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Interview mit Bosbach und Overbeck„Der Tod ist nicht das Ende“

Lesezeit 9 Minuten

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck (links) und der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach.

„Jetzt erst recht“, heißt ein neues Buch über Wolfgang Bosbach. Das klingt verbissen – und passt eigentlich nicht zu Bosbachs Naturell. Bei seinem Treffen mit Franz-Josef Overbeck im Berliner Militärbischofsamt, dem zweiten Dienstsitz des Essener Oberhirten, stimmt die Chemie zwischen dem Rheinländer und dem Westfalen. Die Erfahrung einer Krebskrankheit verbindet beide Männer, aber auch die Art, damit umzugehen. Für ein Gespräch über ernste Themen nimmt darin das Lachen jedenfalls erstaunlich viel Raum ein.

Herr Bosbach, wie oft werden Sie Ostern noch feiern können?

WOLFGANG BOSBACH: (lacht) Wenn ich das nur wüsste! Ich hoffe, noch lange. 81 Jahre alt zu werden, wie die Ärzte es mir vor meiner Krebs-OP vorausgesagt hatten, halte ich für eine sehr optimistische Prognose. Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja in einigen Jahren neue Medikamente oder Therapien, die wir heute noch nicht kennen.

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Von heute aus betrachtet, wie planen Sie Ihr Leben?

BOSBACH: Bei mir ist jeden Tag Hochbetrieb, ich komme gar nicht dazu, mir darüber Gedanken zu machen, was in drei, vier Jahren sein könnte. Ich war vor ein paar Tagen mit Freunden Ski laufen. Herrlicher Pulverschnee, Sonnenschein. Da stehst du dann oben auf dem Berg, bewunderst die herrliche Natur. Eigentlich geht's dir prima, und doch weißt du, wie traurig der jüngste Befund war. Zwei ganz widersprüchliche Gedanken in einem einzigen Moment.

Geht Ihnen das auch so, Bischof Overbeck?

FRANZ-JOSEF OVERBECK: Die Krebs-Diagnose bekam ich mit 38, von jetzt auf gleich. Ich weiß noch genau, wie der Arzt mich sofort mit Therapien gleichsam zuschüttete. Das lernen die Mediziner so, hörte ich später, um die Patienten ruhigzustellen. Ich sagte: „Nein, hören Sie bitte damit auf! Sie sagen mir jetzt: Kann ich sterben?“ - „Sie müssen aber nicht sterben.“ - „Das habe ich auch nicht gesagt, aber ich kann?“ - „Ja.“ Das war ein Einschnitt, der mich bis heute existenziell sehr verändert hat.

Wie?

OVERBECK: Diese Unschuld dem Leben gegenüber war weg, dieses Gefühl, es werde ewig so weitergehen. Das war im Sommer 2002. Ich habe dann beschlossen, alles mir Mögliche zu tun, um wieder gesund zu werden. Ich ließ mich operieren, und ich weiß noch genau: Die zwei Wochen zwischen der OP und dem Ergebnisbericht waren ausgesprochen anstrengend. Ich lag im Bett, es dauerte und dauerte. Und dann kam der Arzt, ein Nicht-Gläubiger, zu mir und sagte: „Ach, Herr Overbeck, soweit ich weiß, heißt es bei Ihnen '»Amen«.“ – So sei es, bedeutet das. „Ja, und nach dem, was wir sehen, werden Sie wieder gesund.“

BOSBACH: Aber Sie dachten, er habe gemeint, „Amen, das war's“.

OVERBECK: Ja. Es hat dann relativ lange gedauert, bis ich wieder fit war. Ich lebe seitdem anders. Es gibt hier auf Erden nichts, von dem ich nicht wüsste, dass es endlich ist. Und ich habe keine Angst mehr. Das ist für andere manchmal anstrengend, wenn sie merken, ich lasse mich nicht erschrecken und stehe zu dem, was ich rede oder tue. Wenn neue Aufgaben an mich herangetragen werden, sage ich mir immer: Nach allem, was du durchgestanden hast, wirst du das auch das gut schaffen.

Wie hat die Krankheit Sie verändert, Herr Bosbach?

BOSBACH: Heute sehe ich vieles mit anderen Augen. Bei gleicher Leidenschaft für die Politik bin ich viel gelassener geworden. Ich wundere mich, über was für Kleinigkeiten die Leute sich aufregen und in die Haare bekommen. Früher ging mir das selbst so. Heute denke ich oft, „eure Sorgen möchte ich haben“. Und ich kann Dinge besser liegen lassen als früher, habe kein schlechtes Gewissen mehr, mit der Arbeit schon vor Mitternacht aufzuhören und ein paar Akten auf dem Schreibtisch für morgen aufzuheben. Das hätte ich vor drei, vier Jahren nicht gekonnt.

