Die Vielzahl der Krisen droht die USA zu überfordern und Biden zu schaden. Im linken Lager wachsen Unbehagen und Wut über die israelische Militäraktion.
Die wankende Weltmacht„Wie viele Kriege kann Amerika zur selben Zeit kämpfen?“
Alles war lange vorbereitet. Seit Wochen schon prangte eine übergroße australische Fahne am Eisenhower-Building gegenüber vom Weißen Haus. Viel Pomp und Pathos sollten den gerade mal vierten Staatsbesuch in der Amtszeit von Joe Biden umranken. Immerhin ist Australien ein Stützpfeiler der indopazifischen Partnerschaft, dem zentralen geopolitischen Projekt des Präsidenten. Doch als Premierminister Anthony Albanese am Mittwoch der vergangenen Woche in Washington landete, fiel alles etwas kleiner aus.
Erst wurde der Auftritt der Rockgruppe B-52s beim Galadiner gestrichen. Dann änderte sich das Thema des im herbstlichen Rosengarten fernsehgerecht inszenierten Auftritts der beiden Regierungschefs. „Bevor ich zu den Fortschritten komme, die Australien und die USA erreicht haben, möchte ich ein paar Worte zur Situation im Nahen Osten sagen“, eröffnete Biden die Pressekonferenz. Über die Gespräche wollte anschließend kaum noch jemand etwas erfahren.
Fokus ändert sich
Die Szene ist vielsagend: Nicht nur überlagert seit dem Massaker der islamistischen Hamas an israelischen Zivilisten vom 7. Oktober der Nahostkonflikt alle anderen Themen in Washington. Auch hat sich der außenpolitische Fokus der Biden-Regierung notgedrungen komplett verändert. Nach der Wahl hatte sich der Präsident eigentlich vornehmlich um China, den gefährlichsten Herausforderer der USA im Kampf um die globale politische und wirtschaftliche Vorherrschaft, kümmern wollen. Der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 zwang zur ersten Kurskorrektur. Mit der israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen sind die USA nun in einem zweiten Krieg massiv gefordert.
Alles zum Thema Nahostkonflikt
- Nahost-Newsblog Israel wird im Kampf gegen Hisbollah nicht nachlassen
- Angst vor dem Untergang in der SPD Olaf Scholz und das Ampel-Aus – Ein Kanzler ohne Macht
- Kölner USA-Experte Thomas Jäger „Trumps Wille ist künftig der Maßstab für Politik“
- In Berliner Bar Antisemitische Attacke auf Fan von israelischem Fußballverein
- US-Wahlkampf Elon Musk für Trump – Was treibt diesen Mann an?
- „Die Brücke nach Haifa“ Ein Plädoyer für Empathie und Verständigung in Leverkusen
- „frank&frei“ zu jüdischer Identität Natan Sznaider und Navid Kermani diskutieren Nahost-Konflikt
Zugleich fachen die beiden Krisenherde im Inneren der Vereinigten Staaten politische Konflikte weiter an. Der Trump-Flügel der Republikaner kämpft gegen eine weitere Unterstützung der Ukraine. Bei den linken Demokraten wird derweil mit jedem neuen Bombenangriff auf Ziele in Gaza das Unbehagen über die unkonditionierte Unterstützung Israels stärker. Derweil drohen geplante Milliardenhilfen für die Krisenherde zwischen Repräsentantenhaus und Senat zerrieben zu werden. Manche Experten sehen die Führungsmacht der westlichen Welt inzwischen an ihrer Belastungsgrenze. „Wie viele Kriege kann Amerika zur selben Zeit kämpfen?“, fragte kürzlich das Magazin „Foreign Policy“.
