Am 15. Mai stimmen die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen über ein neues Landesparlament ab. Aber was hat das Alte geleistet, was für Familien und gegen Kriminalität getan?
Was von der aktuellen Koalition aus CDU und FDP unter zunächst Armin Laschet und nun dem amtierenden Ministerpräsidenten Hendrik Wüst besonders in Erinnerung bleiben wird - positiv wie negativ -, hat unsere Redaktion zusammengetragen.
Top 1: Reißleine bei Leverkusener Brücke gezogen
Es ist keine leichte Entscheidung, die Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) Ende April 2020 treffen muss. Das Land kündigt den Vertrag mit dem Generalunternehmer, dem renommierten österreichischen Baukonzern Porr, der den Neubau des ersten Teils der Leverkusener Rheinbrücke für 363 Millionen Euro errichten soll. Der Landesbetrieb Straßen NRW hat zuvor vor eklatanten und irreparablen Mängeln an den in China gefertigten Stahlbauteilen gewarnt, die das gesamte Projekt gefährden könnten.
Die Kündigung erfolgt aus Sicht des Landes daher aus „wichtigem Grund“. Das ist bei dem zu erwartenden Rechtsstreit mit dem Baukonzern von erheblicher Bedeutung, weil das Land dem ehemaligen Generalunternehmer nur dann alle Mehrkosten in Rechnung stellen kann, wenn ein Gericht zu seinen Gunsten entscheidet. „Wir machen keine Abstriche bei Qualität und Sicherheit“, sagt Wüst bei einer Anhörung im Landtag.
Ende 2023 soll der erste Neubauteil stehen, die gesamte Brücke voraussichtlich 2027 fertig sein. Sie wird dann mehr als eine Milliarde Euro gekostet haben.
Top 2: NRW geht beim Kohleausstieg voran
Am 3. Juli 2020 wird das Gesetzespaket von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Bis spätestens 2038 wird Deutschland aus der Kohle aussteigen. Bereits bei den zähen Verhandlungen zum Kohlekompromiss machen der damalige Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) bekannt, dass Nordrhein-Westfalen die Vorreiterrolle übernehmen wird.
Bis 2029 wird NRW 70 Prozent der zu reduzierenden Braunkohlekapazitäten schultern, sagt Laschet damals. Bis 2038 stehen für das Rheinische Revier rund 14,8 Milliarden Euro an Fördermitteln des Bundes zur Verfügung. Kein Jahr später, im April 2021, sorgt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz dafür, dass die neue Bundesregierung handeln muss und den Kohleausstieg bis 2030 als neue Zielvorgabe vorgibt.
Auch das sei zu schaffen, erklärt Wirtschaftsminister Pinkwart im Oktober. Auch trotz des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hält die Landesregierung an diesem Ziel fest. „Wir sollten den Kohleausstieg 2030 heute nicht über Bord werfen“, mahnt Laschet-Nachfolger Hendrik Wüst. „Das nimmt den innovativen Druck, am Ausbau der Erneuerbaren dranzubleiben. Ich würde maximalen Pragmatismus auf dem Weg dahin empfehlen.“
Noch läuft der Ausstieg im Rheinischen Revier nach dem 2038er Fahrplan. RWE hat seit Ende 2020 sechs Kraftwerksblöcke mit zusammen rund 1.800 Megawatt Leistung stillgelegt. In diesem Jahr gehen neben dem 300-MW- Block A am Standort Neurath die beiden 600-MW-Blöcke D und E außer Betrieb. Gleiches gilt für die Blöcke E und F am Standort Niederaußem mit jeweils 300 MW, die zurzeit in Sicherheitsbereitschaft stehen.
Zusätzlich stellt RWE Power zum Jahresende die Brikettproduktion und damit eine Kraftwerksleistung von 120 MW ein. Insgesamt werden somit zum Ende dieses Jahres mit rund 4000 Megawatt Leistung rund 40 Prozent der ursprünglichen Braunkohlekapazität im Rheinland vom Netz gegangen sein.
