AboAbonnieren

BKA verzeichnet AnstiegPolitisch motivierte Delikte auf Höchststand - Faeser kritisiert AfD

Lesezeit 4 Minuten
Innenministerin Nancy Faeser gestikuliert an einem Rednerpult.

Innenministerin Nancy Faeser stellte die aktuelle Statistik des Bundeskriminalamts vor.

Reichsbürger, Rechtsextremisten, Klima-Aktivisten - 2022 hat die politisch motivierte Gewalt in Deutschland erneut zugenommen.

Die Zahl der politisch motivierten Straftaten hat im vergangenen Jahr zum vierten Mal in Folge zugenommen und damit einen neuen Rekord erreicht. Der Anstieg um rund sieben Prozent auf 58.916 Straftaten hängt nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) unter anderem mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zusammen. Dieser habe in Deutschland 2022 viele Menschen stark beschäftigt - auch aufgrund der Angst vor dadurch möglicherweise bedingten Versorgungsengpässen.

Zu Beginn des vergangenen Jahres spielten laut BKA noch Straftaten im Umfeld nicht-angemeldeter Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie eine Rolle - vor allem in Ostdeutschland.

Innenministerin sieht keine Radikalisierung bei Letzer Generation

Wie aus der Statistik, die BKA-Präsident Holger Münch und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag in Berlin vorstellten, weiter hervorgeht, zählte die Polizei auch deutlich mehr Delikte im Zusammenhang mit Klima- und Umweltschutz.

Alles zum Thema Letzte Generation

Hier verzeichnete das BKA einen Anstieg um knapp 73 Prozent auf 1716 Straftaten. Meistens ging es dabei um Sachbeschädigung, Nötigung, Bedrohung sowie um Verstöße gegen das Versammlungsgesetz oder um Hausfriedensbruch.

Der Klimaschutz sei zwar ein wichtiges Anliegen, das sie selbst auch teile, betonte Faeser. „Aber ich teile nicht, dass man dafür Straftaten begehen muss und dass andere Menschen verletzt werden“, fügte sie hinzu. Ihr mache es auch Sorge, „dass häufig Rettungswagen behindert werden“. Die Frage, ob sie bei der Gruppe Letzte Generation Radikalisierungstendenzen sehe, verneinte die Ministerin.

Hasskriminalität nimmt zu

Auch bei Straftaten im Bereich der sogenannten Hasskriminalität, die nach Einschätzung der Polizei aus „ausländerfeindlichen“, rassistischen oder als „fremdenfeindlich“ bezeichneten Beweggründen verübt wurden, war 2022 ein Anstieg zu beobachten. 340 Hass-Straftaten wurden zudem als „deutschfeindlich“ eingeordnet.

Die Zahl der antisemitischen Hass-Delikte sank zwar um knapp 13 Prozent, war allerdings mit 2641 Straftaten immer noch relativ hoch. Mehr als 80 Prozent der antisemitischen Straftaten wurden von der Polizei dem rechten Spektrum zugeordnet. „Zugleich sehen wir einen immer lauteren islamistisch geprägten Antisemitismus“, sagte Faeser.

Nancy Faeser kritisiert Jugendorganisation der AfD

Die Innenministerin warnte davor, Hass und Hetze zu verharmlosen. Sie verwies auf den starken Anstieg von Straftaten, die sich gegen Asylunterkünfte und Geflüchtete richteten. Dass diese Straftaten zugenommen hätten, habe etwas mit dem gesellschaftlichen Klima zu tun, sagte Faeser. Deshalb müsse man bei diesem Thema immer überlegen, „wie wird die Kommunikation geführt, und da will ich vor allem noch einmal nach rechts außen auch zur AfD zeigen“.

Da aus Worten oft Taten würden, sei sie auch froh, dass der Verfassungsschutz rechtsextremistische Gruppierungen klar benenne. „Da ist ja unter anderem die Jugendorganisation der AfD dabei“, sagte die SPD-Politikerin. Sie fügte hinzu: „Das sind wichtige Meilensteine“.

Straftaten von Reichsbürgern steigen um knapp 40 Prozent

Einen deutlichen Anstieg um knapp 40 Prozent auf 1865 Fälle verzeichnete die Polizei im vergangenen Jahr bei den von sogenannten Reichsbürgern und Selbstverwaltern verübten Straftaten. Den Schwerpunkt bildeten hier den Angaben zufolge Nötigungen, Bedrohungen und Beleidigungen. „Reichsbürger“ sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen.

Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu. Ende 2022 hätten noch etwa 400 „Reichsbürger“ über eine Erlaubnis zum Waffenbesitz verfügt, sagte Faeser. Um beim Entzug dieser Erlaubnisse schneller voranzukommen, müsse die von ihr vorgeschlagene Reform des Waffenrechts umgesetzt werden. Gegen Faesers Vorschlag gibt es unter anderem Bedenken beim Koalitionspartner FDP.

BKA verweist auf „anhaltende Gefährdungslage“

Obgleich die Zahl der Straftaten aufgrund religiöser Ideologie im vergangenen Jahr mit 481 Fällen in etwa auf dem Niveau des Vorjahres lag, betont das BKA in seinem aktuellen Bericht zur politisch motivierten Kriminalität das „Fortbestehen der anhaltend hohen Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus innerhalb Deutschlands“.

Knapp 42 Prozent der politisch motivierten Delikte wurden im vergangenen Jahr aufgeklärt. Die Quote lag in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Als „aufgeklärt“ gilt eine Straftat in der Statistik, wenn mindestens ein namentlich bekannter Tatverdächtiger ermittelt wird.

Rechte Angriffe auf Minderjährige nehmen zu

Laut der Jahresbilanz des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ereigneten sich 2022 täglich bis zu fünf rechte Angriffe alleine in den zehn Bundesländern, in denen Anlaufstellen für Betroffene diese systematisch erfassen. Einen besonders starken Anstieg habe es bei Angriffen auf Minderjährige gegeben, teilte der Verband am Dienstag mit.

Insgesamt 2861 Menschen seien in Ostdeutschland, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein direkt von politisch rechts motivierten Angriffen betroffen gewesen. Den Angaben zufolge waren das 520 betroffene Minderjährige in 2022. Im Jahr zuvor waren es 288 Kinder und Jugendliche.

Die Leiterin der Ombudsstelle der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung, Doris Liebscher, geht davon aus, dass es bei vielen Gewalttaten mit rechten, rassistischen und antisemitischen Motiven nicht zur Anzeige kommt. Außerdem würden die Motive von Polizei und Staatsanwaltschaft häufig nicht richtig erkannt. Richterinnen und Richter berücksichtigten diese oft bei der Strafzumessung nicht angemessen. (dpa)