Abkommen zum Greifen nah
Noch bis vor einem Monat hatte die Biden-Regierung den schwelenden israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt weitgehend ausgeblendet. Stattdessen lag das Augenmerk des Präsidenten auf einer Wiederbelebung des Iran-Abkommens und der Aussöhnung von Saudi-Arabien und Israel. Ein historisches Friedensabkommen schien zum Greifen nahe. „Die Nahostregion ist heute ruhiger als in den vergangenen zwei Jahrzehnten“, referierte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan noch Ende September bei einer Konferenz in Washington. „Ich muss deutlich weniger Zeit mit dem Nahen Osten zubringen als meine Vorgänger.“
Acht Tage später fiel die Hamas im Süden Israels ein. Seither ist die amerikanische Regierung mit kaum noch etwas anderem beschäftigt. Außenminister Antony Blinken jettet im diplomatischen Dauereinsatz um den Globus. Am Freitag reiste er bereits zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit nach Tel Aviv, um sich bei Israels Premierminister Benjamin Netanjahu über die militärischen Pläne informieren zu lassen und über humanitäre Hilfe für die Bevölkerung in Gaza zu sprechen.
Auch der 80-jährige Biden ist höchstpersönlich nach Jerusalem geflogen, er telefoniert fast täglich mit Netanjahu, hat zwei Flugzeugträgerverbände in die Region geschickt und lässt öffentlich keinen Zweifel an seiner Solidarität mit dem jüdischen Staat.
Der erfahrene Außenpolitiker versucht einen heiklen diplomatischen Drahtseilakt: Er umarmt Israel ganz fest und hofft dadurch Einfluss auf dessen Politik nehmen zu können. Das „schiere Böse“ sei am 7. Oktober über das Land hereingebrochen, sagte Biden kurz nach dem Massaker und betonte: „Wir stehen an der Seite Israels.“ In einem Telefonat mit Netanjahu sagte er: „Wenn die Vereinigten Staaten das erleben würden, was Israel erlebt hat, wäre unsere Reaktion schnell, entschieden und überwältigend.“
Biden und Netanjahu kennen sich seit mehr als 40 Jahren. Damals saß der eine als junger Senator im Kongress und der andere wurde an die Botschaft in Washington versetzt. Seither pflegen sie eine vertraute, aber nicht spannungsfreie Beziehung. Beim Iran-Atom-Deal waren sie erbitterte Gegner. Die extrem rechte Politik des Premierministers lehnt der US-Präsident ab, seine Justizreform hat er öffentlich kritisiert. Vor langer Zeit, so berichtet es Biden, habe er ein Foto für Netanjahu folgendermaßen signiert: „Bibi, ich stimme mit keiner verdammten Sache überein, die du sagst. Aber ich mag dich.“
Leise Mahnungen
Seine echte Empathie für das nach der Hamas-Attacke geschockte Israel verknüpfte Biden von Anfang an mit leisen Mahnungen. Bei seinem Besuch in Jerusalem vor zweieinhalb Wochen erinnerte er an die amerikanischen Erfahrungen nach den Terroranschlägen vom 11. September: „Während wir Gerechtigkeit suchten und fanden, machten wir auch Fehler“ – eine Anspielung auf die Kriege im Irak und in Afghanistan. „Lasst euch nicht von Wut verzehren“, mahnte er die israelische Regierung. Eine dauerhafte Besetzung des Gazastreifens nannte er einen Fehler. Bei der Pressekonferenz im Rose Garden warb er für eine Zweistaatenlösung und kritisierte scharf die Überfälle israelischer Siedler auf Palästinenser: „Sie müssen zur Verantwortung gezogen werden. Das muss sofort aufhören!“
Hinter verschlossenen Türen, wird in Washington berichtet, habe Biden Netanjahu noch deutlicher zur militärischen Zurückhaltung und Rücksicht auf die Zivilisten in Gaza gemahnt. Dahinter steckt nicht nur die Sorge um die amerikanischen Geiseln, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden. Vor allem will Biden eine Ausweitung des blutigen Konflikts zu einem wahnwitzigen Flächenbrand mit dem Eintritt der Hisbollah-Milizen im Libanon oder gar des hochgerüsteten Iran unbedingt vermeiden.
