AboAbonnieren

Chef der Münchner SicherheitskonferenzChristoph Heusgen: „Russland braucht die Deputinisierung“

Lesezeit 6 Minuten
Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und ehemaliger außenpolitischer Berater der früheren Bundeskanzlerin.

Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und ehemaliger außenpolitischer Berater der früheren Bundeskanzlerin.

Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz setzt auf eine Entwicklung in Russland wie seinerzeit die Denazifizierung in Deutschland.

Christoph Heusgen hofft auf vertrauliche Gespräche zwischen den Delegationen aus den USA und China, die am Wochenende zur Sicherheitstagung nach München kommen und auf Anstöße zu Friedensgesprächen für die Ukraine.

Herr Heusgen, an diesem Wochenende kommen in München wieder Hunderte internationale Spitzenpolitiker zur Münchner Sicherheitskonferenz – aber keine Vertreter der russischen Regierung von Kremlchef Wladimir Putin. Sie wollen Moskau keine Bühne vor Kriegspropaganda geben. Ist das nicht eine verpasste Chance für das Ausloten von Friedensgesprächen für die Ukraine?

Wir haben uns das nicht leicht gemacht. Man kann russische Vertreter einladen, wenn man die Hoffnung hat oder auch nur einen Ansatz spürt, dass man einer Verhandlungslösung näherkommt. Die Äußerungen von Wladimir Putin bieten aber keinerlei Bewegungsspielraum. Er vertritt Maximalpositionen. Und sein Außenminister Sergej Lawrow, der normalerweise nach München kommen würde, ist nur Putins Lautsprecher. Uns ist die Münchner Sicherheitskonferenz als Plattform für Kreml-Propaganda zu schade.

Hat Russland auf die Absage reagiert?

Ich bin im Internet beschimpft worden. Aber das kann ich ertragen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Wir müssen natürlich alles versuchen, um weiterzukommen. Es hat auch schon Gespräche gegeben, die zu einem Gefangenenaustausch führten oder zu den dringend nötigen Getreidelieferungen. Wir haben aber von keiner Seite die Bitte bekommen, offizielle russische Vertreter nach München einzuladen. Es wird eine Reihe von Vertretern der Zivilgesellschaft, von Menschen, die aus Russland geflüchtet sind, nach München kommen …

… die keinen Einfluss auf Friedensgespräche haben.

Wir wollen die Kritik aus dem Land hören. Und wir müssen überlegen, wie wir mit einem späteren Russland umgehen werden. Russland wird bleiben. Aber es gibt ein Russland nach Putin. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Wir wollen mit Russland auch wieder zusammenarbeiten. Der Unternehmer Michail Chodorkowski, der vor Jahren auch mit deutscher Hilfe aus russischer Haft freikam, hat einmal gesagt: Putin hat eine Sache vergessen – er ist sterblich.

Sie haben ein Buch über Führung und Verantwortung Deutschlands geschrieben. Darin sprechen Sie mögliche diplomatische Initiativen in der Nach-Putin-Ära an. Wie lange wird Deutschland brauchen, sein Verhältnis zu Russland nach Kriegsende neu aufzubauen?

Wir haben zu Russland ein besonderes Verhältnis. Deutschland ist verantwortlich für 20 Millionen Tote auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Wir haben Russland die Wiedervereinigung zu verdanken und im Laufe der Geschichte hat auch der Handel zur Entspannung beigetragen. Wir haben aber die Zeichen der Zeit nicht richtig gedeutet, vor allem was die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 betrifft. Aber grundsätzlich haben Deutsche und Russen über die Jahrhunderte hinweg gute Beziehungen zueinander unterhalten. Darauf kann man aufbauen.

Wie?

Die Frage ist: Mit welchem Russland werden wir es nach Putin zu tun haben? Wir sehen, wie systematisch Putins Desinformation über diesen Angriffskrieg in das eigene Land wirkt, wie er die eigene Öffentlichkeit manipuliert. Die Menschen sollen seine Erzählung glauben, dass es einen Angriff des Westens gibt und die Nazis Russland wieder überfallen. Ich habe das die Deputinisierung genannt, die notwendig ist, was nicht einfach sein wird.

Wohl schon deshalb nicht, weil Sie in Ihrem Buch eine „Deputinisierung“ in eine Linie mit der Denazifizierung in Deutschland stellen, was Russland als Provokation empfindet dürfte.

