Die JVA Kleve, wo der unschuldig inhaftierte Syrer eingesessen hatte.
Copyright: picture alliance/dpa
ANZEIGE
ANZEIGE
Der junger Syrer Amad A. saß unschuldig wochenlang in Haft und starb nach einem Zellenbrand.
Ein Jahr später ist immer noch unklar, wer verantwortlich ist. Die Staatsanwaltschaft Kleve ermittelt aktuell noch in dem Fall.
Nun ist eine neue Mail aufgetaucht, die ein schlechtes Licht auf einen Krefelder Polizisten wirft.
Wie konnte es zu diesem Justizskandal kommen?
Düsseldorf – Eine E-Mail im Zusammenhang mit dem Tod des Flüchtlings Amad A. wirft ein schlechtes Licht auf einen Polizisten in Krefeld. Der hatte den Auftrag, seine Kontakte mit dem Syrer für die internen Ermittlungen aufzuarbeiten. Die Begründung für die Aufforderung stieß bei ihm offenbar auf Unverständnis. „Da lachst Du dich kaputt“, schreibt der Beamte am 5. Oktober 2018 unter dem Betreff „Festnahme Amad A.“ an einen Kollegen.
Zwei Tage zuvor war der 26-Jährige an den Folgen seiner Brandverletzungen gestorben. Sven Wolf, Obmann der SPD im Untersuchungsausschuss des Landtags, kritisiert den Vorgang: „Mich beunruhigt der Umgang mit dem Tod eines Unschuldigen. Je intensiver wir die Zeugen befragen, umso mehr Fragen habe ich.“
Auslöser für Pannenserie ist immer noch unklar
Amad A. hatte im vergangenen Sommer wochenlang unschuldig in Haft gesessen, weil er mit einem gesuchten Schwarzafrikaner verwechselt wurde. Weil er nur schlecht Deutsch konnte, nahm ihm niemand ab, dass er unschuldig war. Schließlich zündete der Syrer seine Zelle an. Ein Drama, das durch eine unfassbare Serie von Pannen und Schlampereien bei Polizei und Justiz in NRW ausgelöst wurde.
Trotz der Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Landtag ist ein Jahr nach dem Tod des Syrers immer noch unklar, wer die fatale Kette der Ereignisse in Gang gesetzt hat.
Das ist bislang zum Justizskandal bekannt
Wie mittlerweile bekannt ist, wurden die Daten des Syrers zwei Tage vor seiner Festnahme in Geldern mit denen des Afrikaners Amedy G. vertauscht der in Hamburg wegen Diebstahls per Haftbefehl gesucht wurde. Bei der Suche nach dem „Mister X“, der dafür Verantwortung trägt, war zuletzt eine Sachbearbeiterin aus der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein in den Fokus der Ermittler geraten. Nachforschungen des Landeskriminalamtes und des Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste hatten ergeben, dass das Verhängnis auf ihrem Rechner seinen Lauf genommen hatte.
Amad A. zeigte sich auf einem „Facebook“-Foto als Tierfreund.
Copyright: Facebook
Die Kreispolizei im Siegerland war für die Akte von Amad A. zuständig, weil der Syrer dort nach seiner Ankunft im Aufnahmezentrum Burbach registriert worden war. Fest steht, dass die Sachbearbeiterin am 4. Juli 2018 den Datensatz des Flüchtlings im polizeilichen Auskunftssystem Viva abgeändert hat. Der Vorgang war bei ihr gelandet, weil es neue Einträge in der Akte des Flüchtlings gab. Amad A. war kurz zuvor in Düsseldorf und Krefeld innerhalb von wenigen Stunden zweimal beim Schwarzfahren erwischt worden. Die Polizei stellte zudem in seiner Kleidung ein Tütchen Marihuana sicher.
Was danach passierte, ist immer noch unerklärlich
Was jetzt passierte, ist bis heute unerklärlich. Fest steht: Als die Sachbearbeiterin in Siegen die Akte von Amad A. ablegte, waren dem hellhäutigen Syrer auch noch die Straftaten des dunkelhäutigen Mannes aus Mali zugeordnet worden. Bei ihrer Befragung im Untersuchungsausschuss kam heraus, dass die Frau offenbar schlecht ausgebildet und überlastet war.
Das System Viva sollte eigentlich dabei helfen, die Identitätsfeststellung von Flüchtlingen zu erleichtern. Viele hatten sich bei den Behörden unter unterschiedlichen Aliasnamen gemeldet und als Geburtsdatum den Neujahrstag angegeben. Die Sachbearbeiterin gab an, sie habe im Akkord gearbeitet und darauf vertraut, dass der Rechner fehlerhafte Eingaben selbst erkennen würde. Ein fataler Irrtum. Denn das System hatte bei der Vermischung der Personendaten keine Beanstandungen.
Die Sachbearbeiterin jedenfalls will zudem nur auf Anweisung ihres Vorgesetzten gehandelt haben. Der Regierungsangestellte, der seit dem Sommer in Pension ist, soll jetzt ebenfalls im U-Ausschuss vorgeladen werden. Mit seiner Vernehmung ist aber wohl erst Ende des Jahres zu rechnen.
