Flut eine Katastrophe mit Ansage?„Behörden hätten früher warnen können und müssen“
- Seit einem knappen Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen Landrat Jürgen Pföhler und seinen Krisenstabsleiter wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung.
- Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll klären, welche Fehler in der Politik gemacht wurden.
- CDU-Politiker Baldauf spricht schon von einem breiten Nichthandeln und von Versagen.
Mainz – Das Treffen Ende Mai im Landeskriminalamt in Mainz sah nur einen kleinen Kreis vor. Die Ermittler stellten den Anwesenden den Verlauf der Flutkatastrophe im Ahrtal Mitte Juli 2021 über eine „Visualisierung“ vor. Diese Dokumentation sollte Wasserstände auf Basis der Nachforschungen der Strafverfolger zusammenfassen. Eine wichtige Person fehlte allerdings: Olaf Lankhanki. Der Rechtsanwalt vertritt den ehemaligen Landrat von Ahrweiler, Jürgen Pföhler.
Seit knapp einem Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen den CDU-Politiker und seinen Krisenstabsleiter wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Der Anfangsverdacht steht im Raum, dass die Bevölkerung trotz erkennbarer Hinweise zu spät oder gar nicht vor der tödlichen Sturzflut gewarnt wurde. Eine Hochwasserwelle, die von der oberen Ahr bis hinunter nach Sinzig 134 Menschen in den Tod riss. Beide Beschuldigte weisen über ihre Verteidiger die Vorwürfe zurück, äußerten sich bisher aber nicht.
Krisenstab tagte im Keller ohne Handynetz
Anwalt Langhanki vertritt im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ die These, die Vorwürfe seien auffallend unpräzise. „Bis heute hat die Staatsanwaltschaft nicht mitgeteilt, welche Vorwürfe meinem Mandanten konkret gemacht werden.“ Moralisch gesehen, hat sich der abgetretene Landrat ins Abseits manövriert. Nach einem kurzen Besuch im TEL-Krisenstab (technische Einsatzleitung) seiner Kreisverwaltung gegen 19 Uhr am Abend des Unglücks, fuhr er wieder nach Hause.
Die Nacht verbrachte der TEL in einem Keller, der nicht zur Koordinierung eines Katastropheneinsatzes taugte. Größtenteils funktionierten weder Handy- noch andere Kommunikation nach draußen. Einige TEL-Mitglieder sagen, sie seien, als sie am nächsten Morgen aus dem Keller nach draußen traten, über die Trümmer überrascht gewesen.
Landrat parkte erstmal seinen Porsche um
Unterdessen scheint sich der Landrat in erster Linie um seine eigenen Belange und jene seiner Nachbarn gekümmert zu haben. Kurz nach 22 Uhr warnte er Anwohner vor der herannahenden Gefahr, dann brachte er seinen roten Porsche in Sicherheit.
Erst eine Stunde später wurde die Bevölkerung öffentlich gebeten, die Zone 50 Meter links und rechts des Ahrufers zu räumen. Kurz vor ein Uhr in der Nacht sendete Pföhler folgende Handy-Nachricht: „Katastrophe, Tote, Verletzte, Menschen auf den Dächern, kein Hubschrauber, Stromausfälle, unser Haus ist geflutet, ich bin am Ende.“
Derweil suchten die Mitarbeiter seines Krisenstabs im Keller in Ahrweiler zu retten, was zu retten war. Bruchstückhaft gingen die Hilferufe der Einsatzkräfte vor Ort ein.
Die Staatsanwaltschaft hat gegenüber den Verteidigern einen Ermittlungsbericht angekündigt. Daraufhin hat der Anwalt des Krisenstabsleiters, Christoph Arnold, eine Einlassung seines Klienten in Aussicht gestellt.
Hätte die Bevölkerung früher gewarnt werden können?
Inzwischen soll ein Gutachter per hydrologischer Expertise beurteilen, wann, wo und welche Wasserstände am 14. auf den 15. Juli an der Ahr zu verzeichnen waren. Der Sachverständige muss klären, ob die Katastrophe vorhersehbar war und die Beschuldigten die Bevölkerung früher hätten warnen können. Anwalt Arnold hält dies für abwegig: „Ich bin mir sicher, dass der Gutachter zu dem Schluss kommt, dass dieses verheerende Ausmaß nicht vorhersehbar war.“
Die Frage nach der politischen Verantwortung
Aus Sicht des Verteidigers Langhanki tragen die Landesregierung sowie deren nachgeordnete Behörden einen gehörigen Teil der Verantwortung. „Bisher aber sind weder die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) noch die damalige Umwelt- und spätere grüne Bundesfamilienministerin Anne Spiegel zur Flutnacht vernommen worden.“ Auch müsse der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) nochmals befragt werden. „Aber das traut sich die Staatsanwaltschaft nicht“, meint Langhanki.