Mit seinem diskreten Ansatz konnte Biden in den ersten Wochen Zeit und die Öffnung der ägyptischen Grenze für Hilfslieferungen erreichen. Aber spätestens seit täglich Bilder von getöteten oder verletzten palästinensischen Zivilisten über amerikanische Fernsehschirme flimmern, werden Zweifel lauter, dass der Appell zur Mäßigung von der Netanjahu-Regierung gehört wird. „Israel muss wissen, dass die Toleranz seines amerikanischen Verbündeten für massive zivile Opfer in einer Militäroperation mit unklarem Ende nicht unbegrenzt ist“, schrieb kürzlich der Kolumnist Thomas Friedman in der „New York Times“: „Tatsächlich könnte die Grenze bald erreicht sein.“
Nicht nur an den Universitäten werden – teilweise mit bedenklichen Unterton oder heftigen antisemitischen Parolen – die Proteste gegen die israelische Bodenoffensive massiver. Auch in Bidens Partei wächst das Unbehagen. Einige linke Abgeordnete haben den Präsidenten früh wegen seiner israelfreundlichen Haltung angegriffen. Doch nach dem Luftschlag gegen eine vermutete Hamas-Stellung im Flüchtlingslager Jabalya melden sich auch einflussreiche Senatoren kritisch zu Wort. Eine Gruppe um Bernie Sanders und Elizabeth Warren wandte sich am Dienstag mit einem besorgten Brief an Biden. Am Donnerstag erklärte Chris Murphy, der Senator von Connecticut, es sei Zeit für „Israels Freunde“, einzugestehen, dass der gegenwärtige Ansatz Jerusalems zur Vernichtung der Hamas „ein unakzeptables Maß an zivilem Leid“ auslöse.
Stimmung dreht sich
Die Stimmung in der traditionell israelfreundlichen amerikanischen Öffentlichkeit beginnt sich zu drehen. Das gilt vor allem für die Jungen: Nach aktuellen Umfragen hegen nur noch 40 Prozent der Millennials Sympathien mit Israel, aber 42 Prozent mit den Palästinensern. Das bekommt die Biden-Regierung zu spüren. Als Außenminister Blinken am Dienstag bei einer Anhörung im Kongress seine Politik erläutern wollte, wurde er mehrfach von Demonstranten unterbrochen, die ihre rot gefärbten Hände hochhielten. „Kein Geld für Israel!“, forderte eine Protestlerin. Die USA sind der wichtigste finanzielle Unterstützer des jüdischen Staates.
Einen Tag später wurde Präsident Biden in Minneapolis bei einem Vortrag von einer Frau mit braunem Kleid und Kippa unterbrochen: „Als Rabbi muss ich Sie bitten, einen sofortigen Waffenstillstand zu fordern“, rief sie. Biden reagierte ruhig: „Ich verstehe die Emotionen“, sagte er und sprach sich für „Feuerpausen“ aus. Einen echten Waffenstillstand aber unterstützt Washington bislang nicht.
Wütende muslimische Bürger
Vor allem Menschen mit arabischen Wurzeln nehmen das dem Präsidenten übel. „Ihr Ansatz, nur Krieg und Zerstörung zu unterstützen, hat mir und vielen muslimischen Amerikanern die Augen geöffnet“, schrieb die demokratische Abgeordnete Rashida Tlaib, Tochter palästinensischer Einwanderer, in einem wütenden Onlinepost und drohte: „Wir werden uns daran erinnern, wo sie gestanden haben!“ Tatsächlich ist die Unterstützung für Biden unter den arabischstämmigen Amerikanern seit der letzten Wahl von 60 Prozent auf 17 Prozent abgestürzt.
So droht der Gaza-Krieg für Biden auch politisch gefährlich zu werden. Die Republikaner werten den Ausbruch des Konflikts schon jetzt als Zeichen der angeblichen Schwäche des Präsidenten und behaupten frech, unter Trump wäre es nicht so weit gekommen. Linke Wähler hingegen machen Biden für das Leid der Palästinenser mitverantwortlich. Ian Bremmer, der Chef der Denkfabrik Eurasia Group, spricht deshalb pessimistisch von einer „Lose-Lose-Situation“ für den Präsidenten: „Wenn er nicht als Friedensstifter aus der Situation hervorgeht, was sehr unwahrscheinlich ist, kann Biden eine Ausweitung des Krieges im Nahen Osten nur schaden.“
.