„Das ist eine absolute Lüge“USA vermuten Sprengsatz in Prigoschin-Jet – Kreml reagiert mit scharfen Worten

Lesezeit 5 Minuten
Eine Aufnahme aus dem Jahr 2011 zeigt Jewgeni Prigoschin, damals noch Restaurantchef, zusammen mit Kremlchef Wladimir Putin. Der Wagner-Chef ist bei einem Flugzeugabsturz mutmaßlich gestorben. Die Hintergründe bleiben rätselhaft.

Eine Aufnahme aus dem Jahr 2011 zeigt Jewgeni Prigoschin, damals noch Restaurantchef, zusammen mit Kremlchef Wladimir Putin. Der Wagner-Chef ist bei einem Flugzeugabsturz mutmaßlich gestorben. Die Hintergründe bleiben zunächst rätselhaft.

Über die Gründe des Absturzes von Prigoschins Jet herrscht Unklarheit. Steckt Putin dahinter? Vieles deutet auf den Kremlchef. Ein Überblick.  

Zwei Tage nach dem mutmaßlichen Tod des russischen Söldnerführers Jewgeni Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz herrscht noch immer keine Klarheit über die Umstände. Russlands Präsident Wladimir Putin bestätigte am Donnerstag nur indirekt den Tod seines einstigen Günstlings, der als Chef der Privatarmee Wagner zwei Monate zuvor gegen ihn gemeutert hatte. Ein Überblick.

Was Russland und Putin zum mutmaßlichen Tod Prigoschins sagen

Der Kreml hat am Freitag jegliche Behauptungen über eine Verstrickung Moskaus in den Tod Jewgeni Prigoschins zurückgewiesen. „Das alles ist eine absolute Lüge“, kommentierte der Sprecher von Wladimir Putin entsprechende Mutmaßungen. „Natürlich stellt der Westen alles aus einem bestimmten Blickwinkel dar“, erklärte Dmitri Peskow. Es gebe aber noch keine ausreichenden Fakten für eine Bewertung der Lage, hieß es weiter.

Eine offizielle Identifizierung der Leiche Prigoschins durch die russischen Behörden stand bis Freitag noch aus, Berichten russischer Medien zufolge werde die Leiche des Söldnerführers nun untersucht. Auch das Handy des Wagner-Chefs sei am Absturzort gefunden worden, hieß es in einzelnen Berichten.

Kremlchef Putin sprach am Donnerstag indes schon in der Vergangenheitsform von dem „talentierten Geschäftsmann“ und Söldnerführer. „Er war ein Mensch mit einem schwierigen Schicksal, und er hat ernsthafte Fehler gemacht“, sagte er. Während der Meuterei der Wagner-Kämpfer gegen die russische Führung im Juni hatte Putin seinem langjährigen militärischen Handlanger Prigoschin Verrat vorgeworfen, ihm und seinen Gefolgsleuten dann aber die Ausreise nach Belarus ermöglicht.

Zuvor hatte die russische Luftfahrtbehörde bereits bekannt gegeben, Prigoschin habe sich an Bord des Privatjets befunden. Auch Tschetschenen-Anführer Ramzan Kadyrow sprach vom Tod Prigoschins.  „Sein Tod ist ein großer Verlust für den gesamten Staat“, schrieb Kadyrow bei Telegram.

Was über den Flugzeugabsturz und mögliche Gründe bekannt ist

Bei dem Flugzeugabsturz kamen zehn Menschen ums Leben. Während Wagner-Kanäle am Mittwochabend von Augenzeugen berichteten, die Luftabwehrgeschosse kurz vor dem Absturz des Embraer-Jets ausgemacht haben wollen, gibt es bisher keine offizielle Angabe zum Grund des Absturzes. Videoaufnahmen zeigen, dass das Flugzeug bereits in der Luft zu brennen begann. Ein Teil der Maschine wurde der russischen Nachrichtenagentur RIA zufolge zudem weit abseits der Absturzstelle gefunden – ein Indiz dafür, dass die Maschine bereits in der Luft teilweise zerbrochen ist.

Menschen tragen einen Leichensack aus dem Wrack eines abgestürzten Privatjets in der Nähe des Dorfes Kuschenkino in der Region Twer. Der russische Söldnerführer Jewgeni Prigoschin ist nach Angaben seines Telegram-Kanals Grey Zone vom Mittwoch tot.

