Berlin – Ob das Hotel „Marlet“ in Sulden dereinst als „Sommerresidenz“ der zeitweise „mächtigsten Frau der Welt“ in die Geschichte eingeht? Zum siebten Mal hintereinander gönnt sich Angela Merkel eine Woche Erholung im Südtiroler Vinschgau. Konrad Adenauer, dessen Quartier in Cadenabbia heute als „Sommerresidenz“ des ersten Bundeskanzlers vermarktet wird, zog von Ende der 50er Jahre an zur Ferienzeit 18 Mal an den Comer See. Dann regierte er die Republik einen Monat von der Villa Collina im italienischen Cadenabbia aus.
Legendär die Bilder des alten Herrn mit Pepitahütchen auf der Boccia-Bahn oder beim Zuschnitt seiner Rosen. Politik derart demonstrativ mit Entspannung zu verknüpfen, könnte sich heute kein Regierender mehr leisten. Vier Wochen weg aus Berlin? Undenkbar! „Wandert sie noch oder regiert sie schon?“ wäre noch ein harmloser Kommentar. Adenauers Lässigkeit galt als Ausweis seiner Souveränität. Heute pflegt die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit lieber das Mitgefühl mit rastlos schaffenden Kanzlern. Merkels Vorgänger Gerhard Schröder ließ sich in einem Wahlkampf im Abendlicht am Schreibtisch abbilden. Politiker haben sich in aller Bescheidenheit zu verzehren für ihre Arbeit. Deshalb kam es gar nicht gut an, als Schröder in der Luxusvilla des hannoverschen Finanzjongleurs Carsten Maschmeyer urlaubte.
Sommerschloss für Helmut Kohl
Der letzte Kanzler, der sich leistete wie einst Kaiser und Könige ein Sommerschloss zu beziehen, war Helmut Kohl. Dabei war sein Domizil durchaus kleinbürgerlichen Zuschnitts und stand in St. Gilgen am Ufer des Wolfgangsees. Schon als Mainzer Ministerpräsident kam er hierher. Später brachte er wie einst Adenauer seine Entourage mit und regierte aus dem Salzkammergut – wie es ihm gefiel.
Er empfing in- und ausländische Politiker ebenso wie genehme Journalisten. Die Britin Margaret Thatcher war einmal „not amused“, als sie feststellen musste, dass der „wichtige Termin“ wegen dessen er ihr Gespräch beendet hatte, ein Besuch in der Konditorei Dallmann war. Der spätere Bild-Chefredakteur Kai Diekmann begann einen Bericht über seinen Besuch: „Der grüne Wolfgangsee gluckert, die Brombeersträucher tragen dicke schwarze Beeren“.
Kohl pflegte das Idyll aus Neigung wie Kalkül - einschließlich der Familienbilder mit wechselnden Tieren. Jedes Jahr die gleiche Show biederen Familienglücks. Sogar gefastet hat er hier immer wieder öffentlich und ohne nachhaltige Wirkung. Seine erste Frau Hannelore, die 2001 Selbstmord beging, offenbarte einmal einem Bekannten: „Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich das alles hasse.“
Urlaub auf 30 Quadratmetern
Anders als Adenauer oder Kohl versucht Angela Merkel Politik und Privates zu trennen. Fragen nach ihrem Urlaubsort werden traditionell nicht beantwortet, obwohl jeder weiß, dass sie nach ihrem Besuch bei den Bayreuther Wagner-Festspielen 1900 Meter hoch nach Sulden fährt. Besuch empfängt sie keinen außer dem Bergsteiger Reinhold Messner, der hier zu Hause ist (heuer hat sie ihn übrigens verpasst). 30 Quadratmeter misst das Appartement, das sie mit ihrem Mann Joachim Sauer bezieht. Der Begriff „Sommerresidenz“ passt dazu nur schwer. Immerhin: Von ihrer Terrasse aus können die beiden die Königsspitze und den Ortler sehen, zwei Fast-4000er.
Die knapp bemessene Freizeit will die Kanzlerin wirklich zur Erholung nutzen. Am besten gelingt ihr das beim Wandern, selbstverständlich wohl bewacht, in höheren Regionen. „Auf dem Berg muss man sich völlig konzentrieren“, hat Merkel einmal gesagt. „und denkt nicht an die Politik.“ Die kommt von allein wieder, wenn sie in Hotel zurückgekehrt ist. Selbstverständlich warten Mitarbeiter dann mit dem ein oder anderen „Vorgang“ auf. Und ihr Handy hat sie auch dabei. Die Griechenland-Krise hört ja nicht auf, nur weil Merkel in den Bergen ist. Zu den wichtigsten Gesprächspartnern zählte in diesem Jahr Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu wegen der neuen Strategie der Türkei gegenüber IS und PKK.
Am kommenden Mittwoch ist wieder Kabinettssitzung in Berlin. Bis dahin unterhält die Kanzlerin ihr Volk mit Bildern in herrlich schlumperten Freizeitklamotten, die Paparazzi „geschossen“ haben. Und während Merkel durch die Berge kraxelt, prophezeien ihr die Demoskopen daheim eine absolute Mehrheit.