Wie können andere Parteien den Höhenflug der AfD stoppen – mit Identitätspolitik und Asyldebatte oder Erklären und besserem Regieren? Sechs Möglichkeiten.
Partei im HöhenflugSechs Strategien gegen den Aufschwung der AfD
Die AfD ist im Höhenflug und hat in den Umfragen mit der Kanzlerpartei SPD gleichgezogen. 18 bis 19 Prozent würden die Partei zurzeit wählen. In Ostdeutschland ist sie mit 32 Prozent neuerdings mit großem Abstand stärkste Partei.
Zwei Drittel der AfD-Wählerinnen und -Wähler geben an, sie würden aus Unmut über die anderen Parteien für die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte Truppe von Alice Weidel, Tino Chrupalla und Björn Höcke stimmen. Regierungsparteien und Union debattieren über Strategien gegen den Aufschwung der AfD. Welche versprechen Erfolg, welche sind zum Scheitern verurteilt?
Nimmt die Identitätspolitik der Unions-Parteichefs Friedrich Merz und Markus Söder der AfD Stimmen weg?
Was Markus Söder kann, versucht Friedrich Merz auch gerne: Beide Unionsparteichefs machen immer wieder Schlagzeilen mit Breitseiten gegen „Wokeness“ und „zwanghaftes Gendern“. Merz schrieb vor einer Woche: „Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar Hundert Stimmen mehr zur AfD“, und wurde dafür auch aus der eigenen Partei scharf kritisiert.
Merz erntet aber auch Zustimmung: „Man muss dem Volk aufs Maul schauen, hat schon Martin Luther gesagt“, meint der Wittenberger Bundestagsabgeordnete und CDU-Fraktionsvize Sepp Müller. „Identitätspolitik gehört zu christlich-sozialer und bürgerlicher Politik dazu. Die Mehrheit im Land lehnt die Gendersprache und diese Sprachpausen ab. Die Menschen merken, dass sie bevormundet werden sollen. Und aus der Abwehr dieser Bevormundung wächst die Zustimmung zur AfD, wenn wir das als Union nicht thematisieren.“
Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch fällt ein gemischtes Urteil: „Die Bemühungen der Unionsparteien, sich von sogenannter Wokeness abzugrenzen, stößt meines Erachtens in der breiten Bevölkerung auf Zustimmung“, sagt sie dem RND. „Gleichzeitig ist diese Identitätspolitik angesichts all der gravierenden politischen Probleme, vor denen unser Land steht (Verteidigungsfähigkeit, Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit, Demografie), ein völliges Randthema.“ Merz und Söder müssten also darauf achten, dass sie sich nicht bei etwas verkämpften, was sie selbst für unbedeutend hielten.
Der Berliner Politikberater Johannes Hillje hingegen warnt: „Beim Kulturkampf hat die AfD Heimvorteil. Auf das Narrativ, dass eine kulturelle Elite die normalen Bürger umerziehen wolle, hat die AfD das Copyright. Mit Kulturkampf normalisieren Merz und Söder die AfD.“
Kann die Asyl-Grundgesetzdebatte von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer die AfD eindämmen?
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) warnt vor einer Überlastung des deutschen Asylsystems und hat unter anderem vorgeschlagen, das Grundrecht auf Asyl einzuschränken. Von AfD-Chef Tino Chrupalla bekommt er dafür vergifteten Beifall: Er kopiere die Forderungen der AfD, um bei den Landtagswahlen 2024 zu punkten, sagte Chrupalla. Um glaubwürdig zu sein, müsse Kretschmer aber zunächst die Koalition mit den Grünen beenden.
