AboAbonnieren

Coronavirus grassiert in weiteren Heimen

Lesezeit 5 Minuten

Wolfsburg/Berlin – Das Coronavirus verbreitet sich zunehmend auch in Altenheimen in Deutschland. Nach dem Tod von 17 infizierten Menschen in einem Alten- und Pflegeheim in Wolfsburg kämpft ein weiteres niedersächsisches Heim mit Infektionen.

Tests hätten bestätigt, dass 23 Bewohner sowie 17 Mitarbeiter eines Altenheims in Wildeshausen im Landkreis Oldenburg mit dem Erreger Sars-CoV-2 infiziert seien, teilte der Landkreis am Montag mit.

Im Würzburger Seniorenheim St. Nikolaus starben erneut drei mit dem Coronavirus infizierte Menschen. Es handele sich um zwei Frauen im Alter von 105 und 94 Jahren sowie einen 88 Jahre alten Mann, teilte das Landratsamt Würzburg am Abend mit. Alle drei hätten unter schweren Vorerkrankungen gelitten.

Alles zum Thema Christian Drosten

Erst am Sonntagabend hatte das Heim den Tod eines 80-Jährigen gemeldet. Insgesamt sind im Raum Würzburg 17 Menschen nach einer Covid-19-Erkrankung gestorben, ein Großteil davon in der Senioreneinrichtung. Die übrigen positiv auf das Virus getesteten Bewohner des Heimes wurden am Wochenende auf Stationen innerhalb der Einrichtung isoliert.

Aus Sicht des Virologen Christian Drosten markieren die Fälle in deutschen Pflegeheimen eine neue Phase in der Epidemie, die auch mit mehr gemeldeten Todesfällen einhergeht. „Wir sehen jetzt in diesen Tagen die Eintragungen zum Beispiel in Seniorenpflegeheime und haben hier dann den Beginn einer neuen Entwicklung”, sagte Drosten am Montag im NDR-Podcast.

Bisher habe Deutschland auch ein bisschen Glück gehabt: Infiziert hätten sich zunächst vor allem jüngere, sportliche Leute wie Skifahrer, die das Virus aus dem Urlaub eingeschleppt und es in ihren ungefähr gleichaltrigen Netzwerken verbreitet hätten. Diese Menschen erlebten zum größten Teil milde Krankheitsverläufe.

Wegen mehrerer Effekte gleichzeitig werde man jetzt zwangsläufig ein Ansteigen der berichteten Fallsterblichkeit sehen, sagte Drosten. Man sehe das jetzt schon an der Statistik: Sie liege nicht mehr bei 0,2 bis 0,4, sondern im Bereich 0,8 Prozent. Das liege daran, dass andere Altersgruppen als bisher von Sars-CoV-2 betroffen seien. Hinzu komme, dass man bei der Diagnostik nicht mehr einer exponentiellen Entwicklung hinterherkommen könne: „Ich glaube nicht, dass wir unsere jetzige Testkapazität realistischerweise noch deutlich steigern können”, sagte Drosten mit Blick auf PCR-Tests.

Davon könnten derzeit mehr als eine halbe Million pro Woche in Deutschland gemacht werden. Er sei aber unsicher, wie lange die Industrie dem großen Bedarf an Laborreagenzien noch nachkommen könne, so der Charité-Virologe.

Patientenschützer fordern angesichts der Coronavirus-Fälle in den Heimen dort engmaschige Tests. Bei der Aufnahme eines Bewohners in einem Heim müsse dieser grundsätzlich getestet und isoliert werden, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der dpa.

Auch bei grippalen Infekten von Pflegepersonal oder Bewohnern müsse getestet werden. Bundesweit lebten rund 800.000 Menschen in Alten- und Pflegeheimen, mehr als 70 Prozent davon seien demenzkrank.

Sei das Coronavirus erst in einer Pflegeeinrichtung, müsse die jeweilige Kommune diese sofort überwachen, forderte Brysch. Dann habe man nicht länger „100 Hausärzte, die sich um 100 Bewohner kümmern”, sondern das Gesundheitsamt übernehme. Ohne Schutzkleidung, Atemmaske, Desinfektionsmittel und Handschuhe „braucht man im Pflegeheim nicht anzufangen”. Bislang seien bundesweit mindestens 50 Menschen in Alten- und Pflegeheimen gestorben. Die Gefahr neuer Fälle sei groß.

