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Kommentar

Hauptsache alles X
Wie konnten wir nur glauben, Elon Musk sei ein Genie?

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Lesezeit 8 Minuten
Ein Godfather der Elektromobilität: Elon Musk. Aber sonst?

Ein Godfather der Elektromobilität: Elon Musk. Aber sonst?

Er galt mal als Godfather der Elektromobilität und Technologie-Vordenker mit XXL-Ambitionen. Von diesem Mythos ist kaum etwas übrig. Eine kommentierende Analyse.

Am Montagabend postete Elon Musk ein Witzbild auf seiner Plattform X. Wobei man das Wort „Witz“ in Anführungsstriche setzen sollte. Es zeigt den Multimilliardär mit einem schwarzen T‑Shirt, auf dem „I love Canada“ steht. Darüber trägt Musk ein Sakko, sodass die Buchstaben C, D und A teils abgeschnitten werden. Was kommt dabei heraus? Naja, sehen Sie selbst:

Ein zwölfjähriger Multimilliardär

Zugegeben, auch ich habe mal geglaubt, dieser 52 Jahre alte Mann, der humortechnisch auf dem Stand eines Zwölfjährigen hängen geblieben ist, sei so etwas wie ein Genie. Man erzählte sich das halt so. Musk galt immer als eine Art Steve Jobs der Automobilbranche, der mit seiner Marke Tesla das Autofahren grundlegend revolutionieren würde. Musk galt als grandioser Visionär, der immer einen Schritt weiter denkt als wir Normalsterblichen. Ein Genie, das uns irgendwann mit Tunneln durchs Land und in Raketen auf den Mars schießen würde.

Tech-Jünger feierten Elon Musk, egal, was er tat. Etwa wenn er einen völlig nutzlosen Stadtpanzer namens „Cybertruck“ vorstellte und dann die Scheibe zertrümmerte um zu beweisen, dass man die Scheibe nicht zertrümmern kann. Oder wenn er die Ukraine über seine Firma Starlink mit Satelliteninternet versorgte, weil er so ein großer Philanthrop ist.

Elon Musk galt als schrulliger, aber irgendwie sympathischer Nerd. Ein Multimilliardär mit schwieriger Kindheit, der in Podcasts kiffte, seine eigenen Kinder mit Namen wie X Æ A-Xii ausstattete, und nebenbei an Ideen arbeitete, um die Menschheit mit Technologie in ihr ewiges Glück zu führen.

Wie zum Henker konnte uns dieser Mann eigentlich so täuschen?

Unfassbar stümperhaft

Erst die Übernahme der Plattform Twitter hat vielen offenbart, welch riesengroße Stümper­haftigkeit hinter dem Schaffen und Wirken von Elon Musk steckt.

Damit sind nicht nur die präpubertären Witze gemeint, mit denen Musk seither das Internet überschwemmt. (Einmal ließ Musk das Twitter-Logo an dessen Hauptgebäude anmalen, sodass da nur noch „Titter“ stand. Einmal schlug er Meta-Chef Mark Zuckerberg öffentlich einen Schwanzvergleich vor.)

Nein, es ist sind auch Musks unternehmerische Fähigkeiten, die inzwischen angezweifelt werden dürften. Der Autor Stephen King war einer der ersten Prominenten, der Musk öffentlich mit einem Hochstapler verglich – und dem Rest dürfte spätestens jetzt bewusst geworden sein, dass mit der angeblichen Genialität des Milliardärs irgendetwas nicht stimmen kann.

Wie man Twitter vor die Wand fährt

Man konnte das schon kurz nach der Übernahme des Kurznachrichtendienstes erkennen. Damals, im Herbst 2022, als Musk zunächst die Hälfte aller Mitarbeitenden entließ – nur um einige von ihnen kurz darauf wieder zurückzuholen, weil die Plattform kurz vor dem Kollaps stand.

Dann kündigte Musk an, Twitter zum Ort der absoluten Redefreiheit machen zu wollen – nur um kurz darauf Parodie-Accounts seiner eigenen Person sowie Medienvertreterinnen und ‑vertreter zu sperren. Als sich daraufhin Werbekunden von der Plattform zurückzogen, weil ihnen die Plattform nicht mehr sicher erschien, legte sich Musk mit ihnen an und drohte, sie öffentlich bloßzustellen.

Nahezu täglich kündigt der Milliardär neue Funktionen oder Vorteile für seine Nutzerinnen und Nutzer an, die dann aber doch nicht zum angekündigten Zeitpunkt kommen. Mal bezahlt er seine Google-Rechnungen nicht und führt dann die Leselimits für Userinnen und User ein. Und dann wäre da auch noch die Sache mit Twitter Blue.