Top 3: Der 1,3 Milliarden Euro-Pakt für Familien
Durch die Corona-Krise ist der Familien-Pakt vom Januar 2019 fast in Vergessenheit geraten. Damals kann Familienminister Joachim Stamp (FDP) die gute Nachricht eines weiteren beitragsfreien Kita-Jahres verkünden, ausgehandelt mit den Kommunalen Spitzenverbänden.Zudem gibt die NRW-Regierung Kommunen und Trägern eine Garantie, bis zum Ende der Legislaturperiode 2022 jeden zusätzlichen Kita-Platz zu bewilligen und zu finanzieren. Das Gesamtpaket kostet 1,3 Milliarden Euro, das Geld muss ab dem Kita-Jahr 2020/21 jährlich zusätzlich investiert werden. 430 Millionen Euro davon kommen vom Bund, 395 Millionen müssen die Kommunen aufbringen, bis zu 475 Millionen übernimmt das Land.
Top 4: Kampf gegen Kinderpornografie
Der heruntergekommene Wohnwagen auf dem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde wurde im Sommer 2019 zum Sinnbild des Versagens von Polizei und Jugendfürsorge im Kampf gegen den sexuellen Kindesmissbrauch. Lügde markiert eine Zeitenwende. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) war schockiert über die schlampigen Ermittlungen, bei denen auch Beweismittel verschwanden. Er schickte einen Sonderermittler, den heutigen LKA-Chef Ingo Wünsch, ins Polizeipräsidium nach Lippe, und ordnete einen massiven Ausbau der Verfolgung von Kinderpornografie im Internet an.
Schnell flogen weitere Netzwerke von Kinderschändern in Münster und Bergisch Gladbach auf – die erfasste Zahl der Fälle von Kindesmissbrauch hat sich seit Lügde fast verdoppelt. Die 47 Kreispolizeibehörden und das LKA sind jetzt in einem „virtuellen Großraumbüro“ vernetzt. Künstliche Intelligenz hilft den Ermittlern dabei, kinderpornografisches Material zu erkennen und auszuwerten. (gmv)
Top 5: Erfolge gegen Clan-Kriminalität
Kriminelle Familienclans haben in vielen NRW-Städten Geldwäsche, Menschenhandel und Drogenverkauf unter sich aufgeteilt. In den Clans gelten eigene Regeln, viele Mitglieder hielten Polizei und Justiz für zahnlose Tiger. Das hat sich jetzt geändert. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) machte der Polizei die Ansage, dass die „Null-Toleranz-Strategie“ auch für Clans gelten muss. Seitdem wurde es für die Kriminellen ungemütlich. Seit Juni 2018 wurden bei mehr als 1700 Razzien über 4300 Objekte kontrolliert. Dabei wurden fast 25.000 Verstöße geahndet und über 4600 Gegenstände, zum Beispiel Waffen, beschlagnahmt. 116 Clan-Mitglieder wurden verhaftet. (gmv)
Top 6: Kampf gegen Hass im Internet
Die „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen“ (ZAC NRW) mit Sitz in Köln ist für die Bekämpfung der Kriminalität im Cyberraum und für die Verfolgung von politisch motivierter Hasskriminalität im Internet zuständig. Mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen haben Drohungen und Hassreden im Internet eine neue Dimension erreicht. Beleidigungen, Drohungen und Aufrufe zu Gewalttaten sind an der Tagesordnung.
Die ZAC wurde von NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) kontinuierlich aufgestockt. 2021 konnten jetzt 817 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit digitaler Hasskriminalität eingeleitet werden. Die Strafen, die die Gerichte verhängen, sind zum Teil empfindlich. Als Minimum gilt eine Verurteilung zur Zahlung von 30 Tagessätzen, was in der Regel einem Monats-Nettogehalt entspricht. (gmv)
Flop 1: Das Fahrradgesetz für NRW
Die Opposition aus SPD und Grünen im Landtag reibt sich verwundert die Augen. Ausgerechnet CDU und FDP greifen die Forderungen der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ auf, die mehr als 200.000 Unterschriften für ein Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz gesammelt hat. Als erstes Flächenland in der Bundesrepublik wird die Förderung des Radverkehrs im November 2021 zur Pflicht. Das gab es bis dahin nur in Berlin.
