Im geltenden Arbeitsrechts der katholischen Kirche droht Beschäftigten im kirchlichen Dienst die Kündigung, wenn sie als Homosexuelle oder Geschiedene heiraten. Das soll sich jetzt ändern.
Kirchliches ArbeitsrechtBischöfe lassen Lufthoheit über den Betten fallen
Eine Mehrheit der deutschen Bischöfe hat dazu eine Reform der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ beschlossen. Kritiker sprechen von einem „halben Sprung nach vorn“.
„Ich will auch, dass das aufhört. “Mit dem ihm eigenen bollerigen Temperament reagierte Kardinal Reinhard Marx Anfang November bei der Verleihung des „Katholischen Medienpreises“ auf eine Forderung der TV-Moderatorin Anne Will. In ihrer Laudatio auf die ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“ über die Situation queerer Menschen in Diensten der katholischen Kirche wandte sich Will „als offen lesbisch lebende Frau und als nicht praktizierendes, haderndes, aber nach wie vor zahlendes Mitglied“ eindringlich gegen die fortbestehende Diskriminierung und Bedrohung von Mitarbeitenden durch das kirchliche Arbeitsrecht.
Jetzt haben die deutschen Bischöfe einen wichtigen Schritt getan, dass das tatsächlich aufhört: Eine Neufassung der sogenannten „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ erklärt Lebensformen, die von der katholischen Ehelehre und Sexualmoral abweichen, nicht länger zu einem Loyalitätsverstoß und damit zu einem möglichen Kündigungsgrund. „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegt keinen rechtlichen Bewertungen und entzieht sich dem Zugriff des Dienstgebers“, erläuterte die Deutsche Bischofskonferenz zu ihrem Beschluss. Diese „rechtlich unantastbare Zone“ erfasse „insbesondere das Beziehungsleben und die Intimsphäre“.
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„Homo-Ehe“ soll kein Kündigungsgrund mehr sein
Etwas handfester formuliert: Die Kirche gibt ihren Anspruch auf Lufthoheit über den Betten auf, will sich künftig aus dem Sexualleben von Mitarbeitenden heraushalten. Eine „Homo-Ehe“ in den eigenen Reihen ebenso wie eine zweite Heirat von Geschiedenen wäre demnach kein Kündigungsgrund mehr. Auch ein Kirchenaustritt hätte nun nicht mehr automatisch arbeitsrechtliche Folgen.
Für das katholische Profil etwa eines Krankenhauses oder eines Kindergartens müssen künftig nicht die einzelnen Beschäftigten mit ihrer persönlichen Lebensführung einstehen, sondern die jeweilige Einrichtung als Ganzes. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller nennt diesen „institutionenbezogenen Ansatz“ im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ einen „Paradigmenwechsel“. Alle Mitarbeitenden könnten künftig unabhängig von konkreten Aufgaben, Herkunft, Religion, Alter, Geschlecht, sexueller Identität und Lebensform „Repräsentantinnen und Repräsentanten der unbedingten Liebe Gottes und damit einer den Menschen dienenden Kirche sein“, betonen die Bischöfe.
Schwammige Begriffe wie „kirchenfeindliches Verhalten“
Als einziger kündigungsrelevanter Verstoß gegen die Loyalitätspflichten von Mitarbeitenden nennt die neue Grundordnung „kirchenfeindliches Verhalten“. Ein derart schwammiger Begriff sei aber offen für Interpretationen oder auch für Willkür, warnt Jens Ehebrecht-Zumsande, pastoraler Mitarbeiter im Erzbistum Hamburg und Co-Initiator der Kampagne #outinchurch. Deren öffentlichkeitswirksamer Einsatz für die Rechte queerer Menschen in der Kirche hat zusammen mit den laufenden Reformdebatten auf dem „Synodalen Weg“ der Kirche in Deutschland den Druck auf die Bischöfe zu einer Änderung ihres Arbeitsrechts deutlich erhöht.