Auch beim Asylthema steht die CDU also vor einem Dilemma: Sie muss sich von der Ampelpolitik abgrenzen, aber realistische Vorschläge bringen, um nicht als AfD-Nachplapperer zu enden. Für Sepp Müller ist der Unterschied klar zu erkennen und zu kommunizieren: „Wir von der Union lieben unser Land. Die AfD aber hasst alle Ausländer. Nur wir haben Lösungen“, versprach er gegenüber dem RND. „Wir unterscheiden uns in Tonalität und Inhalt.“
CDU-Fraktionsvize Sepp Müller: „Mehr die Ärmel hockrempeln, zu den Leuten gehen und zuhören“
Politikwissenschafts-Professorin Münch sieht in Kretschmers Vorschlägen kaum Potenzial, die AfD kleinzukriegen, im Gegenteil: „Man kann die Debatte zwar führen, sie wird aber auch an unionsgeführten Landesregierungen an den Grünen scheitern.“ Schließlich benötige es für eine Grundgesetzänderung eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. „Das heißt, dass nicht einmal die Union dazu wird beitragen können, die Änderung zu erreichen. Und ich bezweifle, dass die bloße Debatte über die Wünschbarkeit etwas bringt – außer Streit in den entsprechenden (Landes-)Koalitionen, von dem wieder nur die AfD profitiert.“
Auch Politikberater Hillje warnt Kretschmer: „Wenn Kretschmer die AfD in Sachsen besiegen will, sollte er nicht ihre Positionen übernehmen. Die Abkehr vom Grundrecht auf Asyl war bisher ein Alleinstellungsmerkmal der AfD. Was Kretschmer hingegen richtig macht, sind seine zahlreichen Bürgerdialoge. Vertrauen gewinnt man durch Verständigung zurück.“ Für diesen Weg plädiert auch Fraktionsvize Sepp Müller: „Wir müssen weniger mit Einstecktuch und Dreiteiler in Talkshows sitzen und mehr die Ärmel hochkrempeln, zu den Leuten gehen und zuhören.“
Würde ein funktionierendes europäisches Asylsystem die AfD-Werte drücken?
Schon 2015 sagte AfD-Senior Alexander Gauland. „Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg in erster Linie der Flüchtlingskrise. Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen.“ Damals war die Partei bundesweit auf 10 Prozent gestiegen – und auch acht Jahre später treibt die Migrationspolitik die Zustimmungswerte. „Wenn es uns gelingt, nach vielen Jahren des Streits zu einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik zu kommen, dann nimmt das auch den Rechtspopulisten Wind aus den Segeln“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) jetzt im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland/„Kölner Stadt-Anzeiger“). Kretschmers Gedankenspiele hat sie scharf kritisiert: „Wer das Asylrecht antasten will, spielt das dreckige Spiel der AfD mit und verschiebt Grenzen, die nicht verschoben werden dürfen.“
Ein funktionierendes europäisches Asylsystem wäre ein entscheidender Punkt, sagt Münch: „Das ist eine ganz zentrale Erwartung eines großen Teils der Bevölkerung an die Bundesregierung und ein Thema, mit dem die AfD nicht nur in Ostdeutschland die Leute anspricht. Aber das Risiko ist groß: Einen Erfolg erzielt die Ministerin nur, wenn ihre Politik von der Bundesregierung und den Ampelfraktionen tatsächlich mitgetragen wird. Gelingt dies nicht, endet sie wie die CSU und Seehofer im Jahr 2018: Man blamiert sich durch und durch und macht die radikalen Forderungen der AfD erst recht salonfähig.“
Welche Wirkung hat die Anklage der Staatsanwaltschaft Halle gegen Björn Höcke wegen des mutmaßlich bewussten Verwendens einer SA-Parole?
„Alles für Deutschland“, das war eine Losung der nationalsozialistischen SA. Ihre bewusste Verwendung ist strafbar. Wusste Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, ein gelernter Studienrat für Geschichte, was er sagte, als er im sachsen-anhaltischen Landtagswahlkampf 2019 diese Parole von der Bühne einer AfD-Demonstration rief? Die Staatsanwaltschaft Halle hält das für möglich und hat Anklage gegen Höcke erhoben.
