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Ex-Generalvikar von Speyer„Römisch-katholische Kirche ist ein krankes System“

Lesezeit 7 Minuten
Andreas Sturm

Andreas Sturm, Ex-Generalvikar des Bistums Speyer, verlässt die römisch-katholische Kirche.

  1. Als Generalvikar war Andreas Sturm zweiter Mann im Bistum Speyer. Kürzlich gab er seinen Übertritt zur 1870 entstandenen altkatholischen Kirche bekannt.
  2. Die von Rom getrennte Gemeinschaft mit etwa 15.000 Mitgliedern in Deutschland (Tendenz: steigend) weiht Frauen zu Priesterinnen und lässt Geistliche heiraten.
  3. Im Interview erklärt Sturm, warum er die römisch-katholische für krank und die altkatholische nicht für eine Lightversion hält.

Herr Sturm, Sie sitzen als zurückgetretener Generalvikar des Bistums Speyer in Ihrer Dienstwohnung auf gepackten Kartons und warten auf den Umzugswagen. Warum verlassen Sie die römisch-katholische Kirche?Andreas Sturm: Am Ende ging es nicht mehr darum, dass mir dieses oder jenes in der Kirche nicht gepasst hat. Vielmehr hatte ich bei allem, was ich sagte oder tat, den Eindruck: Der da redet und handelt, das bin gar nicht mehr ich. Ich habe nur noch funktioniert. Und genau das funktioniert auf Dauer nicht. Sonst wird man krank, psychisch und spirituell.

Ist das mehr als eine individuelle Erfahrung?

Ich bin zu dem Ergebnis gekommen: Die römisch-katholische Kirche ist ein System, das krank ist und krank macht.

Was ist der Erreger, der Krankheitskeim?

Der unkontrollierte Umgang mit Macht und die Unfähigkeit, Macht abzugeben. Eine Struktur, in der alle Macht bei einer Gruppe geweihter Männer konzentriert ist, ist einfach ungesund. Übrigens auch für diejenigen, die die Macht haben. Die Bischöfe bis hinauf zum Papst sind letztlich überfordert mit der ihnen zugemessenen Machtfülle und mit all den Erwartungen, die sich daran knüpfen.

Die Weihe als ständisches Konzept mit der Begründung eines Zwei-Klassen-Systems, das manche Theologen für die Wurzel allen Übels in der römisch-katholischen Kirche halten, gibt es aber auch in der altkatholischen Kirche, in die Sie jetzt wechseln.

Aber dort werden die Pfarrer gewählt. Und Wahlen sind automatisch mit einer Legitimation der Amtsträger verbunden, mit Rechenschaftspflicht gegenüber den Gläubigen, aber auch mit Feedback. In allen Lebensbereichen gibt es herausgehobene Positionen für einzelne Menschen. Zum Problem wird das in dem Moment, in dem die damit verbundene Macht nicht eingehegt ist.

Genau darum geht es auf dem „Synodalen Weg“ der katholischen Kirche in Deutschland, an dem Sie beteiligt waren. Warum geben Sie jetzt auf, noch vor Erreichen der Zielgeraden?

Ich sehe und schätze, mit wie viel Engagement und Herzblut Frauen und Männer auf dem Synodalen Weg an Reformen arbeiten. Aber die entscheidenden Fragen werden nicht bei uns in Deutschland entschieden. Und alle Beschlüsse, die am Ende auch nur wieder an den guten Willen des jeweiligen Bischofs in seinem Bistum appellieren, lösen die Probleme nicht. Im Gegenteil: Sobald ein Bischof sich weigert, per „Gnadenakt“ Macht abzugeben, wird es erneut einen Aufschrei geben. Echte Veränderungen sind nur über verbindliche, im Kirchenrecht verankerte Strukturen erreichbar. Und das zu erreichen, wird die deutsche Kirche allein nicht schaffen.

Und der Papst?

Es war ein guter Ansatz des Papstes, den Teilkirchen mehr Autonomie in Aussicht zu stellen. Ich wünsche Franziskus ein langes Leben. Aber ich glaube nicht, dass ihm die Zeit bleibt, die notwendigen Strukturreformen zu verwirklichen.

Sie diagnostizieren in der – wie Sie sagen – kranken Kirche bei vielen Mitgliedern eine „Co-Abhängigkeit“, die sie Missstände aushalten lässt. Wie erklären Sie dieses Phänomen?

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Gläubigen mit vagen Reformzusagen und einem Gesprächsformat nach dem anderen hingehalten, ruhiggestellt und darüber hinweggetröstet werden sollen, dass faktisch nichts passiert. Viele der Fragen, die jetzt auf dem Synodalen Weg verhandelt werden, lagen schon auf der Würzburger Synode vor 50 Jahren auf dem Tisch. Ohne echte Folgen.

Das Rezept zur Befreiung aus der Co-Abhängigkeit in der Kirche ist der Austritt?

Ich will nicht dazu aufrufen, auszutreten.

Sondern?

