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Staatsrechtler„Jede Woche will eine andere Gruppe vorrangig geimpft werden“

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Impfzentrum Köln dpa

Impfzentrum in Köln

  1. Thorsten Kingreen, geb. 1965, ist Professor für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht an der Universität Regensburg.

Herr Professor Kingreen, die Reihenfolge der Corona-Impfungen in Deutschland ist an eine politisch festgelegte Priorisierung besonders bedürftiger Gruppen gekoppelt. Lehrerinnen oder Erzieher standen bislang nicht oben auf der Liste, obwohl Schulen und Kitas jetzt mehr und mehr öffnen sollen. Der Impfstoff der Firma Astrazeneca darf nur an Jüngere verimpft werden, fällt also für die höher priorisieren Älteren aus. Passen die Regeln noch zur Realität?Thorsten Kingreen: Die Diskussion darüber kommt zur Unzeit. Man hätte sie im vorigen Jahr führen und die Priorisierung dann in einem Parlamentsgesetz statt in einer Verordnung regeln sollen. Ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren beteiligt die Opposition, ermöglicht Partizipation der Zivilgesellschaft durch Anhörungen von Verbänden und Qualitätssicherung des Rechts durch Beteiligung von Sachverständigen. In der Verfassungsrechtswissenschaft wird es verbreitet für verfassungswidrig erachtet, dass die Priorisierung nicht durch ein Gesetz erfolgt ist. Stattdessen lädt man normativ-ethische Entscheidungen bei der Ständigen Impfkommission ab, die dafür überhaupt keine Legitimation hat.

Warum sollte man angesichts neuer Lagen und Erfordernisse einmal getroffene Entscheidungen nicht noch einmal neu diskutieren und dann womöglich auch revidieren?

Es ist für das Vertrauen in die Impfgerechtigkeit nicht besonders günstig, wenn jede Woche eine andere Gruppe mit mehr oder weniger guten Gründen fordert, vorrangig geimpft zu werden. Vorletzte Woche waren des die Vertragsärzte, diese Woche die Lehrkräfte und irgendwann wird auch jemand auf die Idee kommen, dass jetzt mal Hochschullehrer geimpft werden müssten.

Das Festhalten am Bestehenden ist eine Frage der Opportunität mit Blick auf den gesellschaftlichen Frieden?

Es darf jedenfalls nicht der Eindruck entstehen, dass sich die durchsetzen, die am lautesten schreien oder die stärkste Lobby haben. Und wer jetzt sagt, „wir sollten eher dran sein“, der müsste eigentlich auch dazusagen, wer sich dafür dann weiter hinten anstellen muss. Ganz konkret: Jede Veränderung in der Impfabfolge ginge – sofern es nicht den Impfstoff von Astrazeneca betrifft – zulasten der 70-79-Jährigen, die nach den geltenden Regeln jetzt an sich an die Reihe kämen. Dafür gibt es auch sehr gute Gründe, denn das Lebensalter ist nach wie vor das größte Risiko für schwere bzw. tödliche Verläufe. Damit ich nicht missverstanden werde: Lehrkräfte haben ja durchaus gute Gründe für ihren Ruf nach vorrangiger Impfung. Aber gute Gründe haben im Moment sehr viele. Zu viele, solange es nicht ausreichend Impfstoff gibt.

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Astrazeneca erweist sich als Ladenhüter. Aber wenn jemand sich danach drängelt, drohen hohe Strafen. Wie passt das denn zusammen?

In dieser Phase der Impfstoffknappheit kann es nicht sein, dass Menschen meinen, sie könnten sich den Impfstoff aussuchen. Ich halte das für hochproblematisch, gerade mit Blick auf diejenigen, die gerne geimpft werden würden, aber noch nicht dran sind. Wir werden die Pandemie doch als Gesellschaft nur in den Griff bekommen, wenn möglichst schnell möglichst viele Menschen geimpft werden. Impfstoffe wie Astrazeneca, die bislang für Ältere nicht empfohlen werden, können bereits nach geltendem Recht an Menschen aus der Prioritätsgruppe 2 verimpft werden. Dazu gehören jetzt auch Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen und das KiTa-Personal. Die Hauptschwierigkeit mit Astrazeneca ist ja ohnehin nicht, dass ihn manche Leute nicht haben wollen, sondern dass man offenbar nicht darauf vorbereitet war, flächendeckend bereits Personen aus der Prioritätsgruppe 2 zu impfen. Aber auch das ist eben ein Anwendungsproblem und nicht eine Frage der Änderung des geltenden Rechts.

Und die „Impfdrängler“?

Hier besteht Regelungsbedarf. Jedes Impfzentrum und jede sonstige impfende Einrichtung (wie etwa Krankenhäuser und Pflegeheime) muss verpflichtet werden, Wartelisten zu führen. Damit stellt man sicher, dass bei übrig gebliebenem Impfstoff diejenigen geimpft werden, die dran sind und nicht „rein zufällig“ Bischöfe, Bürgermeister, Amtsleiter oder Geschäftsführer von Pflegeeinrichtungen inclusive Familienmitgliedern.

Wie jetzt gerade im Fall des FDP-Landtagsabgeordneten Ralph Bombis und seinem „Umfeld“.

Das ist nicht nur unanständig, sondern auch rechtswidrig. Bei Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen benötigen wir daher dringend Dokumentationspflichten, die verhindern, dassPersonal ohne unmittelbaren Patientenkontakt geimpft wird. Das bedeutet zwar einen Zusatzaufwand. Aber wenn nach wie vor täglich Menschen sterben, weil sie nicht rechtzeitig Impfstoff bekommen, sollte es uns das wert sein.