Abgesagte Rassismus-StudieWovor haben Sie eigentlich Angst, Herr Seehofer?
- Moderne, professionelle Wissenschaft kann niemals ein Problem sein. Doch genau diese Botschaft schwingt in Horst Seehofers Absage der Rassismus-Studie bei der Polizei mit.
- Es ist nicht nachvollziehbar und schädlich, dass er die Studie gestoppt hat. Ein Gastbeitrag von Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor.
Hat Horst Seehofer Angst vor der Wissenschaft? Diese Frage drängt sich auf. Der Bundesinnenminister lässt eine zuerst von seinem eigenen Haus angekündigte Studie über Rassismus bei der Polizei stoppen, weil er derzeit keinen Bedarf sieht und „Racial Profiling“ – also eine Personenkontrolle basierend allein auf Äußerlichkeiten wie Hautfarbe – ja sowieso verboten sei. Als ob ein Verbot bedeutete, dass es etwas nicht gibt. Weil Diebstahl nicht erlaubt ist, wird nicht mehr gestohlen? Die Argumente des CSU-Politikers sind rational nicht nachvollziehbar. Folglich dürfte seine Entscheidung emotional motiviert sein.
Moderne, professionelle Wissenschaft kann niemals ein Problem sein. Doch genau diese Botschaft schwingt in Horst Seehofers Absage mit. Wenn ein deutsches Unternehmen sich aus Angst vor Umsatzeinbußen scheut, seine Verstrickungen in der Nazi-Zeit von Historikerinnen und Historikern aufarbeiten zu lassen, dann ist das zwar nicht verständlich, aber nachvollziehbar. Bei einer Behörde wie der Polizei ist so eine Haltung indes weder verständlich noch nachvollziehbar.
Das gilt unabhängig davon, welches Ergebnis eine solche Studie zutage fördern würde. Stellte sich heraus, dass Rassismus in den Reihen der Polizei bloß ein Randphänomen ist – super. Stellte sich heraus, dass es sich doch um ein signifikantes Problem ist, dann müsste eben gehandelt werden. Probleme einer Institution zu lösen, die von der Gesellschaft finanziert und getragen wird, ist eine Selbstverständlichkeit. Und sollte eine Studie am Ende keine eindeutigen Ergebnisse liefern, läge zumindest teilweise etwas im Argen, das angegangen werden müsste, und auch Diskussionen darüber wären nötig.
Keine Angst vor Stigmatisierung
Sorgen vor Stigmatisierung muss die Polizei deshalb nicht haben. Jeder vernünftige Mensch weiß, dass Polizistinnen und Polizisten nicht alle gleich sind. Nur linke Extremisten scheren alle über einen Kamm. Aber die sind eine Minderheit. Etwaige Sorgen in Richtung von Generalisierung und Stigmatisierung kann ich als Muslimin vielleicht besonders gut beurteilen. Von uns Muslimen fordert man seit Jahrzehnten, dass wir uns den dunklen Seiten unserer Religion kritisch zu stellen, mit modernen wissenschaftlichen Methoden und einer aufgeklärten Theologie an unseren Glauben heranzugehen hätten. Die Dimensionen, um die es beim Islam geht, sind im Vergleich weitaus größer. Zum einen sind Islamhasser in Deutschland deutlich lauter als Polizeihasser. Zum anderen geht es bei der Polizei in der Regel um einzelne Personen, die zu Schaden kommen, während durch gewaltbereite Islamisten oft ganze Gruppen zu Opfern werden. Dennoch war und ist es ungeachtet aller Befürchtungen von Stigmatisierung richtig, dass sich Musliminnen und Muslime mit dem Islamismus, dieser dunklen Seite, auseinandersetzen.
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In gleicher Weise sollte sich die Polizei dem in Teilen der Gesellschaft vorhandenen Unbehagen stellen, dass in ihren Reihen etwas im Argen liegt. Auch wenn der zuständige Minister es anders empfinden und schon zu wissen glaubt (wirklich wissen kann er es nicht, weil bundesweit bisher eben keine belastbaren Untersuchungen existieren), dass die Polizei beim Thema Rassismus kein Problem hat: Er darf eine Studie dazu einfach nicht blockieren. Allzumal Kabinettskollegen wie Justizministerin Christine Lambrecht (SPD), Vertreter von Polizeigewerkschaften und viele andere sie befürworten. Tahir Della beispielsweise, der Bundesvorsitzende der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, sagte dem WDR: „Ich kenne so gut wie keine schwarze Person, die bisher noch nicht sogenannte verdachtsunabhängige Personenkontrollen über sich hat ergehen lassen müssen.“
Kein glückliches Händchen
Dem Minister Seehofer scheint das zuletzt glückliche Händchen abhandengekommen zu sein, das ihn im Umgang mit den rassistischen Anschlägen von Halle oder Hanau und dem offenbar rechtsextremistisch motivierten Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke ausgezeichnet hatte. Erst setzt er sich beim Thema Pressefreiheit freiwillig in die Nesseln und verkündet als Staatsvertreter, eine Kolumnistin der „taz“ anzeigen zu wollen, weil diese einen verunglimpfenden Anti-Polizei-Text geschrieben hat, den eine verantwortungsvolle Redaktion so niemals hätte freigeben dürfen. Und nun rennt er erneut und sogar mit Anlauf in die Nesseln und sagt die angekündigte Polizeistudie ohne schlüssige Argumente ab.
Wenn es sein durchaus hehres Ziel gewesen sein sollte, „seine“ Polizei zu beschützen, dann erweist er ihr damit leider einen Bärendienst. Denn ein Großteil der Bevölkerung wird nun den Schluss ziehen: Rassismus oder „Racial Profiling“ bei der Polizei sind in Wahrheit so weit verbreitet, dass ihr oberster Dienstherr Angst davor hat, eine Studie könnte das wissenschaftlich bestätigt ans Licht bringen.