Viele Grüne rebellieren gegen die gemeinsame europäische Asylpolitik. Selbst die Parteispitze zeigt sich gespalten. Dahinter verbergen sich grundsätzliche Probleme.
Analyse der ParteiAsylkompromiss und Heizungen – Woran die Grünen gerade scheitern
Bei den Grünen herrscht seit Donnerstagabend große Aufregung. Nachdem sich die Innenminister der Europäischen Union in Luxemburg auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem verständigt haben, hagelt es Protestnoten von beachtlicher Schärfe.
„Die deutsche Zustimmung war falsch“, sagte der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin der „Rheinischen Post“. „Europas Flüchtlingspolitik wurde auf ein Niveau der Schäbigkeit harmonisiert.“ Dabei hat die sozialdemokratische Bundesinnenministerin Nancy Faeser diese Zustimmung in enger Abstimmung mit der grünen Außenministerin Annalena Baerbock erteilt.
Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, erklärte, man müsse „von der gesamten Grünen-Führung jetzt erwarten, dass sie ihr Möglichstes tut, damit die Asylrechtsverschärfung in dieser Form nicht kommt“.
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Asylverfahren ans Außengrenzen: Ein Gegensatz zu ursprünglichen grünen Forderungen
Nur präsentiert sich die Grünen-Führung gespalten. Der Parteivorsitzende Omid Nouripour findet den Asylkompromiss vertretbar, die Co-Vorsitzende Ricarda Lang nicht. Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, die Baerbock-Vertraute Britta Haßelmann, sagt Ja, Co-Fraktionschefin Katharina Dröge sagt Nein. Dies sei keineswegs Taktik, um den Unmut in den eigenen Reihen zu kanalisieren, heißt es, sondern gebe die Meinung der Beteiligten wieder.
Ja, bei der Öko- und Menschenrechtspartei ist offener Streit ausgebrochen. Sie wirkt ratlos.
Asylverfahren an den Außengrenzen der EU stehen in krassem Gegensatz zu dem, was die Grünen immer wollten. Als der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) 2019 einen entsprechenden Plan unterbreitete, liefen sie dagegen Sturm. Baerbock war Parteivorsitzende, Robert Habeck stand an ihrer Seite und tut es vier Jahre später ebenfalls, nur als Vizekanzler.
Haben die Grünen zu viele zentrale Positionen aufgeweicht?
Beide hatten es an der Parteispitze geschafft, die Grünen zu befrieden. Das Flügelschlagen zwischen den Linken auf der einen und den Realos auf der anderen Seite hörte auf. Zugleich versuchten Baerbock und Habeck, die Grünen so breit wie möglich zu positionieren. Sie wollten nicht mehr nur Stammwähler. Sie wollten möglichst viele Wechselwähler. Sie wollten die Mehrheit – und das Kanzleramt.
Jetzt schlagen die Flügel erneut. Es wirkt wie eine allergische Reaktion auf den Zustand der Welt und die Zumutungen der Ampelkoalition, in der die Grünen Waffenlieferungen an die Ukraine ebenso akzeptierten wie verlängerte Atomlaufzeiten, aus der Reserve zurückgeholte Kohlekraftwerke und den Import von LNG-Gas, kombiniert mit der FDP-Blockade beim Klimaschutz. Der Asylkompromiss markiert die rote Linie.
Dabei ist klar: Wäre die Einigung in Luxemburg an einem Veto der grünen Außenministerin gescheitert, dann hätte die Partei noch viel mehr Ärger gekriegt – von der SPD, der FDP, der Union, den Kommunen und anderen EU-Staaten. Der Spielraum für humane, praktikable und mehrheitsfähige Lösungen ist minimal, erst recht, wenn Humanität für viele Beteiligte gar keine Rolle spielt.
Die Veränderungsbereitschaft ist geringer als von den Grünen angenommen
Die Partei stößt an die Grenzen der Wirklichkeit. Dies zeigt sich auch beim Konflikt um das Gebäudeenergiegesetz, bekannt als „Heizungsstreit“. Von handwerklichen Fehlern im Bundeswirtschaftsministerium abgesehen: Die Deutschen wollen Klimaschutz – aber nur, wenn er bequem zu haben ist. Das normale Konsumverhalten spricht da eine eindeutige Sprache. So gibt es in Deutschland so viele Autos wie noch nie. Es wird auch so viel geflogen wie lange nicht mehr.
Verzicht gegen Zukunft – diese Formel geht politisch nicht auf. Dass die Skyline von New York durch Rauchschwaden aus Kanada umhüllt wird, ändert daran ebenso wenig wie der Umstand, dass vielerorts das Wasser ausgeht. Es geht nämlich etwas anderes ebenfalls aus: die Vernunft.
So starteten die Grünen 2021 zwar mit dem Motto „Bereit, weil ihr es seid“ in den Bundestagswahlkampf. Es hieß: „Das Land, die Menschen und auch die Wirtschaft sind bereit für Veränderung. Bereit, die Dinge anders zu denken, anders zu machen, sodass am Ende alle profitieren.“ Doch das ist falsch. 2023 sehen sich die Grünen einem wachsenden Rechtstrend ausgesetzt. In Deutschland erstarkt die AfD. In der EU geben zunehmend rechtsgerichtete Regierungen den Ton an. Plötzlich wirken die Grünen nicht mehr wie Avantgarde, sondern wie ein Störfaktor.
Die Partei wird einen Weg finden, der sie aus dem Asylstreit herausführt. Es wird unisono heißen, man werde nun im EU-Parlament für Verbesserungen kämpfen. Tatsächlich ist ihr Problem größer, weil grundsätzlicher. Es lässt sich durch politische Technik nicht beheben.