Die Schulen in NRW bereiten sich auf einen neuen Alltag vor. Die Änderungen sind umfassend: So soll es in diesem Jahr keine Sitzenbleiber geben. Und die Kitas werden die Notbetreuung erweitern.
Was steht bereits fest? Und welche offenen Fragen werden bis wann geklärt?
Unsere Reporter haben die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengetragen.
Düsseldorf/Köln – 16,7 Tage – diese Zahl führt bei NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) beim Presse-Briefing in der Staatskanzlei in Düsseldorf zu deutlich entspannten Gesichtszügen.
16,7 Tage ist der Wert vom Donnerstag. So lange dauert es inzwischen, bis sich die Corona-Infektionen in NRW verdoppeln. „Wenn das so weitergeht, werden wir im Gesundheitssystem des Landes keine Probleme bekommen“, sagt Laumann. Neben dem Gesundheitsminister erläutern Familienminister Joachim Stamp (FDP) und Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), was die beschlossenen Lockerungen in der Corona-Krise für NRW bedeuten.
Wie wird der Schulbetrieb wieder hochgefahren?
Die weiterführenden Schulen öffnen vom Montag bis Mittwoch kommender Woche zunächst nur für Lehrer, weiteres Schulpersonal und die Schulträger. Sie müssen innerhalb von drei Tagen die organisatorischen Bedingungen schaffen, die für die Wiederaufnahme des Schulbetriebs in der Corona-Krise erforderlich sind, zum Beispiel Raumnutzungskonzepte mit ausreichendem Abstand erstellen. Das hat Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am Donnerstag im Schulausschuss des Landtages mitgeteilt.
Sind drei Tage Vorbereitungszeit für die Schulen nicht zu wenig?
Aus Sicht der Ministerin nicht. Die Ausstattung der Schulen und die Hygienemaßnahmen seien Aufgabe der Schulträger, also der Kommunen. „Es ist die Pflicht der Kommunen, ihrem Auftrag nachzukommen. Die Schulträger mussten damit rechnen, dass Schulen am 20. April wieder öffnen. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass sie die Osterferien nutzen sollten, um sich darauf vorzubereiten.“
Wer muss ab Donnerstag dann wieder zum Unterricht?
Ab Donnerstag, 23. April, könnten dann angehende Abiturienten wieder in die Schulen gehen sowie Schüler, die vor mittleren Abschlüssen stehen. Das betrifft 148 000 Schüler der Jahrgangsstufen 10, 12 und 13, die freiwillig kommen können, von insgesamt 2,5 Millionen Schülern in NRW, sagt Gebauer. Es wird aber keinen klassischen Unterricht nach Stundenplan geben, wie er vor der Corona-Pandemie üblich war. Auch die Schüler, die vor Prüfungen in den Berufskollegs stehen, können wieder loslegen.
Warum freiwillig?
Es gehe darum, den Jugendlichen die Gelegenheit zu bieten, sich in den Schulen gezielt auf die Prüfungen vorzubereiten, sagt die Ministerin. Es gebe keinen Unterricht nach Stundenplan, sondern Angebote in den jeweiligen Prüfungsfächern. „Es wird auch Schüler geben, die sich lieber zuhause auf ihre Prüfungen vorbereiten möchten“, so Gebauer. „Es geht uns aber auch um die Kinder in schwierigen Lernsituationen zuhause. Alle sollen ein faires und gerechtes Angebot bekommen.“
Wird es in diesem Schuljahr noch einmal Unterricht für alle geben?
Bisher sind alle Schritte nur bis zum 4. Mai geplant. Danach sollen zumindest auch die Kinder der vierten Grundschulklassen wieder unterrichtet werden, weil sie am Ende des Schuljahres auf weiterführende Schulen wechseln und darauf vorbereitet werden sollen. Ob das Unterrichtsangebot nach dem 4. Mai auf alle oder wenigstens auf weitere Jahrgangsstufen ausgedehnt werden kann, wird von den Ministerpräsidenten der Länder in Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel entschieden. Das Vorgehen soll wie aktuell auch bundesweit einheitlich sein. Fest steht laut Gebauer schon jetzt, dass ein klassischer Unterricht wie vor der Corona-Krise bis zu den Sommerferien ausgeschlossen ist. Angestrebt sei aber, alle Klassen zumindest tageweise in die Schulen zu holen.
Warum nur tageweise?
Weil allein die hygienischen Vorgaben und der Infektionsschutz es erfordern, Klassen und Kurse deutlich zu verkleinern und neue Lerngruppen zu bilden. Überdies muss noch geklärt werden, wie viele Lehrkräfte überhaupt zur Verfügung stehen.
Lehrer, die älter sind oder zu einer Risikogruppe zählen, sollen vorerst nicht unterrichten. Wer genau zu den Risikogruppen zählt, soll in den nächsten Tagen bundesweit einheitlich definiert werden.
Was ist mit der Notbetreuung für die Jahrgangsstufen 1 bis 6?
Sie soll auf weitere Berufsgruppen erweitert werden. Welche das sind, wird am heutigen Freitag beraten.