Transidente Personen kommen in der Neuordnung nicht vor
Auch die Neufassung lasse Fragen offen, betont Ehebrecht-Zumsande. „Was kirchenfeindlich ist, wird Kardinal Woelki in Köln anders definieren als Bischof Overbeck in Essen.“ Als „sehr unglücklich“ bezeichnet Ehebrecht-Zumsande auch die Bezugnahme der Grundordnung auf die sexuelle Identität. „Die Bischöfe bleiben hier im binären Mann-Frau-Denken verhaftet. Transidente Personen kommen nicht vor und werden weiter diskriminiert.“ Deshalb sei die neue Grundordnung bestenfalls „ein halber Sprung nach vorn“.
Es ist bemerkenswert, dass die Chefs der 27 Bistümer ihren Beschluss mit mindestens einer Zweidrittelmehrheit nur wenige Tage nach Rückkehr aus Rom fassten, wo sie mit ihren Reformbestrebungen auf dem Synodalen Weg böse vor die Wand gelaufen waren. „Nicht verhandelbar“ war die Betonformel, mit der die päpstlichen Behörden auf dem Status quo beharrten.
Allerdings ist das Arbeitsrecht eine spezifisch deutsche Materie. Nirgends sonst auf der Welt tritt die katholische Kirche in solchem Umfang als Arbeitgeberin auf wie in Deutschland mit derzeit etwa 800.000 Beschäftigten. Die Änderung der Grundordnung darf als Indiz gewertet werden, dass sich die Mehrheit der Bischöfe auf dem Reformweg nicht vom Vatikan lahmlegen lassen will.
Kirche getrieben vom Arbeitsmarkt und der staatlichen Justiz
Schüller sieht die Bischöfe allerdings auch als Getriebene – sowohl des Arbeitsmarktes als auch der staatlichen Justiz. Es ist kein Geheimnis, dass viele katholische Arbeitgeber, und hier insbesondere die Caritas mit ihren vielen sozialen Einrichtungen, schon längst auf die Anwendung des geltenden Arbeitsrechts verzichtet haben, um Fachpersonal finden und halten zu können.
In Konfliktfällen hätten die deutschen Arbeitsgerichte den kirchlichen Arbeitgebern die Instrumente zur Sanktionierung von Arbeitnehmern über deren Privatleben „aus der Hand geschlagen“, sagt Schüller, „auch weil die europäischen Gerichte die lange Zeit kirchenfreundliche Rechtsprechung deutscher Gerichte ausgebremst haben“.
Erste Bistümer wie Berlin kündigten umgehend die Ratifizierung der Grundordnung an. Auch das Erzbistum Köln teilte auf Anfrage mit, Kardinal Rainer Woelki wolle den Beschluss umsetzen, an dem er selbst beteiligt gewesen sei. Nach Angaben des Erzbistums sind gegen Mitarbeitende derzeit keine Verfahren anhängig, die noch auf dem alten Recht basierten.*
Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht weiteren Handlungsbedarf
Der Kirchenrechtler Schüller sieht indes weiteren Handlungsbedarf. Die geltenden Bestimmungen, mit denen pastorale Mitarbeitende sowie Religionslehrkräfte „unter Kuratel“ gestellt würden, müssten nun schleunigst an die neue Grundordnung angepasst werden.
Für falsch hält Schüller es auch, dass ein Kirchenaustritt die Neuanstellung im kirchlichen Dienst ausschließen soll. „Diese Bestimmung, die gegen den ausdrücklichen Wunsch der Caritas in die Grundordnung aufgenommen wurde, ist nicht nur rechtssystematisch inkohärent, sondern geht auch vorbei an der Lebenswirklichkeit“, sagt Schüller. Ohne Ausgetretene könnten ungezählte kirchliche Betriebe „schon heute dicht machen, genau wie ohne schwule, lesbische und transidente Mitarbeitende“.
* Diese Angabe wurde nach einer Mitteilung des Erzbistums aktualisiert.