zu lesen und liefert. Auch für Franz Küls ist diese Ernte ein Schritt in die Zukunft – seine zwei Häuser hat die Ahr komplett zerstört.

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Das Ahrtal

Die existenziellen Fragen nach der Zukunft stellt sich an der Ahr jeder. Das nimmt dem Leben auch die Freude. Deshalb organisieren Lukas Sermann und sein Kumpel Timo Kazmierczak, Chef des Bonner Topmagazins, das 1. Altenahrer Weinfestival #Aufbruchstattabbruch. Mit Livemusik der Kölner Bands Müller, Klüngelköpp und Lupo, mit Weinen von Topwinzern, Streetfood. Und einem Feuerwerk zum Abschluss, das die Geisterstadt-ähnliche Nachbarschaft der Seilbahnstraße in neuem Licht erstrahlen ließ.

Genau wie die rund 1400 Besucher, die nach Ablenkung lechzen, nach Momenten des kleinen Glücks. Sermann spricht hinterher von „Museumsmomenten“, auf Instagram bedanken sich Gäste euphorisch: „DAS ist die Zukunft unseres Tals – Ihr habt gezeigt, dass es weitergeht.“ Ein Schritt raus aus der Konvention, die Neuauflage 2022 ist geplant.

Die Sermanns wohnen jetzt in der Gästewohnung

Weiter geht es auch für Luzia Sermann. Aus dem Fenster der Seilbahnstraße 22 hängt wieder Bettwäsche zum Lüften, vor dem Eingang stehen Töpfe mit frischen Pflanzen. Nachdem endlich eine Küche gekommen ist, ist sie mit Ehemann Elmar wieder eingezogen ins Weingut. Vorläufig nur in die Gästewohnung im zweiten Stock, denn alles darunter ist immer noch feuchter Rohbau.

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Freund und Berater: Bei Winzer Bernie Werner an der Mosel.

Sie sind aktuell die einzigen Anwohner im Veedel, aber das macht nichts: „Ich bin in der Eifel aufgewachsen“, sagt Luzia Sermann und lacht, „da waren die Nachbarn auch hundert, hundertfünfzig Meter entfernt. Ich schlafe gut im Dunkeln.“ Hauptsache wieder zu Hause.

Ehrenamtler nimmt Trauben entgegen

Weil Lukas Sermann fast ständig unterwegs ist – er pendelt zwischen Weinkellerei, Labor und Wingert, TV-Sendung mit Bettina Böttinger, Radio-Interview, Weinverkaufsveranstaltungen oder dem Besuch eines Tennisvereins, der ihn mit Flutspenden unterstützt hat – nimmt ein kompetenter ehrenamtlicher Helfer die Trauben entgegen. Wiegen, Öchsle messen, Trauben lösen, pressen, in Gärtanks umfüllen, Rotweintrauben mit Trockeneis kalt mazerieren, Trockenbeeren auslesen.

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Niklas Laube hat seine Winzerlehre im Rheingau Mitte Juni beendet, sein zweites Jahr hat er bei Georg Breuer in Rüdesheim absolviert. Ein Praktikum als Fortbildung bei Sermann war ohnehin geplant, dann kam die Katastrophe. Drei Tage nach der Flut war er in Altenahr. Und ist es bis heute.

Soldaten helfen bei der Lese

Ohne die Helfer würde vieles nicht laufen in dieser komplizierten, vom Improvisieren geprägten Ernte. Bundeswehrsoldaten und Freiwillige werden im ganzen Tal gezielt bei der Lese eingesetzt, und besonders das Tragen der mit Trauben gefüllten Kreben ist in den Steillagen, in denen man kaum stehen kann, echte Knochenarbeit. „Die waren fertig abends“, sagt Lukas Sermann bewundernd und dankbar.

Vater Elmar hat in der Kellerei Unterstützung von einem Studienfreund, Manfred Bürkin ist für zwei Wochen vom Kaiserstuhl gekommen und überrascht, wie vieles doch anders gemacht würde hier an der kalten Ahr als im warmen Südbaden. Sagts, und zaubert ein mitgebrachtes Fläschchen Feierabendwein hervor: „Den müsst ihr unbedingt mal probieren…“

853 Rieslinge bewertet

Probieren ist Winzeralltag: Trauben schmecken, am Most schnüffeln, den Saft auf der Zunge ergründen, den fertigen Wein nach Aromen ergründen und vergleichen. Für einen Laien ist die sensorische Differenziertheit der Profis beeindruckend. „Alles Übung“, sagen sie übereinstimmend. Lukas Sermann hat auf der Wein-App „Vivino“ allein 853 Rieslinge bewertet, die Gespräche beim Mittagessen oder nach Feierabend drehen sich selten um etwas anderes.