Doch am Ende ist die Enttäuschung bei den Interessenverbänden groß. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) spricht von einem "mutlosen Gesetz", das keine Aufbruchsstimmung auslöse. Hauptkritik: In dem Gesetz steht kein Zieldatum für die angestrebten 25 Prozent Radverkehrsanteil. „Dass die so zentrale Jahreszahl als Zielgröße fehlt, enttäuscht uns, und sicher auch die Erwartungshaltung vieler Menschen, die jetzt schon Fahrrad fahren", kritisiert etwa der Fahrradverein „Radkomm“. Die Initiative „Aufbruch Fahrrad" fordert die Erreichung des 25-Prozent-Ziels bis zum Jahr 2025. (pb)
Flop 2: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien
Es ist März 2022, als Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) angesichts der Energiekrise durch den Krieg in der Ukraine die Wende für die Energiewende vollzieht. Medienwirksam unterzeichnet die schwarz-gelbe Landesregierung mit rund 50 Kommunen, Kreisen, Unternehmen der Energiewirtschaft und Stadtwerken einen „Gigawattpakt“, dessen Ziel es ist, die Stromerzeugungskapazitäten bis 2028 von derzeit 2,3 auf fünf Gigawatt mehr als zu verdoppeln.
Gleichzeitig will die Landesregierung die Erneuerbaren verstärkt für die Wärmeerzeugung nutzen. Der Krieg in Europa habe „die Versorgungssicherheit in den energiepolitischen Fokus gerückt. Es ist klar, dass es kein ‚Weiter so‘ in der Energieversorgung geben kann". Deutschland sei gezwungen, „die große Abhängigkeit von fossilen Energieimporten zu verringern", sagt der Wirtschaftsminister. „Deshalb ist es wichtig, dass wir in Nordrhein-Westfalen mit dem Gigawattpakt beim Ausbau der Erneuerbaren eine Schippe drauflegen.“
Eine Schippe drauflegen – das ist ein leises Eingeständnis, dass man in der Vergangenheit die Windkraft nicht gerade gefördert hat. Die Zahlen belegen das. 2019, im zweiten Jahr der schwarz-gelben Landesregierung wurden nur noch 128 neue Windkraftanlagen in Betrieb genommen.
Pinkwart verweist deshalb lieber darauf, dass Nordrhein-Westfalen von 2018 bis 2021 die Windkraft dreimal so stark ausgebaut habe wie Baden-Württemberg und mehr als elfmal so stark wie Bayern. Auch bei den Genehmigungen liege man mit 1360 Megawatt auf Rang zwei hinter Schleswig-Holstein. Die Zahlen stimmen. Aber vor 2018 haben CDU und FDP die Erneuerbaren blockiert, wo es nur geht. (pb)
Flop 3: Die Maskenaffären
Die härteste Währung beim Krisenmanagement in der Pandemie sind die Todeszahlen. Nach aktuellen Berechnungen belegt NRW im Bundesländervergleich den Mittelfeldplatz acht (139 Todesfälle pro 100.000 Einwohner), liegt aber immerhin vier Plätze vor Bayern (175 Todesfälle), das einen deutlich strengeren Kurs gefahren war.
Neben den auch in NRW oft kaum nachvollziehbaren Corona-Regeln werden vor allem die umstrittenen Maskenkäufe der Landesregierung in unrühmlicher Erinnerung bleiben. So bestellte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) im März 2020 bei einer Schweizer Firma FFP-2-Masken für 9,90 Euro pro Stück. Der Deal war von der Tochter des früheren CSU-Generalsekretärs Gerold Tandler eingefädelt worden.
