Berlin – Knapp elf Monate ist er Bundesfinanzminister, seither muss Christian Lindner diverse Krisen managen und Gelder für Hilfspakete, Corona-Maßnahmen und die Energiekrise locker machen. Dadurch ist der FDP-Politiker gezwungen, an anderer Stelle Geld einzusparen.
Laut einem Bericht der „Zeit“ soll Lindners Finanzministerium dabei allerdings nun einen gewagten Schritt gegangen sein, in dem es versucht haben soll, bei Zahlungen an Holocaust-Überlebende Geld zu sparen.
„Zeit“ erhebt schwere Vorwürfe gegen Christian Lindner und Finanzministerium
Seit 1952 entrichtet die Bundesregierung jährlich sogenannte Wiedergutmachungsleistungen für die Opfer des Holocaust. Wie hoch diese Summe ist, wird bei der Jewish Claims Conference verhandelt. Genau dort soll es dem „Zeit“-Bericht nach zum Affront gekommen sein, da Christian Lindner dem Verhandlungspartner deutlich weniger als in der Vergangenheit offeriert haben soll. Dies soll in der Folge sogar internationale Spannungen ausgelöst zu haben.
In dem Medienbericht wird geschildert, dass Lindner die Forderungen der Jewish Claims Conference für Holocaust-Überlebende als überzogen bezeichnet habe. Die Verhandlungen der deutschen Bundesregierung sind eigentlich ein Routinevorgang, jedes Jahr wird eine Summe festgelegt. Seitdem die Bundesrepublik und der Staat Israel vor 70 Jahren das Luxemburger Abkommen unterzeichneten, einigten sich beide Seiten in der Regel schnell und ohne Komplikationen.
Wegen Schuldenbremse bei Zahlungen an Holocaust-Opfer sparen?
Nicht so in diesem Jahr, wie vertraute Quellen der „Zeit“ verraten haben wollen. Demnach das Finanzministerium mit der schwindenden Anzahl der Holocaust-Überlebenden argumentiert und deswegen – und wegen der anvisierten Schuldenbremse im kommenden Jahr – mit seiner Vorstellung für Irritationen bei der jüdischen Organisation gesorgt. Die verhandelte Summe wird auch für Erinnerungsarbeit aufgewendet.
Diese Haltung bei der Jewish Claims Conference hätte aber nicht nur Irritationen bei den jüdischen Verhandlungspartnern, sondern auch innerhalb der Bundesregierung und den Regierungen in Jerusalem, London und Washington ausgelöst.
Anthony Blinken schrieb Brief an Christian Lindner
Der amerikanische Außenminister Antony Blinken soll sich laut Bericht sogar persönlich eingemischt haben und in einem Brief an den Bundesfinanzminister darum gebeten haben, die Verhandlungen zwischen der Jewish Claims Conference und der Bundesregierung zu einem vernünftigen Abschluss zu bringen.
Wörtlich wolle sich die USA dafür einsetzen, den Holocaust-Opfern „ein Mindestmaß an Anerkennung und Würde“ zu verschaffen. „Ich bitte Deutschland dringend, seinen Verpflichtungen nachzukommen und die Finanzierung der Claims Conference sicherzustellen, wie es auch in der Vergangenheit geschehen ist“, zitiert der Bericht aus dem Brief.
Christian Lindner äußert sich zu Bericht in der „Zeit“
Lindner äußerte sich kurz darauf zu dem Bericht. Im Interview mit der „Zeit“ äußerte er die Sorge, dass der Artikel die Diskussion über Qualitätsjournalismus anfeuern könne. Denn er gäbe nicht die Tatsachen wieder. „Dazu ist zu sagen, dass diese regelmäßig wiederkehrenden Verhandlungen geführt worden sind auf Staatssekretärsebene – also nicht von mir. Und dass auch andere Ressorts wie das Auswärtige Amt beteiligt waren.“
Man habe sich bei den Verhandlungen auf 1,2 Milliarden Euro, „das ist mit die höchste Zahlung, die jemals zugestanden ist“, so Lindner. Obwohl die Zahl der Betroffenen im Jahr 2023 geringer sei, als in den Vorjahren. „Es gab allerdings auch Forderungen, denen wir nicht nachgeben konnten“, gesteht Lindner. Das habe aber nichts mit der Schuldenbremse zu tun gehabt.
Christian Lindner räumt ein, Brief erhalten zu haben
Konkret meinte Lindner damit sogenannte Leibrenten, die an Opfer des Holocausts gezahlt werden. Dem Wunsch der Jewish Claims Conference, diese Leibrenten deutlich auszuweiten, sei nicht nachzukommen gewesen. Die in „weniger schwerem Ausmaß Opfer des Nationalsozialismus waren“, erhielten weiter Einmalzahlungen und keine Leibrenten, so Lindner. „Dem konnten wir schon aus Rechtsgründen nicht folgen.“
Dass er einen Brief erhalten habe, leugnete der FDP-Politiker nicht. Diese seien allerdings Usus. „Solche Briefe wurden immer geschrieben, auch bei früheren Verhandlungen“, so Christian Lindner.
1,2 Milliarden Euro seien von seiner Staatssekretärin bereits verhandelt worden, Lindner hätte im Nachhinein noch einmal um 180 Millionen Euro aufgestockt, angesichts der momentanen Krisen. „Wenn das Ergebnis der Recherche schon feststeht, bevor der eigentliche Betroffene gefragt wird, ist das keine Zierde für unsere Medienlandschaft“, äußerte er deutliche Kritik an der „Zeit“-Recherche.