„Ich bin nicht bereit, auf unseren Straßen und Plätzen NS-Parolen zuzulassen“, sagt der Grünen-Landespolitiker Sebastian Striegel, der Höcke damals angezeigt hat. Es sei unstreitig, dass Höcke immer wieder nationalsozialistisches Vokabular und Anspielungen benutze. Ursula Münch kritisiert die Anklage: „Diese Provokation seitens Höcke wiegt nicht schwer genug“, sagt sie dem RND. Dieses „Pulver“ einer Anklage hätte die Staatsanwaltschaft sich besser aufgespart „für seine wirklich starken Verfehlungen“.
Dass ein mögliches Gerichtsverfahren gegen Höcke die Zustimmung zur AfD reduzieren wird, glaubt auch Striegel nicht. Dafür sei etwas anderes nötig: „Wir Demokraten brauchen mehr innere Haltung. Unsere gemeinsame Grundhaltung muss sein: Das sind Rechtsextreme, das sind Verfassungsfeinde, die müssen wir konfrontieren. Jede Partei kann andere Antworten haben, wie sie das tut. Aber bei den Konservativen vermisse ich oft die Konsequenz, den Rechtsextremen die Stirn zu bieten.“
Bundeskanzler Olaf Scholz geht in die Erkläroffensive – kann die Ampelregierung Unzufriedene zurückholen?
AfD-Chef Tino Chrupalla hat zurzeit leichtes Spiel. „Wir brauchen diese Wärmewende überhaupt nicht“, sagte er diese Woche im Deutschlandfunk. Er stichelt gegen „grüne Ideologie“ und kündigt eine Kehrtwende in der Energiepolitik an. „Wir müssen überhaupt nichts, wir können auch die Klimaabkommen kündigen.“
Der Streit in der Regierungskoalition um das Heizungsgesetz führt dazu, dass Chrupalla sich entspannt zurücklehnen und quasi nebenbei fordern kann, „wieder russisches Öl und Gas“ in Deutschland zum Heizen zu nutzen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht in die Erkläroffensive und verspricht besseres Regierungshandeln: „Auf eines können sich alle verlassen: Ich zähle nicht zu denjenigen, die sich wegducken, wegdrücken, sondern ich beantworte die Fragen.“ Die Probleme würde jetzt verstärkt angegangen.
Politikwissenschaftlerin Münch ist skeptisch. Sie sagt dem RND: „Wenn aus dieser Ankündigung tatsächliches Regierungshandeln in den drängendsten Bereichen (Verteidigungspolitik, Klimapolitik, aber auch Infrastruktur und Digitalisierung) folgen würde und die entsprechenden Entscheidungen außerdem stimmig begründet würden, wäre das tatsächlich das beste Rezept. Aber im letzten Jahr war das nur selten zu sehen, und die meisten Leute scheinen das Vertrauen verloren zu haben, dass sich das nennenswert ändern könnte.“
Johannes Hillje hingegen hofft: „Probleme nachhaltig lösen und Lösungen gut kommunizieren, ist das beste Rezepte gegen Populismus. Effizientes Regieren sollte nun für die Ampel Priorität haben.“
Beendet ein Abflauen der Inflation den Höhenflug der AfD?
In den vergangenen Tagen sanken schon einmal die Preise für Molkereiprodukte in den Supermärkten – würde ein Rückgang der Inflation den AfD-Höhenflug stoppen? Ängste vor Statusverlust und Niedergang sind schließlich die Hauptgründe, die der Partei Wählerinnen und Wähler in die Arme treibt. „Ja, das würde vielen Leuten die dringende Sorge nehmen, sich trotz Erwerbstätigkeit das Leben nicht mehr leisten zu können“, sagt Ursula Münch. „Sinkende Lebenshaltungskosten würden also akute Ängste reduzieren und damit das Einfallstor für Extremisten (rechts und links) verkleinern.“
Bei vielen Menschen in Deutschland ist die Hoffnung, dass Lebensmittel bald wieder günstiger werden, allerdings gering. Nach einer aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung EY gehen 70 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher davon aus, dass die Preise bei Nahrungsmitteln weiter steigen werden. (RND)