Ist die Abitur-Vergabe ohne Prüfungen damit vom Tisch?
Nicht ganz. „Ich möchte Abschlüsse aufgrund von Prüfungen vergeben. Das ist jetzt möglich“, sagt die NRW-Schulministerin. „Nur für den absoluten Notfall brauchen wir andere Lösungen, die keiner von uns möchte. Sollte es dazu kommen, wird auch ein Abitur ohne Prüfung möglich sein“, so Gebauer weiter. Die wechselseitige Anerkennung der allgemeinen Hochschulreife hätten alle Bundesländer in der Kultusministerkonferenz zugesichert.
Was ist mit den Versetzungen?
Laut Gebauer wird es in allen Klassen, in denen Schüler keinen Abschluss erwerben, in diesem Schuljahr kein Sitzenbleiben geben. „Die Schüler werden auf jeden Fall in die nächsthöhere Klasse versetzt“, sagt die Schulministerin. Die Lehrer seien aber angehalten, in kritischen Fällen das Elterngespräch zu suchen. „Manchmal ist es auch gut, eine Klasse zu wiederholen. Das wird aber nicht als Sitzenbleiben gewertet, wenn damit kein Abschluss verbunden ist.“
Was sagen die Lehrer?
Der NRW-Lehrerverband begrüßt die Entscheidung von Bund und Ländern, die Schulen erst ab 4. Mai wieder zu öffnen. „Die Schulen brauchen Vorlaufzeit, um die geforderten hygienischen Standards umzusetzen. Viele Schulen müssen Seifenspender, Desinfektionsmittel oder Papierhandtücher erst einmal beschaffen“, sagt Präsident Andreas Bartsch.
Der Verband erwartet zudem, dass die Gesundheitsämter die hygienischen Bedingungen in den Schulen regelmäßig überprüfen. Hier seien hohe Standards anzusetzen, um die Risiken von Ansteckungen zu minimieren. „Das alles muss organisiert werden“, so Bartsch. Nach seinen Erfahrungen wolle das Gros der Schülerinnen und Schüler die Abiturprüfungen ablegen. „Ein Notabitur ohne Prüfungen ist für den weiteren Berufsweg und für Bewerbungen sicher nicht förderlich.“
Die Kitas öffnen vorerst nicht. Was bedeutet es für die Kinder, wenn sie jetzt für weitere Wochen nicht zurück in die Einrichtungen dürfen?
„Einerseits ist es richtig, Kinder möglichst nur im Notfall in die Kita zu schicken, weil es je nach Alter oder auch Größe der Gruppe schwierig ist, die Abstandsregeln und Hygienevorschriften einzuhalten“, sagt Nadia Kutscher, Professorin für Bildungsforschung an der Uni Köln. „Auf der anderen Seite kompensieren viele Einrichtungen der Kindertagesbetreuung das, was viele Familien nicht leisten können.“ Nicht alle Eltern seien in der Lage, ihre Kinder in dieser schwierigen Situation optimal zu beschäftigen. „Da stoßen auch Mütter und Väter, die nicht nebenher im Homeoffice arbeiten, an ihre Grenzen. Für die Kinder bedeutet die Betreuung zu Hause eine Einengung ihres Bewegungsspielraums. Wenn sie sich nicht austoben und mit Freunden auf dem Spielplatz herumbalgen können, steigt der Druck und es fehlen oft neben Bewegung auch Anregungsmöglichkeiten“, so Kutscher.
„Kinder, die keine Geschwister haben, trifft die Isolation je nach den Kompensationsmöglichkeiten der Familie besonders hart. Eine wochenlange Schließung der Einrichtung dient dem Gesundheitsschutz, dem Kindeswohl kann die Entscheidung aber auch abträglich sein.“
Wie sieht NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) das Kita-Problem?
Stamp dringt auf weitere Schritte zur Öffnung der Kitas für mehr Kinder. Er sei froh, dass Bund und Länder mit der geplanten Ausweitung der Notbetreuung auf weitere Bedarfsgruppen einen ersten Schritt gemacht hätten, sagt er am Donnerstag in Düsseldorf. Der Minister hatte vor den Bund-Länder-Gesprächen vorgeschlagen, die Kitas bereits in der übernächsten Woche wieder für den letzten Jahrgang vor der Einschulung zu öffnen. Der Vorschlag fand keine Zustimmung.
Gibt es Neues bei der Notbetreuung?
Stamp will die Notbetreuung in den Kindergärten auf zehn Prozent der Kinder ausweiten. Im vergangenen Monat hatte das Familienministerium gemeldet, dass nur zwischen 2,4 und 4,7 Prozent aller Kinder in den Kitas und der Kindertagespflege in der Notfallbetreuung sind. Die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin hatten sich am Mittwoch darauf geeinigt, die Gruppe, die das in Anspruch nehmen darf, auszuweiten. Dazu wollen Bund und Länder am Freitag in einer Telefonkonferenz eine Linie finden. Gültig werde die neue Regelung voraussichtlich am Donnerstag kommender Woche.