Das Desaster um den blauen Haken

Seit der Übernahme Musks können sich Nutzerinnen und Nutzer (meist sind es wütende Männer) einfach einen blauen Haken erkaufen, der zuvor für die Verifizierung von Personen stand. Noch dazu werden diese dann im Algorithmus höher gerankt.

Das führt zu zahlreichen Fake-Accounts bekannter Marken oder Personen. Inzwischen ist Twitter ein stinkender Morast blau behakter Troll-Armeen, die Diskussionen auf der Plattform nahezu unmöglich machen.

Man konnte kurz nach der Übernahme noch argumentieren, Elon Musk habe vielleicht einfach keine Ahnung von Social Media. Dass der Kauf von Twitter für 44 Milliarden Dollar ein blöder Ausrutscher war. Klar, Musk wird zwar den Mars besiedeln und uns alle mit Gehirnchips ausstatten – aber grundlegende Internetkenntnisse, etwa die Funktionsweise sozialer Netzwerke, die hat er nicht. Kann ja mal passieren.

Seit der Umbenennung Twitters zu X allerdings kommt man auch mit dieser Theorie nicht mehr weit.

X-Relaunch ist eine Katastrophe

Nur einige Beispiele aus den vergangenen Tagen:

  1. Elon Musk lässt offenbar mithilfe von Baumarkt-Bohrmaschinen amateurhaft den Schriftzug Twitter vom Hauptquartier des Unternehmens entfernen – die Arbeiten müssen gestoppt werden, weil für das Vorfahren des Krans keine Genehmigung vorliegt.
  2. Elon Musk lässt ein offenbar eifrig zusammengeschustertes und mit Sandsäcken befestigtes X auf dem Dach des Twitter-Hauptquartiers aufstellen. Mit dessen grell hellem Licht tyrannisiert Musk über Tage die Nachbarschaft, was zu zahlreichen Beschwerden führt. Die Behörden zwingen das Unternehmen schließlich, den Bau zu entfernen.
  3. Genauso stümperhaft wie die Arbeiten am Gebäude läuft der Relaunch der Seite selbst. In einer beispiellosen Hauruckaktion wird zunächst das bekannte Vogel-Logo durch ein X ersetzt, das nicht mal eigens für das Unternehmen designt wurde. Es ähnelt laut einem Bericht von „The Verge“ einer Monotype-Schriftart, die man sich einfach im Internet herunterladen kann.
  4. Zur selben Zeit wird bekannt, dass gleich mehrere andere Techunternehmen die Marke X für ähnliche Produkte angemeldet haben, darunter etwa Microsoft und Meta – ein Markenstreit dürfte damit laut Expertinnen und Experten nur eine Frage der Zeit sein.
  5. Über Tage hinweg ist die Seite Twitter.com (die URL x.com ist bislang nicht mehr als eine Weiterleitung) ein riesig großes Chaos: Zwar prangt über der Website das Logo X, beworben wird aber zunächst tagelang weiterhin der Dienst „Twitter Blue“ und andere Funktionen mit dem Wort Twitter im Namen. So wird etwa der Repost eines Beitrags auch heute noch als „Retweet“ bezeichnet, wenn man mit der Maus über den Button fährt. Markenexpertinnen und ‑experten bezeichnen die Umbenennung gegenüber Medien mitunter als unlogisch und amateurhaft.

Ein Sprachrohr für Rechte

Nicht zu vergessen sei die neue politische Ausrichtung der Plattform. Der frühere Fox-News-Moderator Tucker Carlson, der in seiner Sendung über Jahre hinweg rechtsextreme Verschwörungs­ideologien vertrat, hat nun eine eigene Sendung auf X, offenbar mit breiter Unterstützung des Unternehmens. Elon Musk scheint davon großer Fan zu sein, denn er reposted die Beiträge laufend mit Kommentaren wie „interesting“.

Kürzlich wurde zudem bekannt, dass der Frauenfeind und Abzock-Coach Andrew Tate, der durch Musk auf der Plattform entsperrt wurde, zu den neuen Großverdienern durch die neue Werbeeinnahmenbeteiligung zählt.

Musk selbst teilte zuletzt immer wieder rassistische Beiträge und antisemitische Hetze.

Musks unerfüllte Jugendträume

Besonders bizarr wirkt dieses Handeln, wenn man sich bewusst macht, was Elon Musk mit der Zerstörung Twitters eigentlich bezweckt. Schon seit Teenagerjahren träumt der heutige Milliardär offenbar von einer eigenen Marke namens X. Schon in den 2000er-Jahren hieß eines seiner Unternehmen X.com, das später mit Paypal fusionierte. Laut dem Autor Walter Isaacson, dessen Biografie über Elon Musk im Herbst erscheinen soll, flog Musk bei Paypal heraus, weil er trotz schlechter Marktforschungsergebnisse von seiner Namensidee einfach nicht ablassen wollte.

