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Gastbeitrag von Volker BeckExamen am Schabbat – Prüfungen an jüdischen Feiertagen

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Volker Beck ist Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (Ceres) der Ruhr-Universität Bochum. Er saß von 1994 bis 2017 für die Grünen im Bundestag.

Nächstes Jahr feiert Deutschland 1700 Jahre jüdisches Leben in Köln. Dennoch haben religiöse Juden, die die Gesetze und Traditionen ihrer Religion befolgen, bis heute mit Problemen zu kämpfen. In einer Umfrage zu „Jüdischen Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland“ gaben 61 Prozent der Befragten an, sich 2019 aufgrund ihres Glaubens benachteiligt oder ausgegrenzt gefühlt zu haben. Viele Interviewpartner des Bielefelder Sozialpsychologen Andreas Zick und der Frankfurter Soziologin Julia Bernstein berichten von fehlendem Verständnis und Entgegenkommen, wenn jemand wegen der Arbeitsruhe an jüdischen Feiertagen oder am Schabbat nicht zur Arbeit gehen oder an einem Kurs teilnehmen kann.

Ähnliche Schwierigkeiten können auch im Kontext von Universitäten und Hochschulen entstehen. „Das Judentum ist die einzige Religion mit einem dogmatischen Schreibverbot an hohen Feiertagen. Das erschwert das Ablegen einer Prüfung. Sich für die Religion zu entscheiden, bedeutet im Zweifelsfall länger zu studieren“, sagt Ruben Gerczikow von der Jüdischen Studierendenunion (JSUD). Er fordert „eine stärkere Sensibilisierung bezüglich jüdischer Feiertage“. Die hohen Feiertage stünden schon Jahre im voraus fest, so dass Prüfungen ohne Probleme auf andere Termine gelegt werden könnten. Mehr Rücksicht an diesem Punkt fordert auch der Zentralrat der Juden seit Jahren. Bislang mit nur wenig Erfolg.

Test am Samstag – ohne Ersatztermin

So setzte die Universität Heidelberg den jährlichen Test für medizinische Studiengänge (TMS) bundesweit an 50 Orten regelmäßig an einem Samstag an – ohne Ersatztermin. Der Test verbesserte die Chance auf einen Studienplatz. Dass Interessenten ausgeschlossen waren, die den Test aus religiösen Gründen nicht an einem Samstag schreiben können, ist der Universität wohl bewusst. Eine Diskriminierung wollte man darin aber nicht erkennen. Schließlich habe eine Nichtteilnahme keine absolute „Sperrwirkung“. Betroffene, die um Abhilfe baten, wurden entsprechend rigoros abgebürstet. Erst die Mobilisierung zahlreicher Institutionen und Einzelpersönlichkeiten, von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bis zum Beauftragten für Kirchen und Religionsgemeinschaften der Unionsfraktion, Hermann Gröhe (CDU), ließ die Universität einlenken: Künftig wird sie einen Ausweichtermin an einem anderen Wochentag anbieten.

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Andernorts besteht das Problem weiter. Ein Arzt berichtet, seine zweite Staatsexamensprüfung im Herbst 2016 hätte am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur stattfinden sollen. Er entschied sich für seine „Tradition und Werte“, trat von der Prüfung zurück und verlor so ein Semester. Zwar sagten die Verantwortlichen für die Zukunft mehr Rücksicht zu. Doch daraus wurde nichts: Im Herbst 2019 lag der Termin für das Staatsexamen wieder auf Jom Kippur.

Grünen-Anfrage an die Bundesregierung

Die Grünen im Bundestag haben nun eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. „Die in unserem Grundgesetz garantierte Glaubensfreiheit verpflichtet die Politik, hier endlich für einen klaren und belastbaren Rechtsrahmen zu sorgen“, sagt Konstantin von Notz, Beauftragter der Fraktion für Religion und Weltanschauungen. Man dürfe die Betroffenen zur Wahrung ihrer Rechte nicht auf den mühsamen, langwierigen und kostenintensiven Rechtsweg schicken. Bis zu einem letztinstanzlichen Urteil der Verwaltungsgerichtsbarkeit wäre das Studium oftmals längst beendet.

Rechtlich ist die Frage eigentlich bereits entschieden: Schon in den 1970er und 1980er Jahren urteilten das Oberverwaltungsgericht in Münster, aber auch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, dass bei Auswahlverfahren und Prüfungen auf den Schabbat und jüdische Feiertage Rücksicht zu nehmen ist. Die religiös motivierte Weigerung, an solchen Tagen an Klausuren teilzunehmen, unterliege dem Schutzbereich des Glaubensfreiheitsartikels im Grundgesetz. Auch das Bundesverfassungsgericht betont „das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“.

Bei den Verantwortlichen ist diese Botschaft allerdings nicht durchweg angekommen. So verweist Udo Michallik, Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, auf Nachfrage darauf, das Gremium habe bereits 2005 die „Empfehlung einer großzügigen Handhabung“ ausgesprochen und sich über die Hochschulrektorenkonferenz an die Universitäten gewandt. Dass die Alternative nicht Großzügigkeit oder Kleinlichkeit ist, sondern dass es um den Respekt vor Grundrechtspositionen geht, hat man offensichtlich bislang verkannt.

Unterstützung von Religionspolitikern

Unterstützung für ihr Anliegen erhalten die Grünen bei den Religionspolitikern der anderen Bundestagsfraktionen. So mahnt etwa der FDP-Politiker Stefan Ruppert: „Das Erstarren in bürokratischen Zeitrahmen darf nicht unsere vielfältige Gesellschaft lähmen.“ Und der Sozialdemokrat Lars Castellucci setzt sich für die nötige Religionssensibilität staatlicher Stellen ein: Studierende „sollen nicht zwischen Studium und Ausübung ihrer Religion entscheiden müssen.“

Der Religionsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Grübel (CDU), wiederum sieht einen einfachen Weg der Abhilfe. Er fordert alle Hochschulrektoren auf, künftig Ausweichtermine zur Verfügung zu stellen: „Deutschland kann damit ein weltweit wirkendes Zeichen der Religionsfreiheit setzen.“