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Kommentar zur MinisterinWarum Anne Spiegels Rücktritt unausweichlich war

Lesezeit 4 Minuten
Anne Spiegel Rückzug 100422

Jahrhundert-Flut: Grünen-Politikerin Anne Spiegel ist massiv in die Kritik geraten.

Im Ausnahmezustand. Anders lässt sich der Auftritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel am Sonntagabend nicht beschreiben. Die Grünen-Politikerin hat einen ungewöhnlich persönlichen, beinahe dramatischen Einblick in die ungeheure Spannung zwischen Beruf, politischer Karriere und familiärer Beanspruchung gegeben. In dieser Form war so etwas in Deutschland noch nicht zu erleben.

Der emotionale Auftritt, als Flucht nach vorn geplant, konnte die 41-Jährige nicht retten. Am frühen Montagnachmittag musste sich Spiegel dem politischen Druck – auch aus der eigenen Partei – beugen. Ihr Rücktritt ist nach dem fast verzweifelten Auftritt am Abend zuvor folgerichtig.

Die Szenen können niemanden unberührt lassen, der sie sich angesehen und angehört hat. Egal ob als alleinstehender oder Mensch mit Familie und kleinen Kindern: Man fühlte mit Anne Spiegel und ahnte das Ausmaß des inneren und äußeren Drucks.

„Es war zu viel“

Aber: Was die Ministerin zugleich und mehrfach selbst bekundete, war das Eingeständnis einer – buchstäblich – heillosen Überforderung. „Es war zu viel.“ Das galt bereits vor der Flutkatastrophe an der Ahr im Juli 2021, für deren Krisenmanagement sie als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz dann auch noch mitverantwortlich war. Vor der Landtagswahl hatte sie das Amt kommissarisch ausgeübt, zusätzlich zu ihrem Job als Landesfamilienministerin und Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Landtagswahl.

Schon das war zu viel, sagte Spiegel, auch und gerade aufgrund einer besonders herausfordernden Situation in der eigenen Familie mit einem schwer erkrankten Mann und vier kleinen Kindern mitten in der Corona-Pandemie.

Überforderung ist kein Versagen, keine Schande, erst recht nicht in einer Lage wie der von Anne Spiegel. Aber wer sich sehenden Auges so massiv überfordert, schadet damit nicht nur sich selbst und den Menschen, die einem nahestehen, sondern auch den Aufgaben im Beruf oder, wie bei einer Politikerin im Ministerrang, im Amt.

Geschönte Selbstdarstellung

Anne Spiegel scheint das selbst gespürt zu haben. Das beweisen ihre wiederholten Versuche, sich durch geschönte Selbstdarstellung nach der Flutkatastrophe in ein besseres Licht zu rücken. Und noch bis zum Wochenende mit der Anfrage nach ihrer Teilnahme an Flut-Krisensitzungen des Mainzer Kabinetts – galt ihre größte Sorge der Botschaft: „Ich war immer auf der Höhe. Ich hatte alles im Griff.“ Was eben nicht der Fall war.

Diese Diskrepanz, dieser Widerspruch lässt keinen anderen Schluss zu, als dass sich Anne Spiegel mit Amt, Familie und persönlicher Situation in eine heillose Überforderung manövriert hat. Sie hätte im Sommer 2021 und danach vieles anders machen müssen. Sie hätte vor dem Wechsel nach Berlin und ins Amt der Bundesfamilienministerin ihre Kräfte kalkulieren und sie ins Verhältnis zu ihren Mehrfachbelastungen setzen müssen.

Ähnliche Situationen, andere Konsequenzen

Schon vor Anne Spiegel gab es Politiker und Repräsentanten des öffentlichen Lebens, die in einer vergleichbaren Situation die Ämter zur Verfügung stellten, die sie innehatten: Der frühere SPD-Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering oder der frühere EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider traten zurück, weil sie sich durch Krebserkrankungen ihrer Frau jeweils so gefordert sahen, dass die Weiterführung ihrer Ämter sie über die eigenen Kräfte hinaus und damit über Gebühr gefordert hätte. Das wurde ihnen damals hoch angerechnet – und eben nicht als Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke gedeutet.

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Ein Festhalten am Amt wäre nach Spiegels Erklärung vom Sonntagabend noch problematischer gewesen als vorher. Zumal sie im gegenwärtigen Ausnahmezustand weitere Fehler gemacht hat – insbesondere mit ihren falschen Angaben zur Teilnahme an Kabinettssitzungen, die nur in ihrem Kalender standen.

Auch wenn sich Spiegels Fall nicht unmittelbar mit dem von NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) vergleichen lässt, an einem entscheidenden Punkt ist die Parallele eklatant: Beide haben menschlich nachvollziehbare Entscheidungen getroffen, die unter den gegebenen Umständen aber politisch verheerend falsch waren. Und sie haben ihre Fehler kommunikativ verlängert und nur auf Nachfrage scheibchenweise eingeräumt.

Die Konsequenz, die Heinen-Esser gezogen hat, war deshalb auch für Spiegel unausweichlich.