Es gab Spekulationen um eine Verschwörung
Nach dem Tod von Amad A. hatte es auch Spekulationen über eine Verschwörung gegeben. „In dem Fall gibt es eine Verkettung von Merkwürdigkeiten, die auch zu Spekulationen über einen fremdenfeindlichen Hintergrund geführt haben“, sagt Stefan Engstfeld, Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss. Der Syrer hatte vor seiner Festnahme Mädchen an einem Baggersee sexuell belästigt.
Brandspuren an der Außenfront von Zelle 143 in Kleve.
Copyright: dpa
Die Polizei war erschienen, obwohl in der Zentrale kein Notruf eingegangen war. Im Untersuchungsausschuss stellte sich heraus, dass der Vater eines der Mädchen bei der Polizei arbeitet. Die Tochter hatte ihn daher über seine Festnetznummer angerufen. Der Vater war alarmiert, weil in Geldern ein arabisch aussehender Vergewaltiger gesucht wurde.
Kölner CDU-Politiker Oliver Kehrl äußert sich zum Fall
Interne Ermittlungen zu Verbindungen der Polizei in Geldern zur rechten Szene liefen ins Leere. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Amad A. durch widerrechtliche Manipulationen „gezielt Nachteile“ zugefügt werden sollten, heißt es dazu in einem LKA-Papier. Eine „Schädigungsabsicht“ sei nicht zu unterstellen. „Die Theorie von der rechten Verschwörung ist ein absoluter Käse. Daran glaubt kein Mensch, der sich auch nur etwas mit dem Fall befasst hat“, sagt der Kölner CDU-Politiker Oliver Kehrl zu der Causa Amad A..
Für die Opposition macht dies den Fall nicht weniger skandalös. „Schon jetzt spricht vieles dafür, dass Amad A. noch leben könnte, wenn Polizei und Justiz sauber gearbeitet hätten“, glaubt Stefan Engstfeld. Die Staatsanwaltschaft in Kleve ermittelt nicht nur gegen vier Polizeibeamte, sondern auch gegen den Anstaltsarzt der JVA Kleve. Gegen ihn besteht der Verdacht, dass er Anzeichen für eine Selbstmordgefahr nicht ernst genommen hat.
Körper von Amad A. war mit Narben übersät
Amad A. soll bei seiner Aufnahme im Gefängnis selbst darauf hingewiesen haben, dass er suizidgefährdet sei. Den Mädchen in Geldern, die er sexuell genötigt hatte, war aufgefallen, dass der Körper des jungen Mannes mit Narben übersät war. Die sexuelle Belästigung hätte nicht ausgereicht, um den Syrer zu inhaftieren.
Engstfeld erinnert die Geschichte des Syrers an einen „fiktiven Stoff aus einem Tatort“. „Dass wir es hier mit einem realen Fall aus NRW zu tun haben, der sich so zutragen konnte, hat das Vertrauen in den Rechtsstaat massiv erschüttert und macht immer noch betroffen“, sagt der Düsseldorfer.
Familie des Toten lebt mittlerweile in Bonn
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Kleve erklärte, er rechne innerhalb der nächsten Wochen mit einer Entscheidung, ob gegen die Beschuldigten Anklage erhoben wird oder nicht.
Die Familie von Amad A. lebt mittlerweile im Bonner Stadtteil Bad Godesberg. Das NRW-Justizministerium half der Mutter und den Geschwistern des Toten dabei, ein Visum zu bekommen, mit dem sie einreisen konnten. Ein Sprecher bestätigte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass auch die Reisekosten sowie die Kosten für die Beerdigung vom Land übernommen wurden.
Recherchen ergaben Ungereimtheiten
Das tragische Schicksal des Flüchtlings Amad A. hat das Vertrauen in den Rechtsstaat tief erschüttert. Als der Fall ans Licht kam, machten schnell Verschwörungstheorien die Runde: Wurde die Identität des Syrers vorsätzlich vertauscht, um ihn von der Straße zu holen?
Der Skandal bringt die schwarz-gelbe Landesregierung in Bedrängnis. Aufklärungsarbeit zu leisten, ist hier die Aufgabe von investigativen Journalisten. Als Landeskorrespondent des „Kölner Stadt-Anzeiger“ begleite ich den Vorgang, seitdem er bekannt geworden ist. Auch in diesem Fall kamen durch eigene Recherchen schnell brisante Ungereimtheiten ans Licht. So stellte sich die Behauptung des NRW-Justizministers Peter Biesenbach, A. habe beim Brand seiner Zelle den Notruf nicht gedrückt, als falsch heraus.
Amad A. ist vor gut einem Jahr nach dem Feuerausbruch in seiner Zelle in der JVA Kleve gestorben. Ein Untersuchungsausschuss beleuchtet den Fall, unabhängig davon geht die journalistische Arbeit weiter. Es reicht nicht aus, über die Sitzungen zu schreiben. Der Anspruch ist, die Aufklärung durch seriöse und faktenorientierte Berichterstattung voranzutreiben. Gute Kontakte und ein engmaschiges Netzwerk von Informanten helfen dabei mit, vertrauliche Informationen zu erhalten. So gelingt es, regelmäßig neue exklusive Nachrichten für unsere Leser zu produzieren. Den Regierenden auf die Finger zu schauen, ist für mich ein Traumjob. (gmv)