Auch der damalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) geriet im Zusammenhang mit einem Maskengeschäft unter Druck. Das Land hatte bei dem heimischen Textilunternehmen Van Laack Masken im Wert von mehr als 45 Millionen Euro bestellt. Wie sich herausstellte, war der Auftrag auf Vermittlung von Laschets Sohn Johannes zustande gekommen. Der Influencer war für Van Laack als Model tätig. (gmv)
Flop 4: Die Räumung des Hambacher Waldes
De Räumung des Hambacher Forsts im Sommer 2018 geriet zu einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte des Landes NRW. Obwohl fragwürdig war, ob die Fläche des historischen Walgebiets angesichts des geplanten Kohleausstiegs überhaupt noch benötigt werden würde, ging die Polizei massiv gegen Aktivisten und Baumbesetzer vor.
NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) rechtfertigte die Räumung mit der offensichtlich vorgeschobenen Begründung, die Baumhäuser würden dem Brandschutz nicht entsprechen. Das Verwaltungsgericht in Düsseldorf kam im vergangenen Jahr zu dem Urteil, dass dieses Vorgehen rechtswidrig war.
Fatal war auch die Außenwirkung des Großeinsatzes: Es entstand der Eindruck, dass Schwarz-Gelb sich zum Büttel des Energiekonzerns RWE machte. (gmv)
Flop 5: Staatsversagen mündet im Tod des Häftlings Amad A.
Am 17. September 2018 um kurz nach 19 Uhr legte der Syrer Amad A. einen Brand in seiner Zell in der JVA Kleve, an dessen Folgen er zwei Wochen später starb. Eine Tragödie, die wohl vermeidbar war, denn: Amad A. saß zu Unrecht im Gefängnis. Durch eine Polizei-Panne wurden ihm fälschlicherweise die Haftbefehle eines gesuchten Straftäters zugeordnet. Dabei hatte der tatsächlich zur Fahndung ausgeschriebene Mann einen anderen Namen, eine andere Nationalität - und eine andere Hautfarbe.
Der Fall führte zur Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der das beispiellose Versagen von Polizei und Justiz ans Licht brachte. NRW-Innenminister Herbert Reul und NRW-Justizminister Peter Biesenbach (beide CDU) gerieten schwer unter Druck. Der Verdacht der Opposition, die Polizei habe den Syrer aus rassistischen Motiven festgesetzt und ihn wider besseren Wissens nicht mehr freigelassen, erhärtete sich aber nicht. (gmv)
Ihr Wahl-Versprechen, die Bezahlung der Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen an jene der Kollegen an den weiterführenden Schulen anzupassen, hat NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) nicht eingehalten. Dem größten Problem der Schulen, dem Lehrermangel, hatte sie nicht viel mehr entgegenzusetzen als Stellen, von denen Anfang 2022 knapp 6000 nicht besetzt waren. Und in Sachen Schulplatzvergabe-Desaster in Köln fiel ihr nur ein, alle Schuld von sich zu weisen und mit dem Finger auf die Stadt Köln zu zeigen.
Die Corona-Pandemie hat Gebauer das ohnehin nicht ganz einfache Schulministerinnen-Leben zusätzlich erschwert, als begnadete Krisenmanagerin hat sie sich nicht erwiesen. In der Lehrerschaft wird Gebauer wohl als jene NRW-Schul- und Bildungsministerium mit dem schlechtesten Timing beim Verschicken von E-Mails in Erinnerung bleiben.
Nicht nur einmal informierte sie die Schulen am Freitagnachmittag oder spätabends nach 22 Uhr über kurzfristig umzusetzende Neuerungen. Teilweise waren die Medien schneller als die Ministeriums-Mail. Eltern erlebten Gebauer vor allem als Verursacherin eines heillosen Pooltest-Durcheinanders an den Grundschulen. (sro)