Heute, mehr als 20 Jahre später, will sich der Milliardär offenbar seinen Jugendtraum erfüllen. Die Website soll künftig nicht nur X heißen, sie soll auch zu einer sogenannten „Everything App“ umgebaut werden. Dann soll man über X nicht nur posten und chatten und hetzen, sondern zum Beispiel auch bezahlen oder mit Kryptowährungen handeln können. Vorbild ist hier offenbar die in China beliebte App Wechat, die in dem diktatorisch regierten Land nahezu alle Dienste der westlichen Länder in einem Dienst vereint.

Da wäre nur ein Haken: Außerhalb von China wird eine solche App gar nicht gebraucht. Sie funktioniert dort nur deshalb, weil der Staat sie kontrolliert und fördert und gängige westliche Dienste verbietet. Hierzulande gibt es für all diese Dienste längst Alternativen, die Jugend­träume Elon Musks wurden längst von anderen erfüllt. Nur der größte Elon-Musk-Fanboy wird in der Idee einer „Everything App“ etwas Revolutionäres erkennen.

All diese Pläne werfen die Frage auf, was denn von dem angeblichen Genie Elon Musk übrig geblieben ist, sollte es jemals existiert haben. Die Zerstörung von Twitter zugunsten von X ist nicht visionär – sondern nicht mehr als das trotzige Aufstampfen eines Multimilliardärs, der in einer kindlichen Traumwelt festhängt, die längst von der Realität überholt wurde.

Wenig Ideen aber viel Geld

Erstaunlich ist, dass es ausgerechnet die Übernahme Twitters brauchte, um das zu erkennen. Die unternehmerischen Talente Elon Musks waren schon vorher nicht so unglaublich, wie sie oftmals dargestellt wurden. Der Verkauf seines ersten Unternehmens Zip 2, das er zusammen mit seinem Bruder Kimbal gegründet hatte, brachte ihm 22 Millionen US‑Dollar ein – ein gutes Startkapital, um sich in alle möglichen Geschäftsfelder einzukaufen, so zum Beispiel bei Tesla.

Elon Musk ist aber nicht der Godfather der Elektromobilität, für den ihn viele halten. Gegründet wurde die heute erfolgreiche Firma von den Vordenkern Martin Eberhard und Marc Tarpenning – Elon Musk stieg 2004 ein, weil er Geld hatte. Später zettelte er sogar einen Rechtsstreit an, um sich „Gründer“ der Firma nennen zu dürfen, der er jedoch niemals war. Wenn Elon Musk ein Talent besitzt, dann ist es, Geld klug zu investieren und Trends zu erkennen. Das macht ihn aber nicht zu einem Genie.

Musks Firma SpaceX existiert nur deshalb, weil damals ein Vertrag über 1,6 Milliarden Dollar mit der Nasa abgeschlossen wurde – darauf weist der „Observer“-Kolumnist Kenan Malik in einem Text hin. Nicht selten hätten Geschäftsideen Elon Musks nur deshalb überlebt, weil sie staatlich subventioniert wurden, nicht wegen seines brillianten Unternehmertums. Musks Hyperloop-Projekt, ein Tunnel für Hochgeschwindigkeitszüge, klingt zwar schön futuristisch – war aber lange nicht mehr als ein theoretisches Vorhaben. Inzwischen gibt es immerhin erste Teststrecken, deren Erfolg sich erst noch zeigen muss.

Das Ende einer Aura

Nicht selten machte sich Musk schon in der Vergangenheit mit seinen Ideen zur Lachnummer. Etwa 2018 in Thailand: Da wollte Musk ein Mini-U‑Boot in eine Höhle schicken, um die dort eingeschlossenen Jugendfußballer zu retten. Die Retter vor Ort hatten für diesen Blödsinn nur Spott übrig: Er könne sich sein U‑Boot dahin schieben, wo es wehtut, so einer von ihnen gegenüber CNN.

Musks Biograf Ashlee Vance deutet einmal an, Musk mache sich häufig die Anerkennung für die Arbeit seiner Mitarbeitenden zu eigen. Kenan Malik schreibt in seinem Text, Musks wahres Genie bestehe vor allem daraus, „eine Aura um sich herum zu erzeugen, große Versprechungen zu machen und die Menschen glauben zu lassen, dass er sie halten kann. Manchmal liefert er; oft tut er es nicht.“

Man hätte das alles schon vorher sehen können. Jetzt, mit der Zerstörung Twitters allerdings, können wir alle live dabei zuschauen, wie sich diese Aura und der Mythos Elon Musk endgültig selbst zerstören.