Wie diese Zeitung bereits berichtete, hatte der Innenminister bei einem kurzen Treffen gegenüber den Ermittlern eingeräumt, dass seine Abteilung die ganze Flutnacht wie im Blindflug agierte und erst am Morgen des 15. Juli das Ausmaß des Unglücks erkannte. Da war es aber schon zu spät, um einzugreifen.
Seinerzeit hatte Lewentz einen Chatverkehr übermittelt, der die Zustände in der Landesregierung belegte. Während die Flut schon zahlreiche Tote gefordert hatte, schrieb Ministerpräsidentin Dreyer demnach noch um 21.42 Uhr am 14 Juli per SMS an Lewentz: „Ich höre, dass der Höchststand Hochwasser erst Morgen Mittag erreicht ist." Eine Fehlinformation, wie sich herausstellte.
Anwalt Langhanki wirft der Staatsanwaltschaft in dem Kontext massive Versäumnisse vor. „Nirgends ist der vollständige Chatverlauf belegt oder Screenshots vom Handy des Ministers gemacht worden. Die Zurückhaltung wirft Fragen auf.“
Nachrichten der Feuerwehr nicht ausgewertet
Ebenso unklar ist Langhanki, warum etwa die damalige Umweltministerin Spiegel sich bis heute nicht gegenüber den Ermittlern erklären musste. SMS-Nachrichten waren aufgetaucht, in denen sie sich kurz nach der Katastrophe um ihr politisches Image sorgte. Dabei hatten ihr Ressort sowie das nachgeordnete Landesamt für Umwelt bei den Hochwasserprognosen in der kritischen Phase an der Ahr größtenteils versagt.
Ferner vermisst Langhanki „die komplette Auswertung von Nachrichten der eingesetzten Feuerwehrleute, auch stellt sich die Frage, warum die Bereitschaftspolizei nicht an der Ahr eingesetzt wurde.“
Seit Monaten durchleuchtet ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) im Mainzer Landtag die Fehlerquellen der Flutnacht. Die frühere Grünen-Umweltministerin musste gehen, als klar wurde, dass sie bezüglich eines Familienurlaubs kurz nach der Flut nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte.
Nun geht es vor allem um die Frage, ob das Land nicht schon am frühen Abend des 14. Juli die Einsatzleitung hätte übernehmen müssen.
Das Innenministerium und die Staatsanwaltschaft Koblenz sowie ein Staatsrechtler der Uni Mainz vertreten die Meinung, dass der Katastrophenschutz Sache der Landkreise gewesen sei. Der Staatsrechtler Bernd Grzeszick kommt laut SWR in seinem Gutachten für den Untersuchungsausschuss zu einem anderen Schluss: Demnach geht die Einsatzleitung in bestimmten Fällen automatisch auf die Landesregierung über: Etwa wenn sich ein Starkregenereignis über mehrere Landkreise erstrecke und Ressourcen knapp seien. Zweifellos war dies Mitte Juli 2021 der Fall.
Baldauf beklagt breites Nichthandeln
Ein Jahr nach der Katastrophe zieht der CDU-Fraktionschef Christian Baldauf gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein kritisches Zwischenresümee, in dem er auch seinen Parteifreund und Ex-Landrat Pföhler kritisiert: „Die politische Verantwortung für das Flutgeschehen tragen viele, das wurde bisher im Untersuchungsausschuss deutlich.“ Der Politiker spricht von einer „Katastrophe mit Ansage. Behörden hätten früher warnen können und müssen“. Stattdessen habe es ein breites Nicht-Handeln gegeben. „Landrat, Minister, Staatssekretäre versagten und wälzten die Verantwortung auf Ehrenamtliche ab.“
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Mit dem Rücktritt von Anne Spiegel sind aus seiner Sicht längst noch nicht alle Fragen beantwortet. „Etwa zum peinlichen Verhalten des Innenministers. Während die Einsatzleitung in Ahrweiler erkennbar überfordert war, rückte Lewentz wie ein Tourist zu einem raschen Foto an und wieder ab. Dabei war er in der Pflicht, sich ein umfassendes Lagebild zu verschaffen.“
Zugleich moniert Baldauf, dass die „staatliche Unterstützung nur tröpfelt, die Anträge sind zu kompliziert. Die Leute haben zu viel Bürokratie auf dem Tisch und zu wenig Geld in der Hand.“ Von den 15 Milliarden Euro für den Wiederaufbau, „wurde eine halbe Milliarde Euro bislang vergeben. Das ist nur ein Bruchteil.“