Wer bleiben will, muss aufstehen. Wer will, dass in der Kirche sich etwas ändert, muss etwas dafür tun. Um des Glaubens und der christlichen Botschaft willen, die ich für wichtig halte. Dafür braucht es einen Ort, eine Heimat. Wenn sich nun jemand in der römisch-katholischen Kirche so gar nicht mehr beheimatet fühlt, dann sollte er oder sie sich tatsächlich eine andere Kirche oder Heimat suchen. Diejenigen aber, die in der römisch-katholischen Kirche bleiben, müssen klarer artikulieren, was sie stört. Eine in den Gemeinden sehr verbreitete Haltung „Rom ist weit weg, der Bischof auch, aber bei uns hier ist alles gut“ macht nichts besser. Im Gegenteil.

Warum?

Weil damit völlig ausgeblendet wird, dass es diese behauptete Trennung nicht gibt, sondern dass es letztlich die eine Kirche ist.

Sehen Sie es nicht als Problem, als Amtsträger aus der römisch-katholischen Kirche auszusteigen, um dann in einer Light-Version einfach weiterzumachen?

Die altkatholische Kirche ist keine „Light-Version“. Sie ist meines Erachtens in vielem weiter als die römisch-katholische Kirche, weil sie die Zeichen der Zeit erkannt und darauf reagiert hat. Mit meinem Übertritt verbinde ich die Hoffnung, dass ich endlich wieder die Frohe Botschaft verkünden und Menschen im Glauben begleiten kann – also das tun kann, weshalb ich Priester geworden bin. Bislang war ich unentwegt damit beschäftigt, ungerechte Strukturen anzuprangern, mit Missständen umzugehen und ihnen in dem kleinen, mir möglichen Umfang abzuhelfen.

Cover Sturm

Buchcover

Zu den Missständen, die Sie auch in dem Buch über Ihre Motive zum Kirchenübertritt beschreiben, gehört auch die Liturgie. Die ist bei den Altkatholiken kaum anders.

Aber in der römischen Liturgie ist den Priestern jedes Detail haarklein vorgeschrieben. Im Grunde dürfen Sie nicht ein einziges Gebet in der Messe ändern, ohne dass Sie eine Anzeige beim Bischof oder gar in Rom selbst riskieren. Und die Idee des Vatikans, alle Gebetstexte in den Landessprachen strikt am lateinischen Original auszurichten, führt zu einem Sprachkauderwelsch, bei dem man manche Texte dreimal lesen muss, damit man sie richtig betonen und den Zuhörenden wenigstens eine Chance gibt, zu verstehen, was da gebetet wird.

Andere Kritikpunkte Ihres Buches wie die katholische Sexualmoral bis zur Diskriminierung von Frauen sind ja nun hinlänglich bekannt. Gab es einen bestimmten Punkt, …

… den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte? Nein, es war ein „langer Weg der Entfremdung“. Ich habe mich in dieser Kirche zunehmend als Fremdkörper wahrgenommen.

Und jetzt haben Sie getan, was den Befürwortern von Veränderungen in der Kirche immer entgegengehalten wird: „Dann geht doch rüber!“

Damit muss ich wohl leben.

Sie räumen eigene Schwierigkeiten mit dem Zölibat ein, dem dann auch ein langes Kapitel in Ihrem Buch gewidmet ist. Machen Sie Ihre persönlichen Angelegenheiten zum Problem der Kirche?

Wenn ich der erste Priester wäre, der mit der Zölibatsverpflichtung ein Problem hat, würde ich Ihre Frage bejahen. Der Zölibat ist aber seit Jahrzehnten als Problem der Kirche erkannt. Es gibt ungezählte Priester, die mit dem Zölibat hadern, unter ihm leiden und unglücklich werden – genau wie Partnerinnen und Partner in den vielen heimlichen Beziehungen. Das Problem zu individualisieren, ist eine beliebte Methode, sich die Grundsatzfragen vom Hals zu halten.

Sie haben die Haustür hinter sich noch nicht geschlossen, da legen Sie schon auf 200 Seiten die Abschiedserklärung vor. Ist das nicht seltsam?

Ich bin wegen des sofortigen Erscheinens meines Buches stark kritisiert worden, bis hin zu vollkommen schockierten Rückmeldungen auch aus meinem Freundeskreis. Ich will mich nicht herausreden, aber das Buch basiert auf Tagebucheinträgen, die ich seit vielen Jahren gemacht hatte. Freunde und der Verlag Herder haben mich dann ermutigt, diese Aufzeichnungen zu einem Buch auszuweiten und meine Entscheidung damit vielleicht verständlicher zu machen. Ich möchte mich aber von jetzt an auch nicht mehr permanent an der römisch-katholischen Kirche abarbeiten. Deswegen fand ich es richtig, das Buch genau jetzt vorzulegen. Die Zwischenzeit bis zu meinem Amtsantritt als altkatholischer Pfarrer in Singen wollte ich nutzen, um das zu sagen, was ich glaube, sagen zu müssen. Aber dann habe ich eine neue Aufgabe in einer neuen Kirche.