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Erstmals seit Taliban-MachtübernahmeDeutschlands Abschiebung nach Afghanistan – Ein Charterflug und viele offene Fragen

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Der Flughafen Leipzig/Halle, aufgenommen aus einer Passagiermaschine.

Der Flughafen Leipzig/Halle, aufgenommen aus einer Passagiermaschine. Viele Fragen sind offen, nachdem die Bundesregierung am Freitagmorgen zum ersten Mal seit der erneuten Machtübernahme der Taliban im August 2021 Menschen nach Afghanistan abgeschoben hat. (Archivbild)

28 Straftäter wurden am Freitag von Leipzig nach Kabul geflogen. Zu den Details der Abschiebung bleiben einige Fragen offen.

Gut drei Stunden haben Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundespolizeipräsident Dieter Romann den Abgeordneten im Innenausschuss des Deutschen Bundestages Rede und Antwort gestanden.

Viele Fragen sind offen, nachdem die Bundesregierung am Freitagmorgen zum ersten Mal seit der erneuten Machtübernahme der Taliban im August 2021 Menschen nach Afghanistan abgeschoben hat. Faeser sagt, als sie anschließend am Nachmittag vor die Presse tritt, aber nur wenig:

Bundesregierung schiebt nach Afghanistan ab: „Wir haben das Recht durchgesetzt“

„Sie haben gesehen, dass wir das Recht durchgesetzt haben und Straftäter aus Afghanistan zurückgeschoben haben. Aus meiner Sicht ist das notwendig, damit das Vertrauen weiter existiert in den Rechtsstaat und ich bin froh, dass wir das mit Partnern vollziehen konnten“, sagt sie und fügt noch hinzu, dass es keine direkten Kontakte mit den Taliban gegeben habe.

Um kurz vor 7 Uhr war am Morgen ein Charterflieger mit 28 verurteilten afghanischen Straftätern an Bord von Leipzig nach Kabul gestartet. Die Männer waren aus elf Bundesländern zum Flieger gebracht worden, zum Teil direkt aus der Haft.

Drei der Männer kamen laut Angaben des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) aus Bayern – bei zwei davon handelt es sich demnach um verurteilte Sexualstraftäter. Zwei aus Sachsen-Anhalt Abgeschobene waren ebenfalls wegen Sexualstraftaten inhaftiert – wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen.

Fünf Männer wurden aus Baden-Württemberg abgeschoben – allesamt „schwere Straftäter“, wie das Migrationsministerium des Landes mitteilte. Einer der Abgeschobenen hatte demnach 2019 gemeinsam mit drei anderen Tätern eine damals 14-Jährige in Illerkirchberg vergewaltigt. Der Fall hatte bundesweit für einen Aufschrei gesorgt.

Ursprünglich sollten sogar 33 Afghanen abgeschoben werden, heißt es aus dem Bundestags-Innenausschuss. In fünf Fällen habe es aber kurzfristige „Stornos“ gegeben. Drei Männer seien von den Landesjustizbehörden nicht zur Abschiebung freigegeben worden, zwei Männer, die nach einer Haftstrafe bereits auf freiem Fuß waren, seien nicht angetroffen worden. Alle Abgeschobenen hätten mindestens zwei Drittel ihrer Haftstrafe verbüßt.

Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete den Abschiebeflug bei einem Wahlkampftermin in Leipzig am Freitagvormittag als „klares Zeichen“. „Wer Straftaten begeht, kann nicht darauf rechnen, dass wir ihn nicht abgeschoben kriegen, sondern wir werden versuchen, das zu tun, wie man in diesem Fall sieht“, sagte der SPD-Politiker.

Lange war diskutiert worden, wie – und ob – das überhaupt geht. Die Bundesrepublik unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu den Taliban-Machthabern, erkennt ihr islamistisches Regime nicht an. Es musste also ein Umweg gefunden werden. Nachgedacht wurde etwa über Abschiebungen in Nachbarländer Afghanistans. Diese hätten dem jedoch zustimmen müssen.

Nun hat die Bundesregierung einen anderen Weg gefunden: Statt direkt mit den Taliban, verhandelte die Bundesregierung mit dem Emirat Katar. Katarische Beamte organisierten und begleiteten den Flug auch und sorgten für dessen Sicherheit. Bundespolizisten oder andere deutsche Sicherheitskräfte waren nach Informationen aus dem Innenausschuss nicht an Bord.

Für eine Kontroverse sorgte, dass die 28 abgeschobenen Straftäter Medienberichten zufolge ein „Handgeld“ in Höhe von 1000 Euro bekamen. Weil diese Zahlung von den Ländern und nicht vom Bund geleistet wurde, will Faeser darauf am Freitagnachmittag nicht näher eingehen. Auf Nachfrage sagt sie nur: „Das ist ein übliches Verfahren, um die Rechtssicherheit herzustellen, damit man von Gerichten nicht aufgehoben wird.“ Es geht darum, dass Abgeschobene in ihrem Heimatland nicht mittellos dastehen. Andernfalls wäre die Abschiebung leichter juristisch angreifbar.

Grundsätzliche Kritik an der Afghanistan-Abschiebung äußerten Menschenrechts- und Hilfsorganisationen. „Die Abschiebungen nach Afghanistan machen mich fassungslos“ sagte Imad Mustafa, für das Land zuständiger Referent der Hilfsorganisation Medico International dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir wissen nicht, was mit diesen Menschen nun passiert. Im besten Fall droht ihnen nur die soziale Ächtung, eventuell aber auch der Tod.“ Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Taliban die Abgeschobenen inhaftierten und folterten.

Wie steht es also um die Sicherheit der Abgeschobenen vor Folter oder gar Hinrichtungen durch die Taliban? Auch darauf antwortet Faeser auf Nachfrage ausweichend: „Also wir machen solche Abschiebungen immer nur rechtssicher“, sagt sie. Und: „Es gibt keinen Abschiebestopp nach Afghanistan, der das verhindert hätte. Insofern gehe ich auch davon aus, dass sie dort sicher sind.“

Auf die Frage, was die islamistischen Taliban bewogen hat, der Rücknahme der Straftäter zuzustimmen, sagt sie nur: „Da wir keinen direkten Kontakt haben, kann ich Ihnen das nicht beantworten.“

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor sagt nach der Ausschusssitzung: „Ich kann als Grüne natürlich nicht gut finden, wenn Menschen, in diesem Fall schwere Straftäter, abgeschoben werden und wir zumindest nicht wissen, wie ihr Verbleib aussieht.“ Als Mensch, der demokratisch gesinnt sei und auf den Rechtsstaat baue, habe sie zumindest Bauchschmerzen und weiterhin offene Fragen.