Probieren schult, das weiß auch Niklas Laube, der jetzt sein Studium „Management in der Weinwirtschaft“ in Geisenheim beginnt und davon träumt, einmal „Master of Wine“ zu werden. In der Ausbildung hat er sich hauptsächlich dem Riesling gewidmet. „Lukas hat viel Rotwein, da lerne ich auf jeden Fall dazu.“

Ein Familienbetrieb, der ins 21. Jahrhundert passt

Wie schafft man es, den vor vier Jahren übernommenen Familienbetrieb zu etablieren? „Es geht nicht nur um Wein, auch ums Marketing, ums Verkaufen, um die Menschenführung“, sagt Laube. „Wie kann man einen alteingesessenen Betrieb so umbauen, dass er ins 21. Jahrhundert passt, denn auch die Konkurrenz verändert sich. Lukas ist super-kommunikativ, und weiß genau, welche Chancen es zu nutzen gilt. Er hat Visionen und eine gute Nase für Gelegenheiten.“

Auch wenn er etwa bei TV-Auftritten reflektiert auf die Folgen der Flut aufmerksammacht, zeige sein Talent sofort Wirkung: „Wenn er abends im Fernsehen war, sind in den nächsten Tagen fünfzig Bestellungen extra eingegangen. Das ist anstrengend für ihn, aber er weiß, dass das etwas bringt, der Region und ihm.“ Die Krise nach der Flut sei der Scheidepunkt für die Winzer. „Lukas weiß, was er will. Die Flut hat in gebremst, aber er hat sein Ziel jetzt umso fester vor Augen. Langfristig wird er groß rauskommen,“ ist sich der Helfer sicher, der zum Freund geworden ist. Seine wichtigste Lehre aus der Zeit? „Niemals aufgeben, auch wenn alles am Arsch ist“, sagt Niklas und grinst.

Feuchter Sommer war ideal für Beerenauslese

Weil der Sommer so feucht war, gibt es viele edelfaule Beeren. Das bringt Lukas und Niklas, die beide Süßweine lieben, auf die Idee, eine Beerenauslese zu produzieren, eine geschmacksintensive, edelsüße Weinrarität. Und eine extrem zeitaufwendige Arbeit, denn die Beeren müssen im Wingert einzeln per Hand aus den Rappen gelöst werden.

Einen Eimer zu füllen dauert Stunden. Dafür liegt der Öchslegrad bei fast zweihundert, was etwa dreimal so viel ist wie bei der normalen Ernte. Die Weinmacher sind begeistert. Weil die Mengen so gering sind, brauchen sie eine Kleinpresse. „Bernie hat eine, da fahren wir hin.“

Also geht es zum Betriebsausflug nach Leiwen zu Moselwinzer Bernhard Werner. Seine Rieslinge vom Schweicher Annaberg oder der Trittenheimer Apotheke sind hochgelobt, seine Spätlesen extraordinär, seine Brände hochwertig. Rund neun Liter fließen aus der Presse, insgesamt werden es am Ernteende 25 Liter sein. Das wird bei einer Kellereiführung begossen.

Lukas, Niklas und Benedikt Wenz, ebenfalls Helfer, Freund und gerade mit einem Imagefilm über Sermann beschäftigt, sind in ihrem Element. An den Fässern, im Weinberg, abends beim Hirschgulasch in der Küche von Bernie und seiner Frau Margret, die einst Restaurantleiterin bei Käfer in München war, gibt es nur ein Thema: Wein. „Ich will von den Besten lernen“, sagt Lukas Sermann, der gerne in andere Betriebe reinschnuppert. „Der Bernie ist fachlich top, ein Glücksgriff. Der Austausch mit ihm ist prägend. Der lebt den Spirit der jungen Generation, die sich gegenseitig pushen und helfen. Das hat man bei der Flut gesehen: die Hilfe der Winzer untereinander war unglaublich.“

Spritziger Jahrgang, aber kompliziert

An diesem Mittwoch werden die letzten Trauben gelesen. „Kein schlechter Jahrgang, aber ein komplizierter“, bilanziert Jungwinzer Sermann. „Die Lesespanne war extrem lang. Es wird ein spritziger Jahrgang mit hohen Säurewerten, viel knackiger Frucht.“ Der aktuelle Weinverkauf stimmt optimistisch. „Wir als Region können jenseits des Mitleidfaktors die Chance für ein anderes Image zu nutzen.“

Wichtig dafür seien hohe Weinqualität und moderne Gastrokonzepte. „Ich bekomme Anfragen von Leuten, die die Ahr neu listen wollen. Und ich freue mich, dabei sein zu dürfen.“ Lukas Sermann, der Visionär – auch wenn die Bilder der Umgebung etwas anderes sagen: „Mit der Ernte ist für mich die Flut beendet.“