Interessant – ich hätte das Gegenteil vermutet, nach dem Motto: Wer weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt.

OVERBECK: Ja, aber vieles wird eben relativer. Man setzt die Prioritäten anders. Ich merke das auch mit Blick auf die Situation meiner Kirche mit ihren rasanten Veränderungen. Auch da stirbt so manches, wird nie mehr so sein wie früher. Statt damit zu hadern, denke ich heute: Ja, so ist das Leben. Es gibt uns aber damit auch Raum für Neues.

Stichwort Kirche – selten ist im Jahresverlauf so viel die Rede von Sterben und Tod wie vor Ostern. Hören Sie Bibeltexte und Predigten heute anders als früher, Herr Bosbach?

BOSBACH: Nein. Für mich war die Botschaft Christi immer eine Frohbotschaft. Im Kern lautet sie: Der Tod ist nicht das Ende. Das hat mir schon immer Mut, Kraft und Hoffnung gegeben. Und Herr Bischof, Sie hören das vielleicht nicht gern, aber ich finde ohnehin, wir Christen sollten nicht so viel von Tod und Hölle sprechen, sondern mehr vom Leben und vom Himmel.

OVERBECK: Völlig richtig! Sie werden mich auch nicht so leicht von der Hölle predigen hören. Ich tue mich schon schwer mit der Rede, der Christ werde im Leiden Jesus, dem Schmerzensmann, ähnlich. Da möchte ich Jesus nicht vereinnahmen. Ich glaube wie Sie, was uns Christen im Leid trägt, ist die Gewissheit eines Lebens bei Gott über den Tod hinaus.

Sind Ihnen nie Zweifel gekommen?

OVERBECK: Natürlich ist mir in der Krankheit die Frage gekommen: Wieso du? Es gibt in meiner Familie eine gewisse Disposition für Krebs. Aber das ist keine befriedigende Antwort. Ich habe monatelang nicht mehr beten können. Ich habe zwar Gottesdienste gefeiert, die Riten vollzogen, auch das Brevier gebetet, wie das der Priester so tut. Aber im tiefsten Inneren, existenziell war ich nicht dabei. Ich hatte das Gefühl, wenn du das jetzt nicht tätest, wäre es genauso. Das war unglaublich schwer, für mich persönlich, aber auch im Blick auf meinen Beruf. Als Priester will ich schließlich das leben, was ich verkünde.

Wie haben Sie wieder zu sich selbst gefunden?

Overbeck: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass andere für mich beten, und habe gedacht: „Darauf verlässt du dich jetzt einfach.“ Und ich habe gelernt, ich kann im geistlichen Leben nichts allein mit Willenskraft erreichen. Es geht vielmehr um Einwilligung: Die Dinge sind, wie sie sind. Das hat mir auch geholfen, Menschen besser zu verstehen, die mit Gott nichts anfangen können, an ihm irre werden und verzweifeln.

BOSBACH: Ich weiß, dass das keine religiöse Kategorie ist. Aber es gab tatsächlich Zeiten, in denen ich mich vom lieben Gott ungerecht behandelt gefühlt habe. Ich dachte, dass ich mit meiner Herzkrankheit mein Päckchen schon zu tragen hätte. Aber dann kam der Krebs noch obendrauf. „Jetzt bist du praktizierender Christ, warst sogar Messdiener, zahlst regelmäßig Kirchensteuer, aber geholfen hat es trotzdem nicht!“ (lacht) So was ging mir schon durch den Kopf. Aber dann habe ich Gott auch um Kraft und um Beistand gebeten. Ich weiß, dass das widersprüchlich klingt, aber so war es.

Ihr Arzt, Herr Bosbach, hatte Ihnen geraten, einfach das zu tun, woran Sie Spaß haben. Also haben Sie mit Volldampf weitergearbeitet. Sind Sie Weltmeister im Verdrängen?

BOSBACH: Ja und nein. Wenn ich in einen vollen Saal komme und die Stimmung ist gut, dann ist das für mich keine Arbeit, sondern Freude. Aber es geht um den Aufwand, der damit verbunden ist: stundenlange Fahrten, Hotelaufenthalte. Das habe ich deutlich reduziert. Und zum 1. Juli werde ich auch meine Tätigkeit als Anwalt leider aufgeben müssen, um mich ganz auf die Politik zu konzentrieren. Nach 23 Jahren Arbeit in der Kanzlei fällt mir dieser Schritt wirklich schwer. Aber für beides gleichzeitig habe ich nicht mehr die Kraft. Jedenfalls nicht so, dass ich mit den Ergebnissen meiner Arbeit zufrieden sein könnte.