Eine Strafanzeige gegen Verantwortliche der Diakonie Wolfsburg wegen fahrlässiger Tötung halte er nicht für sinnvoll, sagte Brysch. „Wer diese Krise zu verantworten hat, der sitzt in Berlin.” Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte zuvor am Montag den Eingang einer Anzeige eines Wolfsburger Anwalts bestätigt.

Das Land Niedersachsen ordnete inzwischen einen Aufnahmestopp für Pflegeheime an. Ausnahmen gebe es nur, wenn eine 14-tägige Quarantäne für neue Bewohner gewährleistet sei, sagte Gesundheitsministerin Carola Reimann. Die SPD-Politikerin appellierte zudem an Angehörige, auf Besuche älterer Angehöriger zu verzichten. „Bitte besuchen Sie Ihre Lieben nicht. Damit schützen Sie nicht nur Ihre eigene Mutter oder Ihren eigenen Vater, sondern alle.” Es gebe viele Hinweise, dass die Besuchsverbote für solche Heime nicht beachtet worden seien.

Bei den meisten der 17 im Wolfsburger Heim gestorbenen Menschen sind vor dem Tod keine Covid-19-Symptome aufgetreten. „Am Sonntag hatten wir insgesamt 79 positive getestete Personen in dem Heim”, sagte Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Dieter Mohrs (SPD). In dem Haus, in dem überwiegend Demenzkranke leben, sollten Infizierte strikt von negativ getesteten Bewohnern getrennt werden.

Im Heim von Wildeshausen habe das Gesundheitsamt alle 51 Bewohner und 44 Mitarbeiter getestet, nachdem ein 89-Jähriger mit schweren Vorerkrankungen und einer Coronavirus-Infektion gestorben sei, teilte der Kreis Oldenburg mit. Bei allen anderen Erkrankten seien bislang milde Verläufe festgestellt worden. Die infizierten Bewohner bleiben den Angaben zufolge für zwei Wochen in ihren Zimmern und werden von ebenfalls positiv getesteten Mitarbeitern versorgt - strikt getrennt von negativ getesteten Bewohnern, die in Einzelzimmern untergebracht seien und von negativ getesteten Mitarbeitern versorgt würden.

Landespolitiker blicken inzwischen auf die Kurve der gesamten Infektionszahlen: Ob sich das Verbreitungstempo bei den Ansteckungen mit dem Coronavirus in Berlin bereits verringert, lässt sich nach Einschätzung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) derzeit nicht seriös feststellen. Ähnlich sieht es Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann. Dass die Zahl der bestätigten Neuinfektionen in Niedersachsen in den vergangenen Tagen leicht zurückging, führte die SPD-Politikerin auf das Wochenende zurück, an dem weniger getestet und gemeldet worden sei.

Die Landesregierung von Schleswig-Holstein will auf die Zahlen in den kommenden Wochen schauen. „Auf dieser Grundlage werden wir zu beurteilen haben, in welcher Weise diese Maßnahmen über den 19. April hinaus fortgeführt werden müssen”, sagte uns MP Daniel Günther am Wochenende. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betonte dagegen, dass die Ausgangsbeschränkungen erste Wirkungen zeigten, „die Kurve flacht ab”. Derzeit verdopple sich die Zahl der Infizierten in Bayern alle 5 Tage, vor den Maßnahmen habe sich die Zahl alle 2,8 Tage verdoppelt.

„Die eigentliche, endgültige Beurteilung über die Wirksamkeit und die Fortsetzung der entsprechenden Maßnahmen können wir am Ende wahrscheinlich erst Mitte April treffen”, betonte Söder jedoch. „Wir haben uns vereinbart unter den Bundesländern, dass wir dies zusammen tun.” Das gemeinsame Vorgehen sei wichtig, da die Folgen nationale Auswirkungen haben würden. Es gebe keinen Anlass zu Entwarnung, es sei deshalb nicht die Zeit für einen vorschnellen Exit oder eine entsprechende Debatte. „Eine Exit-Debatte, so verständlich sie sein mag, ist jetzt zur Unzeit.” (dpa)