Der große Unterschied ist, dass Deutschland besetzt war und mit der Kraft der Alliierten zu dem Staat nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, der er heute ist. Das wird in Russland voraussehbar anders sein. Ich benutze den Begriff Deputinisierung, weil dieses Land total auf Putin ausgerichtet ist. Er ist der Machthaber, der alle Entscheidungen trifft und auch entscheidet, was in den russischen Medien läuft. Diese Dimension möchte ich deutlich machen.

Wäre Angela Merkel eigentlich eine mögliche Vermittlerin in dem Russlandkonflikt mit der Ukraine?

Angela Merkel war eine der wenigen Personen, die einen Einfluss auf Putin hatte. Während der Corona-Pandemie hatte die Bundeskanzlerin aber zwei Jahre lang keinen direkten Kontakt mehr zu ihm. Diktatoren hören nicht auf ihre Mitarbeiter, sind abgeschottet und ein Videocall ersetzt keine persönliche Begegnung. Putin hat einen Tunnelblick. Ich wäre derzeit vorsichtig mit Vermittlungsversuchen. Es ist fraglich, ob da etwas erreicht werden kann. Es muss zunächst sehr viel in Russland selbst passieren.

Sie sind ein überzeugter Transatlantiker. Wird sich die Sicherheitskonferenz mit Ihnen wieder wie früher mehr den USA, dem Westen, zuwenden und die Konfrontation mit dem Osten suchen – um es stark vereinfacht auszudrücken?

Wir sind sehr stolz, dass rund ein Drittel des US-Senats nach München kommt. Natürlich ist die transatlantische Achse das Fundament unserer Sicherheit. Ich will mir nicht vorstellen, wo Putin heute ohne das Engagement der Amerikaner in Europa stehen würde. Wir müssen als Europa aber mehr Verantwortung übernehmen. Und deshalb ist es genauso wichtig, dass wir uns mehr um den globalen Süden kümmern – von Südafrika bis Brasilien und Südkorea und China.

Stichwort China. Putin bekommt in seinem Krieg gegen die Ukraine Rückendeckung von Peking. Wenn jemand auf Putin Einfluss nehmen könnte – wäre das nicht eben China? Könnte es vertrauliche Gespräche mit der chinesischen Delegation in Hinterzimmern in München geben?

Ich hoffe sehr. Wir freuen uns, dass neben der US-Delegation auch der chinesische Staatsrat und ehemalige Außenminister Wang Yi kommt. Es gibt viele Spannungen zwischen beiden Seiten. Wir hoffen, dass sie die Gelegenheit nutzen, um abseits von Kameras und öffentlichen Erwartungen zusammenzukommen. Das wäre wunderbar.

China spioniert die ganze Welt aus – wie muss man sich das am Tagungsort, im Luxushotel Bayerischer Hof, vorstellen? Treffen Sie da Sicherheitsvorkehrungen, dass China nichts abschöpfen kann?

Das verrate ich jetzt nicht. Natürlich haben wir unsere eigenen Maßnahmen und die Delegationen, die in München sind, sind auch nicht naiv.

Auch der Iran, wo Freiheitsproteste brutal niedergeknüppelt werden und Menschen gefoltert und hingerichtet werden, hat keine Einladung von Ihnen bekommen. Teheran sagt, falls das Ziel der Konferenz globaler und regionaler Frieden sei, seien derartige Ausgrenzungen ein Verstoß gegen die politische Neutralität der Konferenz. Sind Sie zur Neutralität verpflichtet?

Wir sind nicht zur Neutralität verpflichtet. Wir haben in der Vergangenheit iranische Vertreter eingeladen. Da war auf Fortschritte beim Nuklearabkommen gesetzt worden. Das ist jetzt nicht der Fall. Die Münchner Sicherheitskonferenz möchte Frieden durch Dialog. Auch hier gilt: Sollen wir dem Mullah-Regime eine Plattform bieten? Nein, da sind wir nicht neutral.

Trotzdem die Frage: Wird sich die Konferenz ihren Charakter eines kritischen Austauschs – auch wenn es wehtut – bewahren?

Es werden in diesem Jahr so viele Länder wie noch nie vertreten sein. Vielleicht haben wir uns in der Vergangenheit ein bisschen zu sehr auf die Länder Europas konzentriert. Um die regelbasierte Ordnung umzusetzen, brauchen wir auch den globalen Süden. Uns geht es auch als Münchner Sicherheitskonferenz darum, einen Beitrag zur Umsetzung der UN-Charta zu leisten.