Menschen tragen einen Leichensack aus dem Wrack eines abgestürzten Privatjets in der Nähe des Dorfes Kuschenkino in der Region Twer. Der russische Söldnerführer Jewgeni Prigoschin ist nach Angaben seines Telegram-Kanals Grey Zone vom Mittwoch tot.

Laut der russischen Nachrichtenseite RBC werde von den Behörden keine mögliche Erklärung ausgeschlossen – weder ein Pilotenfehler, noch eine Fehlfunktion oder „externer Einfluss“. Neben der Möglichkeit eines Abschusses wird auch ein Sprengsatz an Bord der Maschine als möglicher Absturzgrund in Russland und im Wagner-Umfeld diskutiert. Auch US-Geheimdienste scheinen von diesem Szenario auszugehen, das berichteten die „New York Times“ und andere US-Medien unter Bezugnahme auf Quellen in den US-Behörden. Es gebe keine Hinweise, dass der Jet von einer Boden-Luft-Rakete getroffen worden sei.

Ist der Tod von Jewgeni Prigoschin bereits bewiesen?

Nein. Zwar gehen viele Russland-Experten davon aus, dass Prigoschin sich mit anderen Wagner-Mitgliedern, darunter der Gründer der Privatarmee Dmitri Utkin, an Bord der Maschine befunden hat. Seine Leiche wurde bisher jedoch nicht offiziell identifiziert. Eine direkte Identifizierung der geborgenen Leichen sei aufgrund der Schwere der erlittenen Verletzungen zunächst nicht möglich, berichtete die russische Zeitung „Fontanka“. DNA-Proben der Leichen seien nun zur forensischen Untersuchung nach Moskau geschickt worden.

Wie reagiert die Wagner-Gruppe?

Die Telegramkanäle, die sich in der Vergangenheit als zuverlässiges Sprachrohr der Wagner-Gruppe erwiesen haben, verkündeten noch am Mittwochabend den Tod Prigoschins und Utkins. Seitdem posten die Wagner-Kanäle vor allem Nachrufe auf die beiden Anführer und Fotos und Videoaufnahmen von Gedenkaktionen für Prigoschin und Utkin.

Erstmals veröffentlichten die Söldner auch mehrere Fotos von Utkin. Der Neonazi und Kommandeur der Wagner-Gruppe galt als äußert kamerascheu. Es existierten nur wenige Aufnahmen des Mannes, dessen Kampfname „Wagner“ lautet und dem die Privatarmee ihren Namen verdankt. Russischen Medienberichten zufolge wolle sich die verbleibende Wagner-Führungsebene zunächst abstimmen – und dann Stellung zu dem vermeintlich Attentat nehmen. Bis zum Freitagmorgen ist allerdings kein derartiges Statement im Telegramkanal „Grey Zone“, der als Sprachrohr der Söldner gilt, erschienen. 

Was sagen Experten zum mutmaßlichen Tod Prigoschins?

„Die Chancen stehen gut, dass er tatsächlich tot ist“, befand der britische Historiker und Russland-Experte Mark Galeotti in einem Beitrag für den „Specator“. Die Entscheidung, Prigoschin zu töten, könne nicht ohne die Zustimmung Wladimir Putins gefallen sein, führte er aus. „Putin ist in eine neue und noch offensichtlichere Ära der Attentate eingetreten“, befand Galeotti. Der amerikanische Thinktank „Institute for the Study of War“ geht ebenfalls davon aus, dass Putin den Befehl zur Ermordung Prigoschins gegeben habe. Ein Attentat des Kremls sei „so gut wie sicher“, hieß es im täglichen Briefing der US-Analysten. 

Auch russische Experten wie Tatjana Stanovaya, Gründerin des auf die Analyse der russischen Politik spezialisierten Thinktanks „R.Politik“, halten eine Ermordung Prigoschins durch den Kreml für möglich. „Aus der Sicht Putins und vieler Sicherheits- und Militärbeamter sollte Prigoschins Tod als Lehre für alle möglichen Nachfolger dienen“, schrieb Stanovaya auf Twitter.

Der Politikwissenschaftler Abbas Gallyamov sagte unterdessen der russischen Zeitung „Moscow Times“, mit dem Absturz von Prigoschins Jet habe sich Russland „endlich als Terrorstaat formalisiert“. Spätestens nun sei klar geworden: „Wer sich dem bedingungslosen Gehorsam verweigert, wird vernichtet.“ In Russland herrsche mittlerweile eine „klassische Tyrannei“. (mit dpa)

Nachtmodus
KStA abonnieren