Können Sie mit einfachen Worten erklären, Herr Bischof, was Christen da an Ostern feiern – die Auferstehung?

OVERBECK: Es gibt eine Brücke von diesem Leben in ein Leben nach dem Tod, die einem keiner erklären kann. Man kann sie nur betreten und sich darauf verlassen, dass sie trägt. Diese Brücke ist Jesus Christus. Das bedeutet aber auch, es gibt einen existenziellen Sprung, der niemandem erspart bleibt: der Sprung, zu glauben, was die Bibel und die Tradition der Kirche uns von Jesus sagen.

BOSBACH: Es übersteigt meine Vorstellungskraft, zu sagen, was nach dem Tod aus uns wird. Aber ich bin mir sicher: Der Tod ist nicht das Ende, auch nicht mein Ende. Es bleibt viel von uns auf der Erde zurück, auch wenn wir in ihr begraben werden.

Sie leben weiter in Ihren Kindern, haben Sie gesagt. Diesen Trost, Herr Bischof, haben Sie als Priester im Zölibat nicht.

OVERBECK: Damit zurechtzukommen, gehört zur Bestimmung dieser Lebensform. Vom Moment meiner Entscheidung für die Ehelosigkeit an war ich mir bewusst: Du wirst fortan mit diesem Schmerz leben müssen, dass du nicht überdauern wirst in eigenen Kindern. Es ist nun aber auch nicht so, dass dieser Schmerz lebensbestimmend wäre. Ich denke nicht jeden Tag daran. Ich lebe gut mit meiner Entscheidung für den Zölibat, und ich kann sogar sagen, es ist ein sehr fruchtbares Leben. Im Einsatz für das Evangelium und für die Menschen wächst viel Neues, auch Ungeahntes.

Aber was bleibt von Ihnen?

OVERBECK: Diese Sorge hatte ich bisher nie. Vielmehr hat es mich gerade während meiner Krankheit eher erleichtert, dass ich keine unmittelbare Verantwortung für Familie, Frau und Kinder habe, die ich womöglich vor der Zeit zurücklassen müsste.

BOSBACH: Weil ich weiß, wie sehr die Sorge um den Ehemann, den Vater meine Familie belastet, ist der Krebs zu Hause kein Thema. Materiell muss sich niemand Sorgen machen, das trägt schon mal zur Beruhigung bei. Ich bin auch kein Bruder Leichtfuß, nehme meine Medikamente mit äußerster Präzision, gehe zu allen Untersuchungen. Den Befund teile ich meiner Frau natürlich mit, aber damit ist die Sache durch. Es würde sich ja auch nichts ändern, wenn wir mehr darüber redeten. Meine Eltern würden gern reden, das weiß ich. Aber alle respektieren, dass es mir die Sache unnötig schwer machen würde. Das Heimtückische am Krebs – im Gegensatz etwa zu Sportverletzungen, von denen ich in meinem Leben jede Menge hatte – ist ja, dass ich den Kampf mit einem unsichtbaren Gegner führe. Je stärker ich mich mit ihm beschäftige, desto mehr gewinnt er die Oberhand.

Sie gelten als menschenfreundlich, dialog- und kompromissfähig. Alles Eigenschaften, die auch vom künftigen Kölner Kardinal erwartet werden. Hätte Wolfgang Bosbach einen guten Bischof abgegeben?

BOSBACH: (lacht) Sagen Sie jetzt nichts, Herr Bischof!

OVERBECK: Die Vorsehung hat es anders bestimmt.

BOSBACH: Ich hätte auch sonst Zweifel. Ich glaube, für diese Aufgabe muss man frommer sein als ich. Aber Bischof Overbeck wäre ein guter Kardinal für Köln.

OVERBECK: (lacht) Sagen Sie jetzt nichts weiter, Herr Bosbach!

BOSBACH: Nein. Aber Sie wissen ja: Die Gedanken sind frei.

Das Gespräch führte Joachim Frank.

Wolfgang Bosbach, geb. 1952, ist Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag. 2010 wurde bei dem CDU-Politiker aus Bergisch Gladbach Prostata-Krebs festgestellt. Es bestehen kaum mehr Heilungschancen.

Franz-Josef Overbeck, geb. 1964, ist Bischof von Essen. Auch er erkrankte an Prostata-Krebs, gilt aber als geheilt. (jf)